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Stefan Bradl: «Bei Honda fehlt Mut für Experimente»

Von Günther Wiesinger
Marc Márquez wollte schon 2022 wieder um die MotoGP-WM fighten, er scheiterte dramatisch. Ob Honda beim Saisonstart 2023 ein Sieger-Motorrad bringt, ist fraglich. Stefan Bradl analysiert die Situation um den Champion.

Drei Jahre lang musste das ruhmreiche Repsol-Honda-Team in der MotoGP-WM zahlreiche Niederlagen und Rückschläge einstecken. Nach dem komplizierten Oberarmbruch von Marc Márquez am 19. Juli in Jerez beim Saisonstart nach dem ersten Corona-Lockdown fand die Siegesserie des weltgrößten Motorradhersteller ein jähes Ende.

Nach sechs Titelgewinnen in den sieben Jahren von 2013 bis 2019 landete Honda in der Konstrukteurs-WM zuletzt dreimal in Serie auf dem sechsten und letzten Rang. In der Fahrer-WM schnitt Marc Márquez 2022 mit Rang 13 als bester HRC-Pilot ab; in der Team-WM kamen Repsol-Honda und LCR-Honda unter zwölf Rennställen über die Plätze 9 und 10 nicht hinaus.

In den letzten Monaten wurde die Kritik der vier Honda-Fahrer Marc und Alex Márquez, Pol Espargaró und Taka Nakagami immer lauter, massiver und unmissverständlicher.

Alex Márquez und Pol Espargaró fahren 2023 für Gresini-Ducati und GASGAS-Tech3. Und Marc Márquez bezweifelt, dass er mit der 2023-Honda um den Titel fahren kann. Denn mit dem Prototyp schaffte er beim Valencia-Test am 8. November nur Platz 13.

SPEEDWEEK.com hat sich bei Honda-MotoGP-Testfahrer Stefan Bradl (33) erkundigt, wie er die Zukunft bei Honda in der Königsklasse sieht. Der Bayer hat den Spanier 2022 bei Repsol-Honda zuerst in Argentinien ersetzt, dann sechsmal ab Catalunya-bis inklusive Misano. 

Marc Márquez sprach im Herbst mehrmals Klartext. «Honda muss die Herangehensweise ändern. Die Japaner sind bei der Entwicklung zu konservativ. Mit der Ducati sind alle Fahrer schnell. Wir brauchen mehr als einen Schritt. Uns läuft die Zeit davon. Mit diesem Bike können wir 2023 nicht Weltmeister werden.»

Das ist nur eine kleine Auswahl der einprägsamsten Zitate.

Stefan, machst du dir auch Sorgen um die Motivation von Marc Márquez? Was passiert, wenn das Motorrad im ersten Saisondrittel wieder nicht konkurrenzfähig ist?

Marc wird 30. Er weiß, dass er noch zwei, drei gute Jahre vor sich hat. Er wünscht sich ein Sieger-Motorrad, das hat er mehrmals betont, auch vor seiner Rennpause beim Mugello-GP.

Marc hat beim Valencia-Test im November nicht die großen Schritte gesehen, die er sich vorstellt.

Klar, er hat sich am Oberarm viermal operieren lassen. Meiner Meinung nach ist er sich über seinen Gesundheitszustand im Klaren. Deshalb fordert er jetzt bei HRC klare Maßnahmen.

Man muss dazu sagen, dass Ducati in den letzten zwei, drei Jahren entsprechend große Schritte gemacht hat. Man sieht, dass jeder der acht Desmosedici-Fahrer schnell ist.

Die MotoGP-Weltmeisterschaft hat sich verändert. Marc kann seine Stärken auf dem jetzigen Motorrad nicht so spielen wie früher. Er muss immer mit zu viel Risiko ans Werk gehen.

Er sieht ein, dass er nimmer in der Lage ist, das Risiko dauerhaft so hochzuhalten. Er muss mehr zurückstecken und sich mehr auf das Motorrad verlassen.

Da aber alle Honda-Fahrer x-mal gestürzt sind und die Ergebnisse 2022 extrem schwach waren, das sieht man auf den Ergebnislisten, fordert er ein konkurrenzfähigeres Motorrad.

Marc ist ja nicht der einzige Honda-Fahrer, der Kritik übt. Das haben alle anderen auch gemacht, von Alex Márquez über Nakagami bis zu Pol.

Marc ist durch seine Erfolge in der stärksten Position. Deshalb fordert er jetzt laut und deutlich Verbesserungen.

Marc musste schon 2018 und 2019 ca. 30 Stürze pro Jahr hinnehmen, um die Schwächen der Honda auszugleichen. Er hat das angeprangert, wurde jedoch nicht ernst genommen. Seine erfolglosen Teamkollegen wurden der Reihe nach getauscht: Pedrosa, Lorenzo, Alex Márquez, dann Pol Espargaró.

Ja, damals haben Marc die Stürze vielleicht nicht so viel ausgemacht. Die Crashes waren immer schon Teil seiner Herangehensweise.

Er hat ja oft gesagt, er muss das Limit spüren und wissen, wann das Motorrad wegrutscht. Solange nichts passiert ist, haben ihn die Stürze nicht so stark gestört. Solange die Ergebnisse am Sonntag gepasst haben, hat Marc viel verdrängt. Es war ja immer faszinierend zu beobachten, wie er die Stürze ständig wegstecken konnte.

