Offroad-Legende Harald Sturm wird 60
Seine größten Erfolge feierte Harald Sturm in der 250er-Zweitakt-Klasse. Von 1983 bis 1986 gewann er viermal in Folge die Enduro-Europameisterschaft.
Am 20. Januar 2016 feiert er seinen 60. Geburtsstag. SPEEDWEEK.com besuchte Harald Sturm in Zschopau.
«Ich war leider etwas zu früh dran, denn sportlich wurde Anfang der 1990er Jahre die Premiumklasse der Europameisterschaft zur WM aufgewertet.» 1987 gewann Sturm im polnischen Jelenia Góra vor 60.000 begeisterten Zuschauern die internationale Sechstagefahrt (Six Days), sein bedeutendster Mannschaftserfolg bei insgesamt 16 absolvierten Six-Days.
Offroad-Sport in die Wiege gelegt
Harald Sturm wuchs in unmittelbarer Nähe des ehemaligen MZ-Werks im erzgebirgischen Witzschdorf auf - nur 5 km von der Motorrad-Schmiede entfernt, wo bereits 1919, im damaligen DKW-Werk, der erste Zweitaktmotor in ein Zweirad gebaut wurde. «Ich wohnte in einer kleinen Siedlung mitten im Wald. Gleich neben unserem Haus verlief die Europameisterschaftsstrecke. Das hat mich als kleines Kind schon begeistert. Ich habe mit einem SR-2-Mofa angefangen. Mit 14 Jahren baute ich ein gebrauchtes Moped - Simson 'Star' - zur Enduro-Maschine um und bin damit durch den Wald geheizt.»
Im Sturm vom Juniorenmeister zum MZ-Werksfahrer
«Mit 16 Jahren bin ich in den MC-MZ eingetreten, das war der MZ-Amateurclub. Im gleichen Jahr wurde ich Junioren-Meister. 1974 hat mir MZ für das Rennen `Rund um Zschopau' ein Vorjahres-Werksmotorrad angeboten. Ich fuhr auf Anhieb schneller als die eigentlichen Werksfahrer. So wurde ich selbst zum Werksfahrer. Das ging alles sehr schnell! Dann habe ich nur noch meine Lehre als Baufacharbeiter beendet und bin sofort in die Sportabteilung gewechselt. Endurofahrer war mein erster Beruf.»
«Alle MZ-Werksfahrer der Sportabteilung waren Angestellte im MZ-Werk. Unsere Berufsbezeichnung war 'Versuchs-Schlosser'. Angesiedelt waren wir aber nicht direkt im Werk, sondern in Hohndorf in einer kleinen Manufaktur mit 30 Mitarbeitern, der eigentlichen MZ-Sportabteilung. 1975 habe ich dort angefangen.»
Leitender Ingenieur war der geniale Walter Kaaden, der den Resonanzauspuff für Zweitaktmotoren perfektionierte und so eine wesentliche Leistungssteigerung erzielte. «Damals engagierte sich MZ noch im Straßenrennsport», erinnert sich Harald Sturm, «aber die DDR-Ökonomie war eine reine Binnenwirtschaft. Alles musste selbst entwickelt und produziert werden. Ende der 1970er Jahre wurde es für MZ zunehmend schwierig, international im Straßenrennsport mitzuhalten. Im Enduro-Sport ist der Fahrer entscheidend. Mit den wenigen Mitteln, die wir im Osten hatten, konnten wir Motorräder bauen, mit denen wir international konkurrenzfähig waren. Darum ging es.»
Wie war es aber möglich, dass die MZ-Werksmannschaft in das 'nicht-sozialistische'-Ausland reisen durfte? «Vom 'Kombinat für Zwei- und Vierradfahrzeuge' wurde der Beschluss gefasst, dass die Werke MZ und Simson an internationalen Geländerennen teilnehmen, um die Export-Marken MZ und Simson international bekanntzumachen. Die Kombinats-Direktion saß in Suhl und Berlin.» So fuhr die Werksmannschaft mit Kleintransportern vom Typ Barkas B 1000 quer durch Europa, von Polen bis Italien, von Finnland bis Portugal. Der Transporter wurde selbstverständlich von einem Zweitaktmotor angetrieben.
Nach der Machtübernahme Honeckers wurde Motorsport als nicht-olympische Disziplin als 'nicht förderungswürdig' eingestuft. Motorsportler hatten es in allen Bereichen nicht leicht. «Wir waren geduldete Sportler», erinnert sich Harald Sturm. «Wir bekamen sogar eine extra Reisekaderschulung. Aber hier ging es einfach darum, wie wir uns im Ausland benehmen sollten. Ganz ehrlich: Das könnten manche Sportler heute auch noch gut gebrauchen.»
