MotoGP-Tumult in Austin: Sport oder schlechte Satire?

Zweiter Startversuch der MotoGP in Austin
Der Schlüsselsatz der Argumentation von MotoGP-Rennleiter Mike Webb nach dem Startabbruch von Austin ist unmissverständlich: «Ein Neustart des Rennens war die sicherste Lösung, um auf die noch nie dagewesenen Umstände beim Start des Grand Prix zu reagieren.»
Die Situation auf der diesigen Startgeraden des Circuit of the Americas brach so unvorbereitet über die Offiziellen der MotoGP herein wie ein Hase, der aus dem Nichts über die Fahrbahn schießt. Dem Schock folgt meist eine Schreckbremsung. Ist diese trainiert, spricht man von einer kontrollierten Gefahrenbremse. Ist sie jedoch ungeübt, könnte man die Reaktion ab sofort auch als «Austin-Vollbremsung» bezeichnen.
Auf der einen Seite ist die Reaktion der Rennleitung verständlich, denn in der Tat gab es in der Geschichte der modernen MotoGP nie zuvor eine Situation, in der nahezu zeitgleich die halbe Startaufstellung (genau waren es 9 der 22 Bikes mit Fahrern und je 2 Helfern) die Flucht durch eine Garagentor-breite Öffnung in der Boxengasse antrat.
Überwältigt von der Hektik und Unordnung macht man das Naheliegende, wenn es sich um die eigene Party handelt – man stellt den Strom ab, ruft alle zur Besinnung und lässt dann geordnet und nach etwas Frischluft weiter tanzen.
Auf der anderen Seite gibt es ein dickes MotoGP-Regelhandbuch, welches selbst das am Rennsonntag in Austin erstmals aufgetretene Szenario abdeckt. Seit 2019 gilt die Regelung: Verlassen mehr als 10 Piloten die Startaufstellung nach der Warm-up-Runde, um aus der Boxengasse zu starten, muss der Start abgesagt und neu angesetzt werden.
Bei bis zu 10 Piloten greift ein haarklein beschriebener Prozess, wie sich die Piloten bei einem Start aus der Boxengasse zu verhalten haben. Als kleinen Klaps auf den MotoGP-Hintern gibt es dazu eine Durchfahrtsstrafe während des Rennens. So weit, so gut.
Faktisch verließen drei Minuten vor der offiziellen Startzeit aber nur 9 Piloten mitsamt Material ihren Startplatz. Korrekt und fair wäre also ein regulärer Startablauf gewesen.
Unweigerlich stellt sich die Frage: Warum wurde der Start denn nun wirklich abgebrochen? Um das Risiko einer Massenkarambolage in der Boxengasse mit verletzten Aktiven zu vermeiden? Die offizielle Antwort darauf lautete ja – und ist reine Ermessenssache. Denn eine Situation wie am Sonntag in Austin um kurz vor 14 Uhr, die wurde nie zuvor trainiert – und lässt sich auch nicht trainieren. Die Festlegung auf die Zahl 10 als Sicherheitsindikator wurde nach bestem Wissen und Gewissen getroffen, hat aber nichts mehr mit der Sicherheitsrealität einer Rennstrecke zu tun.
Auch ging man davon aus, dass dieser Fall sowieso niemals eintreten würde. Aus der Historie ist das durchaus verständlich. Doch das Prinzip Hoffnung reicht nicht aus, wenn ein hochkomplexes internationales Sport-Großereignis im Live-Modus vor einem Millionen-Publikum aufgeführt werden soll. Abgesehen davon – und das ist nur der Hinweis eines MotoGP-Fans – muss immer dann, wenn Marc Marquez in einer Startaufstellung steht, mit allem gerechnet werden.
Den Spanier als Anstifter auszubuhen ist zwecklos. Marc Marquez hat sich nur maximal konsequent im eigenen Interesse an die Regeln gehalten.
Das größte Dilemma des Startversagens von Austin: Niemand hat verstanden, was dort eigentlich gerade vor sich geht. Sowohl Fans vor Ort als auch Medien und im Besonderen die Zuschauer an den Bildschirmen konnten den Klamauk schlicht nicht nachvollziehen.
Das COTA-Startchaos als Paradebeispiel für eine völlige Überregulierung des eigentlichen Sports. Gedankenspiel: Es gäbe den gesamten Regelparagraphen zum Motorrad-Tausch nicht. Ein Rennen wird mit dem Bike bestritten, mit dem der Fahrer die Startaufstellung erreicht. Die Fans hätten nichts anderes als ein hochspannendes Grand-Prix-Rennen gesehen, das durch besondere Wetterumstände einen besonderen Kick bekommen hätte. Womöglich hätte es einen Underdog-Sieg gegeben. Vielleicht hätte ein alter Hase auf dem richtigen Gummi am lautesten gejubelt. Sicher aber wäre allen Beteiligten und erst recht dem weltweiten Publikum die unvermeidbare peinliche Regulierungs-Show erspart geblieben.
Ein geschätzter Kollege von mir wurde einmal auf einer englischen Rennstrecke auf einer «fast trockenen» Ideallinie von einer mit Slicks bereiften 500er-Zweitakt-Harris-GP-Yamaha abgeworfen. Ein rustikaler Streckenposten beugte sich zu dem leicht benommenen Crash-Piloten hinab und erinnerte ihn: «Mate, you live – and you learn.» Eine Übersetzung erübrigt sich. Der gesunde Hausverstand reicht, um die schlichte Lebensweisheit einzuordnen.
Um wieder zum Rechtfertigungsstatement der Rennleitung in Texas zu springen – dort heißt es auch: «Wir werden die Situation gemeinsam mit den Teams analysieren und das Reglement überarbeiten.» Wünschenswert wäre hier vor allem ein Lüften des Regelwerks. Weniger ist mehr als Denkanstoß im Sinne des Sports.
Und das Beste: Auch der Sicherheit wäre gedient. Massenstarts aus der Boxengasse wären von vorne herein ausgeschlossen. Rennen sollten weder in der Startaufstellung noch in der Boxenstraße, sondern ausschließlich auf der Rennstrecke ausgetragen werden. Denn auch nur das erleben die Fans des Rennsports als Begeisterung.