Wilco Zeelenberg: «Wir haben Márquez unterschätzt»
Der Niederländer Wilco Zeelenberg (47) ist im Yamaha-Werksteam als Manager für Jorge Lorenzo zuständig, sein Kollege Massimo Meregalli kümmert sich um die Belange von Valentino Rossi.
Zeelenberg blickt selbst auf eine lange Rennfahrerkarriere zurück. Er gewann 1990 den 250-ccm-GP auf dem Nürburgring auf einer Werks-Honda NSR 250.
Im Gespräch mit SPEEDWEEK.com spricht Wilco Zeelenberg über die MotoGP-Saison 2014 und den steilen Aufstieg von Weltmeister Marc Márquez.
Wilco, vor einem Jahr um diese Zeit haben alle Experten gerätselt, ob Marc Márquez bereits in seiner ersten MotoGP-Saison einen WM-Lauf gewinnen könnte. Diese Frage hat sich recht rasch geklärt. Er gewann das zweite Rennen. Was hast du vor einem Jahr von Márquez erwartet?
Hm, gut... Jeder dachte, dass er mehr Zeit brauchen würde. Alle wussten, dass er schnell sein würde. Aber man dachte, er müsse sich erst von der Moto2- auf die MotoGP-Maschine umgewöhnen...
Er hat es schneller geschafft als die meisten seiner Vorgänger.
Es hat nicht viele Rookies gegeben, die in der Königsklasse von Anfang an konkurrenzfähig waren. Jorge Lorenzo war einer der wenigen, die gleich bei ihrem ersten MotoGP-Rennen auf der Pole-Position standen. Und Max Biaggi hat 1998 in Suzuka gleich sein erstes 500-ccm-Rennen gewonnen. Es ist ganz klar, das Marc und Jorge bei der Angewöhnung vor den anderen waren. Sie haben sich schneller auf dieses Bike umgestellt. Sogar Valentino hat in seinem ersten 500er-Jahr grössere Probleme gehabt als Jorge und Marc.
Auch Casey Stoner hat 2006 in Katar auf der LCR-Honda gleich bei seinem MotoGP-Debüt die Pole-Position geschafft.
Ja? Dann ist klar, er gehört auch zu den ganz Guten, die sich rasch umgestellt haben.
Was mich 2013 überrascht hat, war die Beständigkeit von Márquez. Ich dachte, er muss mehr pushen, um mit den Schnellsten mitzuhalten, er würde also mehr Risiken eingehen und in den Rennen häufiger stürzen.
Er ist zwar mehrmals gestürzt, aber mit Ausnahme von Mugello immer nur im Training. Die vier Trainings haben ihm genügt, um für das Rennen einen guten Speed zu finden. Er war am Sonntag meistens in der Lage, Jorge und Dani zu verfolgen, ohne übertriebene Risiken eingehen zu müssen.
Das heisst: Marc haben die vier Trainings gereicht, um das Motorrad und die Piste kennenzulernen und auf das Level zu kommen, auf dem sich seine Gegner befanden. Das war das Eindrucksvollste, was man in Zusammenhang mit Marc sagen kann. Und diese Fähigkeit hat ihm schliesslich zum Titelgewinn verholfen.
Er hat sechs Rennen gewonnen und war bei 18 Rennen 16 Mal auf dem Podest. Eine grossartige Leistung.
Marc Márquez hat einfach den Mangel an Erfahrung durch zusätzliche Aggressivität wettgemacht. Jetzt hat er mehr Erfahrung, also kann er die Risikofreudigkeit etwas zurückschrauben?
Ja, ich denke schon. Márquez hat am Saisonbeginn mehrmals ganz klar gesagt: «Ich bleibe lieber an Jorge und Dani dran und gehe das Risiko eines Sturzes ein. Denn wenn ich sie wegfahren lasse und Vierter werde, lerne ich nichts.» Dieses System war mit viel Risiko verbunden, das konnte jeder Zuschauer beobachten.
Aber in der zweiten Saisonhälfte musste Marc nicht mehr so viel riskieren. Obwohl man sagen muss: Auf gewissen Gebieten muss er noch dazulernen. Bei den Überholmanövern oder beim Verfolgen von Gegnern kann er sich noch klüger anstellen. Aber er hat auch enorme Stärken. Er weiss, wie man an einem Vordermann vorbei kommt... An den unmöglichsten Stellen. Das Überholen fällt ihm leicht. Diese Stärke wird er beibehalten.
In Valencia haben wir jedoch erlebt, dass auch Jorge dazu fähig ist. Er hat dort an allen möglichen Stellen überholt. Aber diese Fahrweise war mit viel Risiko verbunden.
Normalerweise kannst du das bei einem oder zwei Rennen machen, aber nicht eine ganze Saison lang. Denn eines Tages wirst du bei so einer Fahrweise draufzahlen. Sie geht nicht immer gut.
Marc ist jetzt Weltmeister, er wird nicht mehr so hitzköpfig sein. Er wird ein bisschen ruhiger werden.
Er hat schon sechs Rennen gewonnen, er hat eine grosse Zukunft vor sich. Das weiss er bereits. Er ist der Mann der Stunde. Er ist der Champion.