Vom Leben eines MZ-Werksfahrers
«Unser Tag begann früh um 6.45 und endete um 16.30 - mit Stechuhr. Wir spielten morgens viel Tischtennis, um unser Reaktionsvermögen zu verbessern. Nach dem Athletik-Training gingen wir in die Rennabteilung und haben an unseren Motorrädern gebaut: gebohrt, gefräst, gedreht usw.. Wir mussten täglich Hand anlegen. Ein normaler Arbeitstag bestand aus einer Hälfte Training und der anderen Hälfte Werkstattarbeit. Jeder Werksfahrer hatte sein eigenes Trainings-Motorrad. Damit durften wir jeden Tag zur Arbeit und nach Hause fahren - selbst im Winter bei Salz und Schnee. Wir mussten das ganze Jahr über mit unserem Motorrad verbunden bleiben. Im Winter haben wir Ski-Langlauf trainiert, dann Fahrrad-Training und Athletik - täglich 3 Stunden richtig Keulen: Ausdauer und Wendigkeit - das war unser Schlüssel zum Erfolg. Und wir waren wirklich fit. Wenn der Puls auf 190 war musste er nach 2 bis 3 Minuten wieder auf 60 abgesunken sein.»
Die Fahrer leisteten weit mehr als Entwicklungsarbeit: «Bei Tests wurden nicht nur die Maschinen getestet, sondern auch wir. Die Techniker haben bewusst Einstellungen verändert und Defekte eingebaut, um herauszufinden, ob wir die Veränderung überhaupt bemerken. Nur so konnten wir ihnen entsprechend verwertbares Feedback liefern. Es wurde einfach nichts dem Zufall überlassen.»
Trotz ihrer Erfolge verloren die Werksfahrer nie die Bodenhaftung: «Alle MZ-Werksfahrer mussten einmal im Jahr 14 Tage in die Serienproduktion. Wenn wir einen Titel geholt hatten, begrüßten uns die 3500 Mitarbeiter des MZ-Werks bei unserer Rückkehr mit Spalier. Die MZ-Leute waren wie eine große Familie.»
Die MZ-Werksmotorräder können Sie übrigens im Motorradmuseum Augustusburg besichtigen. Ein Besuch lohnt sich.
Motorschaden während des Rennens repariert
Legendär ist die Geschichte während der Six-Days auf Elba 1981. «Gleich am ersten Tag ist die Einlassmembran meines Motors gebrochen und alle Einzelteile der Membran wurden in das Motorinnere gesaugt. Mit dem Bordwerkzeug habe ich selber den luftgekühlten Zylinder abgenommen und den Kolben gewechselt, der - völlig regelkonform - vom Begleitfahrzeug ausgebaut wurde. Ich habe mir 50 Strafminuten eingehandelt, konnte aber immerhin weiterfahren. Mit dem von mir selbst reparierten Motorrad bin ich danach Bestzeiten gefahren und war am 3. und 4. Tag der Schnellste aller Klassen. Mit diesem Motorrad habe ich dann sogar noch das Abschluss-Motocross auf Elba gewonnen.»
Reparaturarbeiten gehörten zum festen Trainingsprogramm der MZ-Werksfahrer: «Einen Crossreifen haben wir damals in zweieinhalb Minuten gewechselt. Wir wussten genau: 50 Minuten hast du Zeit, um im Rennen zu überleben. Das, was man in 50 Minuten wechseln konnte, haben wir gewechselt. Das haben wir trainiert. Wir konnten sogar einen Plattfuß beheben, ohne das Rad auszubauen: Der Schlauch war aufgeschnitten und beide Enden wurden vulkanisiert, so dass wir bei einem Platten den Schlauch direkt und schnell wechseln konnten. Es gab bei uns immer ausgefallene Ideen, so sind wir durchgekommen.»
Im MZ-Versuchslabor wurden abenteuerliche Experimente durchgeführt. «Wir haben die Felge zerschnitten, um herauszufinden, wie sich ein Felgenriss auswirkt. Dabei fanden wir heraus, dass man mit einer gerissenen Felge durchaus weiterfahren kann. Wir haben alles getestet, was im Rennen passieren könnte. Bei den Six-Days mussten 6 Piloten nach 6 Tagen ohne Strafpunkte ins Ziel kommen. Du musst alles testen, wenn du gewinnen willst. Heute reichen 5 Fahrer, um die Trophy zu gewinnen. Zu unseren Zeiten waren die Six-Days anspruchsvoller als heute.»
Motocross als Pflichtprogramm
Harald Sturm ist Offroader durch und durch. Deshalb gehörte Motocross stets zum Trainingsprogramm. «Motocrosstraining bin ich viel gefahren. Wenn es die Zeit erlaubte, bin ich auch zu dem einen oder anderen DDR-Meisterschaftslauf angetreten. Allerdings war ich 36 Wochenenden im Jahr unterwegs. Als Enduro-Europameister solltest du aber so ein nationales Motocross-Rennen gewinnen! Das ist mir dann meistens auch gelungen. Ende der 1980er Jahre hatten die Fahrer des MC Kali Merkers auch schon Kawasaki-Bikes. Ich erinnere mich an ein Trainingslager in Gumpelstadt, der Heimstrecke der führenden Talentschmiede des MC Kali Merkers. Unsere Truppe war mit den MZ-Werks-Enduros so schnell wie die Motocross-Spezialisten auf ihrer eigenen Hausstrecke. Dann haben wir die Bikes getauscht und ich war auf Anhieb mit der Motocross-Kawasaki 10 Sekunden pro Runde schneller. Das waren Welten. Wenn dann die Motocrosser im Rennen vor uns ins Ziel kamen, haben wir sie gern an diese Begebenheit erinnert. Enduro-Maschinen sind nun einmal keine Cross-Bikes. Ich muss aber sagen, dass wir uns gegenseitig sehr respektiert haben, wir haben auch viel voneinander gelernt.»