Aber er wird nicht jünger.

Stürze mit 338 km/h wie in Mugello 2013 oder die vier Stürze in 48 Stunden in Mandalika 2022 fordern irgendwann ihren Tribut, auch im mentalen Bereich. Besonders wenn du monatelang Zweifel hast, ob der Oberarm jemals richtig verheilt und du dreimal von Doppelsichtigkeit heimgesucht wirst. 

Man darf nicht vergessen: Die MotoGP-WM hat sich verändert. Das Überholen ist schwierig geworden, das Qualifying spielt dadurch eine entscheidendere Rolle.

Doch auf einer einzelnen Runde wie im FP3 oder im Qualifying ist die Honda nicht gut gewesen.

Wenn du dann am Sonntag in der Startaufstellung hinten auf Platz 8 oder 10 stehst, ist es eine Riesenplagerei. Dann sinken die Chancen auf ein Podestergebnis.

Die Kräfteverhältnisse haben sich in den letzten zwei, drei Jahren auch verändert. Die Konkurrenz ist deutlich stärker geworden.

2019 verlor Cal Crutchlow als zweitbester Honda-Fahrer 287 Punkte auf Weltmeister Márquez. Da hätten bei HRC die Alarmglocken schrillen müssen. Beim Katar-Test 2020 stellte sich heraus: Die 2020-Maschine wird ein Reinfall.

Ja, die Honda hatte Schwächen. Ich habe 2021 gesagt: Wir können das Potenzial der neuen weichen Reifen nur zu 80 Prozent ausschöpfen, die Konkurrenz zu 100 Prozent.

Aber es gab nicht einen einzelnen Bereich, der verbessert werden musste, es gab mehrere.

Das hat Teamchef Alberto Puig beim Deutschland-GP 2022 offen eingeräumt. Er forderte Verbesserungen auf allen Gebieten.

Es sind einige Punkte zusammen gekommen. Marc musste deshalb in den letzten Jahren ein erhöhtes Risiko eingehen.

Denn es entstand dann Aufholbedarf bei den aerodynamischen Hilfsmitteln. Und Ducati bewies Mut, weil sie dauernd Veränderungen bei den Devices und der Aerodynamik gebracht haben.

Dadurch ist auch Yamaha etwas in Rückstand geraten. Honda war nie der Vorreiter für solche Experimente, wie sie Ducati in den letzten Jahren gemacht hat.

Das fällt den Japanern jetzt auf die Füße. Ich merke, dass bei Honda ein bisschen der Mut für Experimente fehlt.

MotoGP-Ergebnis, Valencia (6.11.):

1. Rins, Suzuki, 27 Rdn in 41:22,250 min
2. Brad Binder, KTM, + 0,396 sec
3. Martin, Ducati, + 1,059
4. Quartararo, Yamaha, + 1,911
5. Oliveira, KTM, + 7,122
6. Mir, Suzuki, + 7,735
7. Marini, Ducati, + 8,524
8. Bastianini, Ducati, + 12,038
9. Bagnaia, Ducati, + 14,441
10. Morbidelli, Yamaha, + 14,676
11. Bezzecchi, Ducati, + 17,655
12. Raúl Fernández, KTM, + 24,870
13. Gardner, KTM, + 26,546
14. Nakagami, Honda, + 26,610
15. Di Giannantonio, Ducati, + 31,819
16. Crutchlow, Yamaha, + 1:28,870 min
17. Alex Márquez, Honda, + 1 Runde
– Miller, Ducati, + 5 Runden
– Zarco, Ducati, + 12 Runden
– Viñales, Aprilia, + 12 Runden
– Marc Márquez, Honda, + 18 Runden
– Pol Espargaró, Honda, + 23 Runden
– Darryn Binder, Yamaha, + 23 Runden
– Aleix Espargaró, Aprilia, + 24 Runden

MotoGP-WM-Endstand (nach 20 Rennen):

1.Bagnaia 265. 2. Quartararo 248 Punkte. 3. Bastianini 219. 4. Aleix Espargaró 212. 5. Miller 189. 6. Brad Binder 188. 7. Rins 173. 8. Zarco 166. 9. Martin 152. 10. Oliveira 149. 11. Viñales 122. 12. Marini 120. 13. Marc Márquez 113. 14. Bezzecchi 111. 15. Mir 87. 16. Pol Espargaró 56. 17. Alex Márquez 50. 18. Nakagami 48. 19. Morbidelli 42. 20. Di Giannantonio 24. 21. Dovizioso 15. 22. Raúl Fernández 14. 23. Remy Gardner 13. 24. Darryn Binder 12. 25. Crutchlow 10. 26. Bradl 2.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati 448 Punkte. 2. Yamaha 256. 3. Aprilia 248. 4. KTM 240. 5. Suzuki 199. 6. Honda 155.

Team-WM:

1. Ducati Lenovo Team 454 Punkte. 2. Red Bull KTM Factory 337. 3. Aprilia Racing 334. 4. Prima Pramac Racing 318. 5. Monster Energy Yamaha 290. 6. Suzuki Ecstar 260. 7. Gresini Racing 243. 8. Mooney VR46 Racing 231. 9. Repsol Honda 171. 10. LCR Honda 98. 11. WithU Yamaha RNF 37. 12. Tech3 KTM Factory 27.

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