Zwei KTM-Siege: Welche Vorteile hat ein Stahlchassis?
Mit diesem Stahlrahmen mit einzelnen Vierkantprofilen gelang KTM der Durchbruch
Der deutsche Motorradhersteller Kalex engineering aus Bobingen hat seit 2013 alle Moto2-WM-Titel gewonnen und insgesamt schon 116 GP-Siege gefeiert. 2019 entschied die Firma von Alex Baumgärtel und Klaus Hirsekorn mit Weltmeister Alex Márquez, Tom Lüthi, Augusto Fernandez, Lorenzo Baldassarri und Luca Marini 14 von 19 WM-Läufen für sich. 2020 setzt sich die Siegesserie fort.
Die beiden Kalex-Eigentümer kommen aus dem Automobilsport und haben vom ersten Tag an auf Alu-Chassis gesetzt. KTM hat seit 2012 in der Moto3-WM drei Fahrer-WM-Titel gewonnen und ist 2017 mit neuen Bikes mit Gitterrohrstahlrahmen in die Moto2-WM eingestiegen. In drei Jahren hat KTM immerhin 14 Moto2-GP-Siege errungen und mit Miguel Oliveira (2018) und Brad Binder (2019) zweimal den zweiten WM-Rang erobert. Trotzdem zogen sich die Österreicher als Chassis-Hersteller wieder aus der Moto2-Klasse zurück.
«Der Stahlrahmen ist bei uns Religion», betonte KTM-Firmenchef Stefan Pierer immer wieder. «Wir sind Weltmarktführer auf diesem Gebiet. Wir haben mehr Technologie-Knowhow bei Stahlrahmen als alle andern Hersteller und schon in der Moto3- und Moto2-WM gezeigt, dass dieses Konzept erfolgreich sein kann. Wir werden es auch in der MotoGP beweisen.»
Viele Rennfahrer und selbst ernannte Experten bezweifeln, dass sich KTM in der MotoGP-Klasse mit dem Stahlrahmen und der hauseigenen WP Suspension (alle Gegner verwenden Öhlins-Federelemente) durchsetzen kann. Manche Kritiker sagen, nicht der Eigentümer dürfe die Art des Rahmenmaterials bestimmen, diese Entscheidung müsse den Ingenieuren und Technikern der Rennabteilung überlassen werden.
Fakt ist: Ducati hat mit einem Stahlrahmen 2007 die MotoGP-WM gewonnen, seither mit dem Karbon-Monocoque (das 2011 aussortiert wurde) und dem Alu-Chassis nie mehr.
KTM hat schon 2019 in der MotoGP-WM zehn Top-Ten-Plätze errungen. Das Stahl-Konzept wurde deshalb nie in Frage gestellt. Daran ändern auch die viereckigen seitlichen Profile am neuen Chassis nichts, die beim Valencia-Test im November 2019 viel beachtet wurden. «Aber wir haben auch im Motocross Stahlrahmen mit Vierkantprofilen. Das ist nichts Neues und keine Abkehr von unserem Stahl-Konzept», versicherte KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer damals.
Nach den jüngsten Erfolgen stellte der 250-ccm-Motocross-Vizeweltmeister von 1999 fest: «Wir sind nicht trotz des Stahlrahmens in der MotoGP-WM rascher als erwartet zum Erfolg gekommen, sondern wegen des Stahlchassis.»
Schon bei den zwei Hitzerennen in Jerez (bis 42 Grad) im Juli 2020 trumpfte KTM mit Achtungserfolgen auf. «Wir verfügen heute über extrem harte und widerstandsfähige Stahllegierungen, die offenbar bei extremer Hitze verwindungssteifer sind als Aluminium», bemerkte Beirer.
Mit Kalex-Geschäftsführer Alex Baumgärtel haben wir einen kompetenten Gesprächspartner gefragt: Wieso kann man im MotoGP-Sport auch heutzutage mit einem Stahlrahmen zum Ziel kommen, obwohl er von Herstellern wie Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati udn Aprilai verschmähgt wird?
Alex, du hast dich beim Moto2-Einstieg 2010 für Aluminium entschieden. Aber Stahl hat als Rahmenmaterial gewisse Vorzüge. Warum hast du auf Aluminium gesetzt?
Prinzipiell ist das eine Technologie, bei der ich relativ flexibel bin. Das bist du natürlich mit Stahl auch. Aber ich glaube, dass Stahl sehr sensibel reagiert. Besonders wenn man auf Flex arbeitet, sind natürlich die Toleranzen sensibler, allein dadurch, dass der Elastizitäts-Modul oder das Dehnungsmodul knapp das Zweieinhalbfache höher ist. Dadurch ist auch deine Sensibilität für die Geometrie größer und empfindlicher.
Wenn du bei deiner Produktion mit Alu drei Zehntel Toleranz hättest und beim Stahl auch, wäre der Fehlerfaktor 2,5. Somit ist das Stahlthema etwas sensibler.
Ein Vorteil bei Stahlrahmen: Bei neuen Rennmaschinen in neuen Kategorien können Stahlrahmen viel leichter angepasst werden, wenn Flex oder Steifigkeit verändert werden müssen. Das wird dann einfach ein Stück im Rahmen getauscht.
Ja, klar, da kann man beim Stahl mit unterschiedlichen Wandstärken oder Rohrdurchmessern variieren. Dann bist du schneller dabei, wenn Anpassungen gemacht werden müssen. Das ist natürlich DER Vorteil bei dieser Art von Rahmen-Konstruktion.
Bei uns wird es beim Alu-Chassis in so einem Fall immer aufwändiger, weil wir ein komplettes Frästeil neu gestalten müssen. Damit sind natürlich Kosten verbunden.
Ich muss dann ein neues Programm schreiben, die Chassis-Teile werden nachher aus dem Vollen gefräst.
In der Serienproduktion werden die Alu-Rahmen nicht aus dem Vollen gefräst, dort werden Gussteile fabriziert. Aber das ist für den Motorsport bei weitem zu teuer. Die Formen dafür sind immens teuer. Da müsste man viel größere Stückzahlen machen. Das lohnt sich erst von 200 Stück aufwärts.
Du hat damit gerechnet, dass KTM in der MotoGP mit dem Stahlchassis ganz an die Spitze kommt?
Ich denke – ja. Ja.
Die japanischen Hersteller verkaufen viele Serienmotorräder mit Stahlrahmen, im Rennsport vertrauen sie auf Alu. KTM setzt konsequent auf Stahl. Sinnvoll?
Na gut, die vielen Stahlrahmen sieht man bei den Japanern in der Serie in den kleinen Hubraumklassen; da geht es um die Produktionskosten. Da muss man die Rahmenherstellung günstig halten. Das ist reine Massenware.
Wenn man sich die Wettbewerbs-Motorräder anschaut, sind sie auf einem ganz anderen technologischen Level. Da spielen sie dann auch mit Aluminiumrahmen.