Keine Chance für die Motocross-WM
Harald Sturm hatte weitere Ambitionen: «Ich war sehr ehrgeizig und wollte unbedingt einen Motocross-WM-Lauf in Holice (CSSR) fahren - einfach um zu wissen, wo ich stehe. Man hatte mir sogar schon eine MZ vorbereitet, aber dann durfte ich doch nicht teilnehmen. Ich sollte Enduro-Champion werden und mich nicht im Motocross verzetteln und verheizen. Ich war damals sehr enttäuscht. Mich hat das deshalb interessiert, weil Heinz Kinigadner zur gleichen Zeit von Motocross zu Enduro wechselte. 'Kini' hatte aber im Enduro keine Chance gegen mich. Deshalb wollte ich mich umgekehrt auch im Motocross beweisen.»
Nach der politischen Wende 1990 unterbreitete ihm Heinz Kinigadner den Vorschlag, die Dakar-Rallye zu fahren. «Rallye und Enduro sind aber zu unterschiedliche Sportarten. Ich sagte mir: 'Schuster, bleib bei deinen Leisten.'»
KTM-Store in der früheren MZ-Versuchsabteilung
Heute betreibt Harald Sturm in dem Gebäude des ehemaligen MZ-Werks sein KTM-Fahrzeughaus. «Genau hier, in meinen heutigen Geschäftsräumen, befand sich früher die MZ-Versuchsabteilung für Strassenmotorräder», erinnert sich Sturm. Von diesem Standort liefen am Tag 250 Motorräder vom Band, fast 100.000 Motorräder im Jahr.»
Zum Vergleich: KTM und Husqvarna zusammen verkauften im letzten Jahr weltweit 158.760 Motorräder.
Anfang der 1990er Jahre brach mit der kollabierenden DDR auch das MZ-Werk zusammen. «Wir wurden von heute auf morgen arbeitslos, aber ich bekam sofort von Toni Stöcklmeier das Angebot, für KTM zu fahren. Wir kannten uns ja noch als Fahrer aus den 70er Jahren. Dann bin ich noch 5 weitere Jahre nationale Meisterschaften für KTM gefahren. Nebenbei habe ich auch an die Zeit nach meiner Karriere gedacht und hier das KTM-Geschäft aufgebaut. 1995 habe ich dann endgültig den Helm an den Nagel gehängt.»
Schlägt sein Herz noch immer für MZ? «Ich bin hier mit MZ aufgewachsen. Was ich sportlich erreicht habe, habe ich mit MZ erreicht. Heute habe ich neben dem KTM- und Husqvarna-Geschäft auch ein eigenes KTM-Rennteam mit 20 Piloten und natürlich fühle ich mich mit den Mattighofenern verbunden.» Das Racing-Team von Harald Sturm hat übrigens nichts mit dem 'Sturm Racing Team' von Robert Sturm zu tun, das im Bereich der MX-Masters und des Supercross aktiv ist.
Mit MZ fühlt sich Harald Sturm also weiter verbunden. «Ich lebe MZ noch heute und ich würde liebend gern hier MZ verkaufen, wenn es die Marke noch gäbe. Ich habe sogar mein MZ-Original-Rennhemd nachschneidern lassen und die jungen Leute kaufen das heute noch hier in meinem Laden.»
60 Jahre und fit wie ein Turnschuh
«Ich fahre heute noch die 'Classic'-Rennen bei dem Rennen 'Rund um Zschopau' und ab und zu fahre ich als Freizeitvergnügen die 'KTM Adventure Tours' mit. Am liebsten cruise ich mit der KTM freeride durchs Gelände. Ich gehe einmal pro Woche zum Volleyball und im Winter mache ich Langlauf.»
Zum Feiern gab es bei so vielen sportlichen Erfolgen reichlich Anlass: «Unser Sportarzt Klaus Horn hat immer zu uns gesagt: Jungs, trinkt nach dem Rennen ein Bierchen - das schadet nicht. Im Bier ist alles drin, was ihr braucht. Deshalb hatten wir immer einen Kasten im Auto. Nach Siegen haben wir es dann auch immer richtig krachen lassen. Aber das gehört einfach auch dazu. Man muss sich auch mal richtig fallen lassen können.»
Zu seinem 60. Geburtstag wird es nun wohl krachen und es wird etwas mehr als ein Kasten werden! Sei´s drum, verdient hat es 'Sturmi' allemal!