Hervé Poncharal (KTM): «Darüber möchte niemand reden»
Hervé Poncharal (links) ist über die Gedankenspiele in der MotoGP-Klasse bestens informiert
Hervé Poncharal ist ein gefragter Mann. Der MotoGP-Teamchef des Red Bull-KTM-Tech3-Rennstalls steht in engem Kontakt mit Carmelo Ezpeleta, dem Chef der Vermarktungsgesellschaft Dorna, dessen Sohn Carlos und Mike Trimby von der IRTA. «Wir geben unser Bestes, um Lösungen zu finden, aber da sich die Situation weltweit täglich verschlechtert, können wir unsere Pläne nicht umsetzen», sagt der Franzose nachdenklich.
Wie schnelllebig die Situation ist, zeigen die einst angedachten Planspiele: Bei den Tests in Katar ging Poncharal noch davon aus, dass der Grand Prix in Thailand nur um ein paar Wochen verschoben werden muss und das Rennen in Amerika planmäßig stattfinden kann. Nach der Abreise vom Losail International Circuit verschlimmerte sich die Lage allerdings dramatisch: «Der Plan sah vor, in Jerez zu starten, aber jetzt ist es auf der ganzen Welt gefährlich, schwierig und unglaublich schlimm geworden. Wir müssen uns in erster Linie auf die leidenden Menschen konzentrieren.»
Die Austragung von Rennen ist undenkbar - unabhängig davon, ob mit oder ohne Zuschauer. Die Gesundheitskrise hält die MotoGP-Serie und die Beteiligten in Atem. «Wenn wir diesen Kampf unterstützen wollen, dann müssen wir daheim bleiben. Es ist eine sehr seltsame Art von Krieg, aber wir können ihn nur bekämpfen, wenn wir auf der Couch bleiben», meint der 62-Jährige.
Alle Pläne, die erstellt wurden, sind längst überholt. Das zeigt unter anderem auch die heutige Entscheidung der deutschen Bundesregierung, die Großveranstaltungen bis mindestens Ende August untersagt. Das hat zur Folge, dass auch der für Juni geplante Große Preis auf dem Sachsenring nicht planmäßig durchgeführt werden kann. «Wir wissen nicht, wie lange das Virus sich auf der Welt herumtreiben wird. Wir wissen nicht, ob es noch einmal verschwinden wird. Wir wissen nur, dass wir vorsichtig sein müssen», appelliert Poncharal an die Weltbevölkerung.
Der Teambesitzer ruft zu Geduld auf und vertraut den Behörden: «Eines Tages dürfen wir unsere Häuser ganz sicher wieder verlassen, aber das wird dauern und nur Schritt für Schritt vonstattengehen. Es wird nicht den einen Tag geben, an dem wir die volle Bewegungsfreiheit weltweit zurückbekommen werden.»
Für den Rennkalender bedeutet das, dass die Veranstalter «im tiefen Nebel» tappen. Poncharal beschreibt es so: «Die Menschen wollen immer ihr Schicksal kontrollieren und Pläne schmieden, aber im Moment ist die Menschheit ein Motor, der zwar noch läuft, aber bei dem die Kette gerissen ist. Wir drehen uns, aber wir bewegen uns nicht und es wird lange dauern, bis die Kette wieder repariert ist.»
Poncharal hofft, dass konkretere Planungen ab Juni wieder möglich sind. Das Worst-Case-Szenario hat aber auch er im Kopf: «Niemand möchte darüber sprechen, weil es uns Pech bringen könnte, aber Winston Churchill hat einmal gesagt: Man muss voraussehen, um zu regieren. Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. Vor einigen Wochen war das undenkbar, aber jetzt ist es möglich, dass wir 2020 vielleicht gar keine Rennen mehr fahren können. Wir wissen nicht, was das Virus macht oder wie lange die Reiseverbote bestehen bleiben.»
Die Internationalität des MotoGP-Zirkus ist nach Poncharals Meinung Stärke und Schwäche zugleich, denn: «Wenn ein Rennen in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland organisiert wird, ist die Austragung in Deutschland vielleicht möglich, aber wir haben so viele Nationalitäten in unserer Startaufstellung, Fahrer aus Nord- und Südamerika, Australien, Japan, Thailand, Malaysia, aus jedem europäischen Land - das bedeutet: Solange nicht all diese Nationalitäten ohne Einschränkung zusammen an denselben Ort reisen können, können wir nicht Rennen fahren.»
Dabei ist es Poncharals großer Wunsch, zeitnah wieder über die Rundenzeiten, die Leistung seiner Fahrer und das Fahrverhalten der Motorräder zu sprechen, aber das ist in den kommenden Monaten auch weiterhin nicht möglich.