Jerez 1999: Der Sturz und das Ende von Mick Doohan
7. Mai 1999. Es war ein weiterer trüber Tag in Jerez, der erste Trainingstag des ersten Grand Prix der Europa-Saison 1999. 20 Jahre sind seither vergangen. Mick Doohan, Titan der 500-ccm-Klasse, hatte einen normalen Start ins Jahr. Es war noch zu früh, um sich darüber Sorgen zu machen, dass es ihm möglicherweise nicht gelingen würde, den sechsten WM-Titel in Folge zu gewinnen. Aber es war an der Zeit, seine Autorität deutlich zu machen.
Die unverwechselbare Repsol-Honda war im Training die schnellste Maschine auf der Strecke. Am Nachmittag ging es um die Position auf dem Grid, aber zur Mittagszeit hatte es geregnet, was die Abläufe verzögerte. Nun war die erste 500-ccm-Qualifying-Session fast zur Hälfte vorbei, die Pfützen trockneten auf und die Rundenzeiten sanken.
Dohaan verbrachte die ersten 23 Minuten damit «einfach zu schauen, was die anderen Jungs taten. Es nützt nichts, Sprit zu vergeuden. Wenn die Jungs schneller werden würden, dann würde ich auf die Strecke gehen und reagieren», erzählte er mir von seinem Zuhause an der Gold Coast in Australien aus, wobei er sich an jedes Detail des Vorfalls erinnerte.
Der fünffache Halbliter-Weltmeister wurde immer schneller, als er in seine dritte fliegende Runde startete. Orange und blau, grollendes Honda-NSR-Geheul, er flog vorbei und verschwand außerhalb der Sichtweite in die erste Kurve. Ungefähr 30 Sekunden später hörten die Leute in den Boxen einen heftigen Aufschlag gegen die Barrieren hinter dem Anfang der Tribünen.
Es war das Geräusch vom Ende einer Ära.
Doohan regierte den Rennsport mit eiserner Faust. Er kämpfte sich nach einer fast vernichtenden Beinverletzung von Assen 1992 zurück, er litt während des ganzen Jahres 1993 und hinkte sieben Jahre später noch immer, obwohl er sich immer wieder irgendwelchen grauenvollen Operationen unterzog und sogar einen externen Fixateur brauchte.
1994 – als seine Hauptrivalen Wayne Rainey und Kevin Schwantz weg waren – begann der «Aussie» seinen Siegeszug in einer normalerweise einsamen Serie von Sonntag-Nachmittagen, wobei er fast jedes Rennen und definitiv jeden Titel bis 1998 gewann. Sein Rekord für die meisten Siege in einer Saison – 12, nämlich 1997, blieb ungebrochen, bis Marc Márquez 2014 bei 13 Rennen siegte. Aber als es Mick gelang, im Jahr von Rossis erstem 125-ccm-Titel, gab es nur 15 Rennen im Jahr. Márquez hatte drei Chancen mehr.
Doohan führte in der 500er-WM eine nüchterne Regentschaft. Er war extrem konzentriert. Manchmal erweckte er den Anschein, als ärgere es ihn, dass er keine stärkeren Gegner hatte. Aber es war nicht seine Schuld, dass er im Grand Prix-Sport damals so viel schneller und besser war als der Rest.
1999 Jahr kam er nach Europa, auf der Suche nach guten Resultaten, weil Kenny Roberts Jr. auf der Suzuki einige Punkte vor ihm lag. Keine Position, die er besonders genoss, aber er lachte, wenn er gefragt wurde, ob der Druck eine Rolle bei seinem Unfall spielte. «Überhaupt nicht. Nach nur zwei Grand Prix in einer Saison mit 15 oder 16 Rennen... Ich glaube nicht, dass wir uns zu diesem Zeitpunkt schon allzu viele Sorgen gemacht haben.»
Damals fanden die Quali-Training-Sessions am Freitag- und Samstagnachmittag statt, was bedeutete, dass, wenn sich das Wetter sich bis Samstag nicht verbesserte, die Session am Freitag die Grid-Position entscheiden würde. Tatsächlich war die Wettervorhersage gut... Aber Jerez ist zu dieser Jahreszeit oft unvorhersehbar.
Genaue Erinnerungen an den Unfall
Mick wartete die ersten 23 Minuten ab, dann zog er seinen Helm und seine Handschuhe an und hinkte zu seiner Honda NSR500. Ein kleiner Schubser von Jerry Burgess war genug, der Motor lief, er sauste die Boxengasse hinunter. Mick drehte das Gas auf für seine letzte Fahrt.
