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Hervé Poncharal: «Alle 3 Grand Prix im Mai in Gefahr»

Von Günther Wiesinger
Hervé Poncharal

Hervé Poncharal

Teambesitzer und IRTA-Präsident Hervé Poncharal zählt zu den einflussreichsten Menschen im GP-Paddock. Im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com erläutert er seine Sicht der Dinge im Zusammenhang mit der Virus-Krise.

Pessimisten seien ausgelernte Optimisten, sagt man. Trotzdem schließen wir uns den Weltuntergangspropheten nicht an, die jetzt schon eine komplette Absage aller Motorsport-Veranstaltungen für die Saison 2020 vorhersagen. Klar, bisher existieren nur kleine Lichtblicke, die Ausbreitung des Coronavirus wurde bisher nirgends in Europa nachhaltig eingedämmt, aber in manchen Ländern bahnen sich erste Hoffnungsschimmer an.

Die Krisenstäbe bei Dorna, FIM, IRTA und MSMA, also beim GP-Promoter, beim Weltverband, bei den Teams und Herstellern tagen pausenlos, eine Telefonkonferenz jagt die andere, es werden Informationen gefiltert, Behörden in aller Welt kontaktiert, neue Vorschriften zur Kenntnis genommen, Anpassungen gemacht, neue Szenarien ausgetüftelt – und wieder verworfen.

Der Franzose Hervé Poncharal ist Besitzer des Red Bull-KTM-Tech3-Teams, das in der Moto3-WM (Fahrer: Deniz Öncü und Sasaki) und MotoGP-WM (Oliveira, Lecuona) antritt. Dazu betreibt er ein MotoE-Team, das letzte Woche noch drei Tage in Jerez getestet hat.

Poncharal hat zudem seit 2006 die Position des IRTA-Präsidenten inne, er zählt also zu den mächtigsten Funktionären im GP-Geschäft, er vertritt die Interessen aller 42 Teams der drei GP-Klassen und verfügt deshalb über den engsten Draht zu Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta und FIM-Präsident Jorge Viegas.

Im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com legte Poncharal heute seine Sorgen dar. Er wehrt sich aber auch gegen eine Weltuntergangsstimmung und kann sich ein reduziertes WM-Programm gut vorstellen.

Dem Motorradbusiness droht – wie allen Branchen – eine weltweite Rezession. Bei KTM, Husqvarna und GasGas beginnt heute abend eine Produktionsunterbrechung, vorläufig bis nach den Oster-Feiertagen, Ducati und Aprilia haben bereits seit Tagen zugesperrt, weil ganz Italien zur «roten Zone» erklärt wurde.

Hervé, Carmelo Ezpeleta hat am Freitag gemeint, man könne 2020 noch eine «fantastische GP-Saison» zustandebringen. Daran glaubt inzwischen keiner mehr wirklich. So ein Szenario erscheint heute schwer vorstellbar, wenn nicht sogar unmöglich.

Wir müssen die Organisation im GP-Sport respektieren und anerkennen, welche Personen die verschiedenen Verantwortlichkeiten tragen. Die Kalender-Gestaltung liegt in den Händen von Carmelo. Ich will nicht in seinem Namen sprechen. Das würde einem Mangel an Respekt gleich kommen.

Aber wir können festhalten: Ich bin fast täglich mit Carmelo und seinem Sohn Carlos Ezpeleta in Kontakt, dazu mit IRTA-CEO Mike Trimby und mit FIM-Präsident Jorge Viegas.

Im Moment können wir nichts beschönigen, wir müssen ehrlich sein und zugeben: Niemand hat einen blassen Schimmer, wie stark sich der Virus noch verbreiten wird, und niemand hat eine Ahnung, wie lange uns die strikten neue Vorschriften und Maßnahmen in Kraft bleiben bleiben werden.

Die meisten Länder in Europa haben sich abgeriegelt. Die großen Sportveranstaltungen sind abgeblasen, alle namhaften Radrennen, das Tennis-Turnier Roland Garros, die Fußball-EM findet erst 2021 statt, dazu gibt es ein riesiges Fragezeichen hinter den Olympischen Spielen in Japan im Juli.

Deshalb werde es unvernünftig, heute Prognosen zum MotoGP-Kalender 2020 abzugehen, es wäre geradezu sehr blödsinnig.
Inzwischen haben alle Beteiligten kapiert, dass sich die Problematik nicht binnen weniger Wochen in Luft auflösen wird.

Der Jerez-Circuit ist zugesperrt, wir kennen die Situation in Texas, auch Malaysia ist betroffen.

Bevor wir also zu einem normalen Leben zurückkehren und an einem Rennsonntag 100.000 Menschen an einer Rennstrecke versammeln können, werden einige Wochen verstreichen. Bis zu dieser Rückkehr wird noch viel Wasser unter der Brücke durchfließen.

Inzwischen müssen wir aller vorsichtig sein und dazu beitragen, die Verbreitung des Viruses einzudämmen. Dann wird sich zeigen, an wann wir erste Anzeichen eines normalen Lebens zurückgewinnen.

Wie viele Grand Prix werden wir 2020 erleben?

Wenn du mich nach meiner persönlichen Meinung fragst: Wir haben immer noch 19 Grand Prix zu erledigen. Für mich erscheint es aber unmöglich, dass wir die Gelegenheit haben werden, diese Anzahl wirklich durchführen können. Aber ich betone: Das ist nur meine persönliche Sicht der Dinge.

Dorna-Chef Carmelo befasst sich pausenlos mit dem Kalender.
Aber wir haben bereits das MotoGP-Rennen in Katar verloren, dazu Buri Ram, Austin und Las Termas. Sie sind verschoben, aber sie sind noch nicht abgewickelt.

Wer glaubt, wir könnten am 3. Mai in Jerez mit der Saison beginnen, ist ein hoffnungsloser Träumer.

Das ist meine persönliche Meinung. Aber ich beobachte ja aufmerksam, wie sich die Situation entwickelt. Wir erleben, wie alle Länder von Tag zu Tag ihre Maßnahmen verschärfen.

Ich vermute trotzdem stark: Die Grand Prix im Mai befinden sich in großer Gefahr, also Jerez, Le Mans und Mugello.

Wir können uns glücklich schätzen, wenn wir Anfang Juni in Catalunya neu starten können.

Der aktuelle Motorrad-GP-Kalender 2020

08. März: Doha/Q (ohne MotoGP
03. Mai Jerez/E
17. Mai: Le Mans/F
31. Mai: Mugello/I
07. Juni: Barcelona/E
21. Juni: Sachsenring/D
28. Juni Assen/NL
12. Juli: KymiRing/SF
09. August: Brünn/CZ
16. August: Red Bull Ring/A
30.
August: Silverstone/GB
13. September: Misano/I
27. September: Aragón/E
04. Oktober: Buriram/TH
18. Oktober: Motegi/J
25. Oktober: Phillip Island/AUS
01. November: Sepang/MAL
15. November: Texas/USA
22. November: Las Termas
29. November: Valencia/E

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