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Joan Mir zu Honda: Dream-Team oder Albtraum?

Kolumne von Michael Scott
Joan Mir wird Pol Espargaró (hinter Marc Márquez) in Repsol-Honda-Farben ablösen

Joan Mir wird Pol Espargaró (hinter Marc Márquez) in Repsol-Honda-Farben ablösen

Neben dem Márquez-Comeback stachen in der Honda-Box beim Misano-Test zwei Dinge besonders ins Auge. SPEEDWEEK.com-Kolumnist Michael Scott geht der Frage nach, ob Joan Mirs Chancen auf Erfolg damit steigen.

Was ist das mitunter härteste Los, das einen MotoGP-Fahrer treffen kann? Lustigerweise zählt es gleichzeitig zu den besten Dingen, die ihm widerfahren können. Nämlich zum Honda-Werksteam zu stoßen.

Das war schon in der Vergangenheit oft so. Es war beispielsweise alles andere als einfach, mit Mick Doohan mithalten zu müssen. Aber in letzter Zeit trifft es noch mehr zu.

In den letzten rund zehn Jahren bedeutete die Tatsache, ein Repsol-Honda-Werksfahrer zu sein, letzten Endes eine von zwei Optionen: Man hat entweder beste Chancen, die Weltmeisterschaft zu gewinnen, oder die Karriere bekommt einen heftigen Dämpfer versetzt.

Der letzte Honda-Werksfahrer, der abgesehen von Marc Márquez einen Grand Prix gewann, war Dani Pedrosa im Jahr 2017. Keinem anderen ist es seither gelungen. Beim über Jahre dominierenden Werk scheint das Licht am Ende des Tunnels erloschen zu sein. Zwischen 2011 und 2019 gewann Honda noch neun Konstrukteurs-Titel, im Moment verkümmert der größte Motorradhersteller der Welt auf dem letzten Platz.

Man denke nur an Jorge Lorenzo, einen dreifachen MotoGP-Champion und begnadeten Fahrer, mit 47 Siegen – bis auf drei alle auf Yamaha, wo er mit seinem super-präzisen Stil Valentino Rossi von der Spitze verdrängt hatte. Danach wechselte der Mallorquiner zu Ducati und begann nach einer harten Lehre auch dort zu gewinnen.

Dann aber kam 2019 und Lorenzo ging zu Repsol Honda, ein Albtraum mit vielen Stürzen und Verletzungen. Und keinem einzigen Top-10-Ergebnis. Am Ende des Jahres verkündete er seinen vorzeitigen Rücktritt.

Das nächste Opferlamm war Pol Espargaró, der – mit glänzenden Augen – vom Erreichen eines lebenslangen Ziels gesprochen hatte, als er für 2021 bei Repsol Honda einen Platz bekommen hatte.

Weniger als zwei Jahre später, angezählt nach einem weiteren Wochenende mit zwei Abflügen in Misano, ist er nur allzu froh, dass er zurück in die KTM-Familie fliehen kann. Pol, ein ehemaliger Moto2-Weltmeister, holte auf Honda einen Podestplatz am Ende seines ersten Jahres 2021 und einen zweiten zu Beginn der Saison 2022. Was folgte, waren Schmerzen, Enttäuschungen und ein harter Kampf, um überhaupt in die Punkteränge zu kommen.

Gemeinsam hatten sie in Marc Márquez den Teamkollegen und selbst jetzt, in der dritten Saison seiner Verletzungsmisere, könnte der Kontrast nicht größer sein: Marc hat acht der bisher 14 Rennen verpasst und ist in der WM-Tabelle noch immer der beste Honda-Pilot.

Joan Mir ist der nächste, der sich als Marcs künftiger Teamkollege auf Messers Schneide wagt. Wird er seine Karriere nach dem Suzuki-Aus retten? Oder wird er auch er dem Fluch des vergifteten Kelchs zum Opfer fallen?

Der 25-jährige Spanier stürmte 2017 mit zehn Saisonsiegen zum Moto3-Titel. Er kletterte in seiner einzigen Moto2-Saison 2018 vier Mal auf das Podest und wechselte anschließend sofort in die MotoGP-Klasse, wo er im zweiten Jahr den Titel holte.