«Zu diesem Zeitpunkt trocknete die Strecke ein wenig auf. Also bin ich hinausgefahren und habe mich umgeschaut. Ich glaube, es war meine zweite oder dritte fliegende Runde», erinnert sich Mick.
Doohan: «In diesem Jahr 1999 und im Jahr davor gab es einige Rennstrecken, auf denen sie die weißen Linien vor den Grand Prix mit weißer Hausfarbe frisch bemalt hatten. Diese waren schon im Trockenen rutschig, im Nassen sowieso. An diesem Wochenende war es teuflisch. Und ich war derjenige, der am meisten Pech hatte.»
Die Linien in Jerez standen nicht nur auf der Oberfläche hervor, sondern hielten auch das Wasser, wenn die Strecke trocknete. Sie waren bekannt dafür, dass sie schwierig waren. Niall Mackenzie und Jamie Whitham kamen an diesem Tag auch nur knapp davon, genau wie Mick ein paar Runden vorher. Deshalb kam sein folgender kleiner, aber extrem bedeutender Fehler etwas überraschend. Der Unfall sorgte später für eine neue Spezifikation von Bordsteinfarben, aber da war es bereits zu spät.
Die Strecke geht nach rechts, nach der Zielgeraden, und läuft den Berg hinauf zu einer weiten Haarnadel-Kurve, dann wieder bergab, ehe es nach links auf eine kurze Gerade geht. Mick kam aus der Haarnadel-Kurve und zog sein Motorrad über die Strecke, bevor er es nach links legte, wo der resolute Zweitakter einen trällernden Schrei ausstieß und sich das Vorderteil und der Hinterteil bei zirka 220 km/h aufschaukelten. Wie Jerry Burgess, der mit einer Stoppuhr wartete, bestätigte: «Er fuhr weit raus, absolut mit Vollgas. Ich habe die Zeit für Mick gemessen. Plötzlich hörte ich einen ohrenbetäubenden Knall und sah seinen Schalldämpfer durch die Luft fliegen und ich sagte: ‚1:32 Minuten. Irgendwo dort herum wäre Mick gewesen.‘»
Mick selbst erinnert sich: «Ich glaube, der Vorderreifen berührte die weiße Linie nicht, aber der durchdrehende Hinterreifen berührte sie, uns das war’s.»
«Normalerweise bin ich auf die Strecke gegangen und habe dann ziemlich schnell an Speed gewonnen. Ich dachte, ich will die Strecke so gut es geht ausnutzen, ohne die weißen Linien zu berühren, aber der Hinterreifen war vielleicht drei, vier Zentimeter neben der Linie... Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich habe einen Fehler gemacht und es hat mich durch die Luft geschleudert. Normalerweise merkst du, wenn das Motorrad rutscht und hast einen Moment Zeit, es zu retten, aber ich merkte zum ersten Mal, dass ich nicht mehr auf dem Motorrad sitze, als ich das Motorrad von oben sah, während ich durch die Luft flog. Als nächstes erinnere ich mich an den Moment, als sie mir im Medical Center mein Leder vom Leib geschnitten haben.»
Das Motorrad war seitwärts weggerutscht, dann hat es sich selbst und seinen Fahrer in die Luft geschleudert.
Was danach passiert ist, war reines Pech. Mick hätte sicher im Kiesbett landen und weglaufen können. Aber seine Flugbahn war falsch, sein Speed zu hoch und die Barriere auf der Seite der Strecke zu nah.
Ironischerweise befand sich zu diesem Zeitpunkt ein Michelin-Zeichen auf dem hohen Zaun.
Zuerst traf er das, kopfüber und zwei Meter über dem Boden. Ein Nagel riss ihm eine tiefe Fleischwunde in die Schulter. Sein Motorrad schlug innerhalb einer Millisekunde daneben ein. Dann wurde es staubig und leise.
Micks Verletzungen waren ziemlich umfassend. Sein linkes Handgelenk war gebrochen und, wie sich später herausstellte, hatte er die Nerven in seinem linken Arm beschädigt. Seine rechte Schulter war gebrochen, dazu kam die Fleischwunde. Besonders bedeutend ist, dass er dasselbe rechte Bein wieder gebrochen hatte. Oberhalb der Stelle des vorherigen Bruchs.
Die erste Prognose besagte, dass Doohan etwa zwei Monate pausieren müsse. Doohan entschied sich für eine schnelle Lösung, um den Beinbruch zu beheben; eine knochenverbindende Operation neben der üblichen inneren Metallarbeit. Sein Ziel war, in Brünn Ende August zurückzukehren. Das bedeutete, dass er sieben Rennen verpassen würde. Als dieser Zeitpunkt kam, lief er allerdings immer noch mit Krücken, was auch noch eine Zeit lang dauern würde. Er gab auch zu, dass er mit seinem linken Arm kaum eine Dose öffnen konnte, weil dieser immer nur sehr schwach war und kaum das machte, was er wollte. Des Weiteren benötigten beide Knie zusätzliche Operationen.
