Paolo Ciabatti: «Gesundheit muss gewährleistet sein»
Paolo Ciabatti (re.) mit Gigi Dall'Igna
Angesichts der beängstigenden Coronavirus-Fallzahlen fällt es jedem Italiener inzwischen schwer, sich kurzfristige oder mittelfristige Gedanken über die Zukunft des Motorsports zu machen. Aber als Ducati-Sportdirektor trägt Paolo Ciabatti die Verantwortung für 110 Beschäftigte bei Ducati Corse in Borgo Panigale und für mehr als zwei Dutzend Mitarbeiter, die nur für die Tests und Rennen (MotoGP und SBK) unter Vertrag stehen.
«Motorsport im Juli wäre ein Wunder», stellte Ciabatti im Gespräch mit SPEEDWEEK.com bereits am Freitag fest. Inzwischen meldet Italien 105.792 infizierte und 12.428 Todesopfer, allein gestern kamen 837 Tote dazu. Aber die Zuwachsraten schwächen sich ab, sie gehen sogar endlich leicht zurück, die strengen Maßnahmen (dritte Woche Hausarrest, kompletter Lockdown) beginnen zu wirken.
Dazu kommt humanitäre Hilfe aus allen erdenklichen Ländern, aus Russland, China, Südamerika, sogar aus Albanien.
Die Sterberate liegt in Italien bei 11 Prozent, in Deutschland bei 1 Prozent. Doch auch die deutschen Fachärzte wundern sich wie alle Kollegen in der Welt über die Widerstandskraft dieses Viruses. Sie schätzten zu Beginn der Epidemie, bei jedem Schwererkrankten maximal zehn Tage ein Beatmungsgerät zu benötigen. Jetzt ist klar: Es dauert drei Wochen. Und deshalb steigt der Bedarf an Beatmungsgeräten weltweit dramatisch an.
Inzwischen wird in unzähligen Krisenstäben rund um die Welt beratschlagt, wie die Welt nach der Virus-Katarstrophe aussehen wird, wie stark die Wirtschaft leiden wird.
Die deutsche Fußball-Bundesliga möchte im Mai wieder starten, voraussichtlich ohne Zuschauer, vielleicht nur virtuell, keiner weiß es.
Es kann auch weiterhin niemand abschätzen, wann die namhaften Motorsport-Serien wirklich weitergeführt werden und wie die Konzepte dann aussehen.
Alle Pläne müssen täglich angepasst und über den Haufen geworfen werden. Allein im Dorna-Heimatland Spanien sollen vier Grands Prix stattfinden. Aber Spanien beklagt bereits 8464 Tote, mehr als doppelt so viele wie China, dazu mehr als 95.000 erkrankte Menschen.
«Ich bin überzeugt, bei der Dorna werden alle möglichen Szenarien überlegt, damit wir loslegen können, sobald es sicher genug ist. Dann müssen wir alle Lösungen akzeptieren, die Sinn ergeben und eine Meisterschaft mit den wahren Werten ermöglicht. Zum heutigen Zeitpunkt können wir als Werk oder Team wenig dazu sagen. Es muss uns aber bewusst sein: Wir können erst wieder starten, wenn die Sicherheit und Gesundheit aller Beteiligten gewährleistet ist. Solange die Sicherheit nicht gewährleistet ist, macht es keinen Sinn, über den Zeitpunkt des Neustarts im Motorsport zu diskutieren. Wenn es so weit ist, werden wir jeden Vorschlag und jede Idee, die von der Dorna kommen, abwägen. Sie werden uns die bestmöglichen Lösungen auftischen, denn sie haben viel Erfahrung, und sie ziehen die Teams und Hersteller immer zu Rate. Deshalb rechne ich mit sinnvollen Lösungen für die Meisterschaft. Ich rechne mit guten Ideen, die sie mit uns teilen werden. Wir werden einem Neustart zustimmen, sobald es sicher genug ist.»
Die diskutierten Ideen sind weitreichend. Ciabatti kennt sie alle.
Rennen ohne Zuschauer, wie schlimm wäre das?
«Es wäre übel, weil wir daran gewöhnt sind, die Rennen als große, glückliche Party für eine riesige Anzahl Menschen zu betrachten. Aber die Umstände haben sich dramatisch verändert. Es wird also voraussichtlich nicht sehr weise sein, die Tribünen mit Fans vollzustopfen. Ich weiß nicht einmal, ob man dann nicht auch die Anzahl der Leute im Paddock begrenzen soll. Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, kannst du den Sicherheitsabstand von 1 bis 1,5 Metern nicht immer einhalten. Und ich wiederhole: Rennen im Juni oder Juli sind meiner Meinung nach nicht realistisch.»
Rennsaison 2020 nur in Europa, wegen der Reiseverbote?
Ciabatti (seufzt): «Du stellst mir eine Frage, und wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Antwort darauf. Wichtig ist jetzt: Können wir starten? Wann können wir starten? Und wie viele Rennen können wir noch abwickeln? Wo diese Rennen stattfinden, ist eine andere Geschichte. Es ist klar, dass wir im November nicht mehr an vielen Schauplätzen in Europa antreten können, weil es zu kühl wird. Aber wenn wir Anfang August loslegen können, dann stehen jetzt noch zwölf Grands Prix auf dem Plan, von Brünn bis Valencia, in vier Monaten. Wenn wir aus irgendwelchen Gründen nicht nach Thailand, Japan, Australien, Malaysia, Austin oder Argentinien fliegen können, aus welchen Gründen auch immer, dann müssen wir uns nach anderen Rennstrecken umschauen, die verfügbar sind. Aber Vorhersagen sind gegenwärtig schwierig, ehrlich. Nicht weil ich deinen Fragen ausweichen will, sondern weil wir uns in einer sehr außergewöhnlichen Situation befinden, deren Ende und Auswirkungen wir noch nicht abschätzen können.»
«Wir müssen Notfallpläne erstellen, damit wir startklar sind, sobald die Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen in Europa wieder gelockert werden. Sobald wir grünes Licht am Horizont sehen, werden wir uns marschbereit machen. Wir müssen uns auf jedes Szenario vorbereiten. Die Mindestanzahl von 13 Grand Prix, die im Vertrag zwischen Dorna und FIM festgelegt sind, können wir bereits vergessen. Wir brauchen nicht 13 Rennen, um einen würdigen Weltmeister zu küren. Wir haben es mit außergewöhnlichen Umständen zu tun. Deshalb wird man Ausnahmen machen müssen, auch vom Weltverband her. Acht, neun oder zehn Rennen reichen sicher aus, um es Weltmeisterschaft zu nennen.»
Der aktuelle Motorrad-GP-Kalender 2020
08. März: Doha/Q (ohne MotoGP)
17. Mai: Le Mans/F
31. Mai: Mugello/I
07. Juni: Barcelona/E
21. Juni: Sachsenring/D
28. Juni: Assen/NL
12. Juli: KymiRing/SF
09. August: Brünn/CZ
16. August: Red Bull Ring/A
30. August: Silverstone/GB
13. September: Misano/I
27. September: Aragón/E
04. Oktober: Buriram/TH
18. Oktober: Motegi/J
25. Oktober: Phillip Island/AUS
01. November: Sepang/MAL
15. November: Texas/USA
22. November: Las Termas/AR
29. November: Valencia/E
Ohne Datum: Jerez/E