MotoGP: VR46-Team ist nicht einverstanden

Wenn Track-Limits und Stewards das Podest bestimmen

Kolumne von Michael Scott
Brad Binder kam in Assen zwar vor Aleix Espargaró und Jorge Martin ins Ziel, verlor Platz 3 aber

Brad Binder kam in Assen zwar vor Aleix Espargaró und Jorge Martin ins Ziel, verlor Platz 3 aber

Nach den Vorkommnissen von Assen standen die «track limits» und die Regelauslegung der FIM MotoGP Stewards einmal mehr im Fokus. Eine kritische Einschätzung von SPEEDWEEK.com-Kolumnist Michael Scott.

«Um als Erster anzukommen, muss man erst einmal ankommen.» Diese alte Rennfahrerweisheit wurde in Assen umgeschrieben. Jetzt lautet das Motto: «Um Vierter zu werden, musst du erst einmal Dritter werden.»

So geschehen bei Brad Binder – gleich zwei Mal.

Ja, natürlich, Regeln sind Regeln. Und ja, er ist tatsächlich sowohl im Sprint also auch im Hauptrennen jeweils in der letzten Runde über die «track limits» auf das Grün gefahren – beim ersten Mal minimal, beim zweiten Mal ein kleines bisschen mehr. In beiden Fällen verschaffte er sich nicht den geringsten Vorteil.

Aber wie schon gesagt: Regeln sind Regeln. Selbst wenn das Gesetz keinen Sinn macht.

Auf diese Weise wurde der Südafrikaner aus dem Red Bull-KTM-Werksteam gleich zwei Mal dem beraubt, was er sich so hart erfahren hatte – auf einem weichen Hinterreifen, während der Großteil seiner Gegner auf der härteren Mischung unterwegs war. Als Gentleman nahm er den Fehler auf seine Knappe.

Den dritten Platz im GP-Rennen erbten so Aleix Espargaró und Aprilia. Der Routinier sah Binders Fehler in der Schlussphase und wusste, dass er keine Attacke auf der letzten Rille riskieren musste, um noch auf das Podest vorzudringen. Die Stewards würden es für ihn erledigen.

Aber hätte Aleix zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch im Rennen sein dürfen?

In den ersten, super-engen Kurven, die die historisch flüssige Streckenführung in Assen mit etwas Sachsenring-Feeling vermischen, war der Aprilia-Pilot mit Luca Marini kollidiert. Der Bremshebelschutz war daraufhin so verbogen, dass er gen Himmel zeigte.

Ebenfalls Schaden genommen hatte der mächtige Front-Flügel an der RS-GP, der an der rechten Seite abgeknickt war, sich aber dennoch nicht von der Verkleidung löste.

Stattdessen flatterte das Winglet wie wild und stellte wer weiß was mit dem Handling des Bikes an, was einerseits die Fähigkeiten und den Mut des Fahrers unterstreicht. Aber andrerseits: Was wäre geschehen, wenn dieses Verkleidungs-Stück abgebrochen und sich im Bike verklemmt hätte? Oder wenn es einen nachfolgenden Fahrer getroffen hätte?

Schon Abreißscheiben wurden für Stürze verantwortlich gemacht, was hätte dann erst ein halber Flügel anrichten können?

Diese Gefahr bestand ganz klar. Warum um alles in der Welt wurde ihm also nicht die schwarze Flagge mit dem orangen Kreis gezeigt? An einem Wochenende, an dem die Regeln Buchstabe für Buchstabe angewandt wurden – mit Ausnahme der Fälle, in denen das eben nicht der Fall war.

Long-Lap-Aufregung um Pedro Acosta

Das bringt uns zur Moto2, als Pedro Acosta in der finalen Schikane beinahe über die Front gestürzt wäre, sich aber mit einem wundersamen Save rettete – und dadurch auf Abwegen unterwegs war. Er schaute sich um, um auf sichere Weise wieder auf die Linie zurückzukehren, und setzte sein Rennen fort.

Durch diesen Vorfall hatte der Titelanwärter bereits eine Position eingebüßt, nachdem er kurz zuvor den späteren Sieger Jake Dixon im Kampf um Platz 2 überholt hatte. Nun also auf ein Neues…

Hätte Pedro denn keine Belohnung für sein Kunststück verdient? Nicht aus Sicht des umstrittenen FIM MotoGP Stewards Panels. Er hatte Zeit verloren, ja, aber offenbar nicht genug, jedenfalls weniger als die erforderliche Sekunde.

Das Ergebnis? Für das Abkürzen der Schikane bekam Acosta eine Long-Lap-Strafe aufgebrummt. Dieser Umweg kostete ihn zusätzliche 1,9 Sekunden.

Beim Absitzen dieser Strafe war das Glück (wenn man es als Glück bezeichnen will) aber auf der Seite des Ajo-Jungstars. Aus der Perspektive der TV-Kamera verirrte sich Acosta innen nämlich klar über die weiße Linie, die die Long-Lap-Schleife begrenzt.

Oder war es nur eine optische Täuschung? Die Stewards waren sich dem sicher und verdonnerten den Titelanwärter nicht zu einer zweiten Long-Lap. Um diese Entscheidung zu rechtfertigen, wurde im Anschluss eine verschwommene und verpixelte Aufnahme der Videoüberwachungssysteme veröffentlicht.

Wie dem auch sei, Acosta rettete dadurch einen dritten Platz. Das ist gut für jene, die der Ansicht sind, dass es im Rennsport immer wieder zweifelhafte Moment gibt, das Ergebnis aber dennoch auf der Reihenfolge basieren sollte, in der die Fahrer die Ziellinie kreuzen. Schlecht ist es für die, die der Auffassung sind, dass die Stewards etwas zu anmaßend agieren. Und zu kleinlich, unflexibel und eigenmächtig.

Man möge mir vergeben, wenn ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnere, dass der Vorsitzende des Stewards Panels, Freddie Spencer, 1983 gar nicht Weltmeister geworden wäre, hätte er damals die «track limits»-Regeln bei seinem eigenen Vergehen in Schweden angewandt.

Damals gab es noch keinen Aufschrei, wenn Streckenbegrenzungen in der Hitze des Gefechts überfahren wurden. Es wurde manchmal vielmehr bewundert. Wer erinnert sich nicht an Rossis Überholmanöver in Laguna Seca 2008, als er sich in der Korkenzieherkurve neben der Fahrbahn an Stoner vorbeischob? Und als Márquez 2013 in Valencia gegen Valentino dasselbe tat?

Es wäre Spencer und seinen Kollegen hoch anzurechnen, wenn sie ein wenig gesundes Urteilsvermögen beweisen würden, anstatt nur an den Buchstaben des Regelwerks zu kleben.

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