Entscheidung für den Rücktritt
Tatsächlich fuhr Mick wieder mit der NSR500, als er drei schnelle und beeindruckende Demo-Runden beim GP in Australien beim letzten Rennen der Saison absolvierte, obwohl er Schwierigkeiten hatte, mit der Kupplung umzugehen. Er hatte die finale Entscheidung zurückzutreten damals noch nicht getroffen.
Der Auslöser war physisch; die Bekanntmachung erfolgte Mitte Dezember, sieben Monate nach dem Sturz. Aber die Entscheidung wurde schon früher getroffen.
«Es geschah, als mein Bein zusammengebrochen ist. Wenn ich von Anfang an entschieden hätte aufzugeben, hätte ich den Knochenleim beim Schienbein-Plateau meines Knies, ich kenne die technische Bezeichnung dafür nicht, nicht ausprobiert. Als die Schrauben den Geist aufgaben, mein Bein wieder zusammenbrach und ich diesen externen Fixateur brauchte...»
«Man hat mir gesagt, dass ich bis 2001 keine Chance mehr auf den Titel haben würde und ich entschied, dass ich einen ziemlich guten Lauf gehabt hatte, also war es nun an der Zeit für mich, davonzulaufen. Zeitlich, für mich selbst, wahrscheinlich im August. Und später, ich glaube am Ende der Saison, habe ich es bekanntgegeben, dass ich nicht mehr weitermachen würde.»
Wie sehr hat er diesen kleinen Rutscher bereut? «So ist es nun einmal gelaufen. Aber es gab viele Highlights für mich, weil es mit meiner Karriere zusammen passiert ist. Zu sagen, dass es meine komplette Karriere ruiniert hat, ist ein wenig jenseits der Realität.»
«Es kommt die Zeit, wenn du aufhören musst. Wir als Team und ich als Einzelperson haben bei weitem mehr erreicht, als wir uns je erträumt hätten, als wir angefangen haben. Einen Unfall zu haben und deswegen zurückzutreten – es wäre schöner gewesen, das Motorrad hinzustellen. Aber zu welchem Zeitpunkt stellst du das Motorrad weg?»
«Ich bin gestürzt, aber wem passiert das nicht? Und ich glaube, dass ich im Verlauf meiner Karriere seltener gestürzt bin als die meisten anderen. Es war also vielleicht keine schlechte Art und Weise, dem Sport so den Rücken zu kehren.»
Nach dem Rücktritt arbeitete Mick für kurze Zeit bei Honda als General Manager of Racing, wobei er als Rossis Mentor diente. Hin und wieder verrichtete er Kommentatorenarbeit für das Fernsehen und solche Sachen. Aber er bewies sich als größer als der Sport, den er dominierte, und wechselte zur Fliegerei, wo er jetzt sein eigenes Multi-Millionen-Dollar-Geschäft leitet. Er kauft, verkauft und verleast Flugzeuge an der Gold Coast Australiens, womit er «einigen Leuten hilft, Essen auf den Tisch zu bekommen.»
Er war der erste Rennfahrer, der jährlich eine achtstellige Gage bekam. Mittlerweise hat er sein Vermögen vervielfacht. Fliegen, besonders mit Helikoptern, als Ersatz für den Rennsport. «Es ist komplett anders. Ich habe den Motorradrennsport geliebt, auch wenn ihr oft denkt, dass dem nicht so war. Das einzige, was mir nicht gefallen hat, war teilweise der Scheiß, der damit zusammenhing. Ich habe jeden Aspekt des Rennsports genossen. Ich glaube, das hat sich auch gezeigt: Ich war lange genug dabei und ich bin bereits als Kind gefahren.»
«Aber Helikopter zu fliegen macht Spaß. Ich genieße, dass es ein komplett anderes Gefühl ist. Du vergisst, wer du bist und wirst ‚Mick, der Pilot‘.»
Während seiner Abwesenheit wurde der Rennsport enger und, darüber kann man sich streiten, aufregender.
Es gab sechs unterschiedliche Sieger in diesem Jahr 1999. Und sein Teamkollege Alex Crivillé trat aus seinem Schatten und wurde dabei der erste spanische Weltmeister in der Königsklasse. Aber wie der ehemalige Rivale Carlos Checa sagte: «Es war, wie wenn man ohne Dirigenten in einem Orchester spielt.»