Sein Ruf ist genauso makellos wie seine Laufbahn, wenn auch leicht getrübt durch die Sturzserie in dieser Saison. Mir ist bekannt für seine ruhige und intelligente Herangehensweise und seine reifenschonende Technik, die ihn in der finalen Rennphase besonders stark macht.

Verbesserungen an der Honda werden immer dringender – und es gab einige Überraschungen beim zweitägigen Test in Misano. Die Rede ist dabei nicht nur vom Comeback von Marc Márquez, der nach der insgesamt vierten Oberarm-OP und 100 Tagen Zwangspause wieder auf seine RC213V stieg – und ziemlich gut dabei war, als 13. der kombinierten Zeitenliste und zweitbester Honda-Pilot.

Die echte Überraschung war nicht ein 2023-Prototyp, wie gemunkelt worden war, sondern zwei offensichtliche Veränderungen, die sehr untypischen waren.

Die sonst so entschlossen unabhängig agierenden HRC-Ingenieure hatten nicht nur eine Verkleidung mitgebracht, die der Aprilia RS-GP sehr ähnlich sah. Noch verblüffender war die Aluminium-Schwinge, die die übliche Karbon-Variante ersetzte und – wie von SPEEDWEEK.com enthüllt – von Kalex stammte, dem deutschen Chassis-Hersteller, der fast das gesamte Moto2-Feld beliefert.

Dass Honda nach einer bisher düsteren Saison nach neuen Lösungen sucht, ist nicht überraschend. Aber dass sie Technologie von außen einkaufen, ist fast beispiellos.

Die RC213V sollte in jedem Fall den Weg zurück zur vollen Stärke eingeschlagen haben. Márquez wird noch früher wieder fit sein, selbst eine Teilnahme am Aragón-GP am kommenden Wochenende ist möglich.

Was auch immer Honda gelingen mag, Mir stößt dennoch zu einem Team, das noch damit beschäftigt ist, sich aus dem tiefen Loch zu fahren.

Werden die Fortschritte und die Rückkehr von Marc dazu beitragen, dem Neuankömmling das Leben zu erleichtern?

Die Stärke von Joan Mir lag bisher im sanften Fahren des Vierzylinder-Reihenmotors von Suzuki. Die Honda, wie alle anderen schnellen, aber schwerfälligen V4-Motoren, wird ihm einen komplett anderen Stil abverlangen. Er wird mehr den Stärken des Bikes entgegenkommen müssen, als sich auf seine eigenen zu besinnen… Das ist etwas, womit selbst Rossi bei seinem Wechsel zu Ducati Mühe hatte.

Dazu kommt: Während Marcs besten Zeiten wurde die Honda immer mehr zu seinem Motorrad für nur einen Fahrer.

Mir wird vielleicht die nächsten zwei Jahre damit verbringen, es zu bedauern, dass er nicht die Chance bekommen hat, auf eine Yamaha zu springen. Er hätte als einziger Fahrer neben Fabio Quartararo beweisen können, dass er auf der Suzuki-ähnlichen M1 siegfähig ist.

Misano-Test, kombinierte Zeiten (6. und 7. September):

1. Quartararo, Yamaha, 1:31,054 min
2. Bagnaia, Ducati, + 0,118 sec
3. Viñales, Aprilia, + 0,135
4. Bastianini, Ducati, + 0,206
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 0,279
6. Martin, Ducati, + 0,385
7. Marini, Ducati, + 0,419
8. Oliveira, KTM, + 0,531
9. Bezzecchi, Ducati, + 0,537
10. Di Giannantonio, Ducati, + 0,551
11. Zarco, Ducati, + 0,552
12. Morbidelli, Yamaha, + 0,560
13. Marc Márquez, Honda, + 0,588
14. Pol Espargaró, Honda, + 0,653
15. Nakagami, Honda, + 0,732
16. Brad Binder, KTM, + 0,749
17. Alex Márquez, Honda, + 0,810
18. Miller, Ducati, + 0,873
19. Rins, Suzuki, + 0,882
20. Pirro, Ducati, + 1,016
21. Pedrosa, KTM, + 1,254
22. Raúl Fernández, KTM, + 1,292
23. Gardner, KTM, + 1,379
24. Bradl, Honda, + 1,580
25. Darryn Binder, Yamaha, + 1,766
26. Savadori, Aprilia, + 2,325
27. Aegerter, Suzuki, + 2,835
28. Dovizioso, Yamaha, + 3,843

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