MotoGP: Bagnaia über die Niederlage

Dirk Debus (Forward): «Wir kämpfen bis zum Umfallen»

Von Günther Wiesinger
Dirk Debus, Elektronikchef bei Forward-Yamaha, erklärt die bisher schwachen Leistungen von Stefan Bradl und sagt, warum er nach dem Jerez-Test deutlich zuversichtlicher ist.

Stefan Bradl und das Athina Forward Racing-Team sind bei den ersten drei MotoGP-Rennen 2015 hinter den Erwartungen geblieben: Platz 16 in Doha, in Austin in Runde 4 durch Jack Miller aus dem Rennen befördert, in Las Termas als viertbester Open-Class-Pilot (hinter Miller, Barbera und Baz) nur auf Platz 15, wieder nur Platz 16 in Jerez, derzeit mit einem Punkt in der WM-Tabelle nur an 21. Position.

Bradl geriet beim Katar-Test Mitte März wegen einer Magen-Darm-Infektion sowie wegen eines Sturzes in Rückstand, dazu gab es mehrmals Defekte und Set-up-Probleme mit der Einheits-Elektronik von Magneti Marelli. Erst beim Montag-Test nach dem Jerez-GP wurden bei der Abstimmung der komplexen Traction-Control Fortschritte erzielt.

Dirk Debus, Mitinhaber der Firma «2D datarecording» und bei Forward für die Elektronik verantwortlich, erklärt im Gespräch mit SPEEDWEEK.com den Stand der Dinge.

Dirk, du hast am Samstag in Jerez einmal gesagt: «Wir haben viel Arbeit. Richtig viel Arbeit.» Du warst teilweise etwas ratlos, was man bei dir eigentlich nicht gewöhnt ist. Wie lautet dein Resümee zum Jerez-GP von Stefan Bradl?

Ja, ich habe mir zwischendurch ernste Sorgen gemacht und Kopfzerbrechen gehabt. Denn wir haben letztes Jahr bei der Marelli-ECU die Traction-Control mit einer Tabelle so hin optimiert, dass sie gut fahrbar war. Fahrbar für Aleix Espagaró. Im November kam der Stefan. Er sagte, das ist super safe, aber mit seinem Fahrstil, in voller Schräglage Gas zu geben, die Schräglage vorerst noch beizubehalten und dann die Maschine erst hochzurichten, da wurde er von der Traktionskontrolle zu stark zurückgehalten.
Das haben wir auch gesehen, ?schon beim Jerez-Test im November.
Dann kam für den ersten Sepang-Test Anfang Februar die neue Firmware von Marelli. Bei ihr war quasi das, was wir 2014 in eine Tabelle reingepackt haben, auf fünf neue Strategien verteilt.
Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen die eine Tabelle auf fünf Strategien aufsplitten, die Tabelle von 2014 funktioniert nicht mehr.
Die fünf Strategien lauten: Einmal für volle Schräglage, einmal für Vollgas, einmal für «drive area», einmal für Strecken mit wenig Grip und einmal für Strecken mit gutem Grip. Damit wir das auch getrennt schön einstellen können.
Für diese Arbeit fehlten uns die drei Testtage in Doha, mit Krankheit, Sturz und Absage wegen Regens. Erschwerend kommt dazu, dass wir bei Yamaha als Open-Class-Team alleine sind. Wir haben keinen Testfahrer, wir müssen das immer im vollen GP-Rennbetrieb am Wochenende in den offiziellen Trainings testen. Damit sind wir in Doha im Rennen relativ gut hingekommen.
In Austin haben wir bei Stefan zweimal richtig Pech gehabt mit den Reifen, auch wenn Bridgestone das nicht ?gern hört. Wir haben im Warm-up einen mangelhaften Reifen gehabt, was Stefan ein bisschen die Motivation nahm. Im Qualifying in Texas war der Reifen auch nicht optimal.
Im Rennen hat sich dann alles super angefühlt, sagte Stefan, aber Jack Miller hat ihn runtergefahren. Dann war er halt weg...
Nachher kam Argentinien. Dort haben wir uns vielleicht ein bisschen verleiten lassen zu glauben, es liegt nur an der Strecke, weil es wieder ein komplett anderer Streckenstil war. Wir hatten sehr viel Wheelspin und sind immer in unseren Endbegrenzer gekommen mit Cutting, also Motoraussetzern. Das bedeutet beim Marelli-Setting praktisch «Notbremse», es wird Power weggenommen, damit der Fahrer nicht auf die Nase fällt.
Wir dachten, der starke Wheelspin habe mit der Streckenbeschaffenheit zu tun, der Belag war dreckig. Zum Rennen hin wurde das Wetter warm, der Hinterreifen hatte also noch mehr Spin. ?Vor dem Rennen haben wir mit Stefan nicht genügend darüber gesprochen, wie er vorgehen muss. Er hat bei der Traction-Control auf «mehr Traction-Control» geschaltet, er hätte aber runterschalten und mehr Spin zulassen müssen. Deswegen war er immer in dieser Begrenzung – und es ging nimmer vorwärts.

So ein Fehler passiert wahrscheinlich nur einmal, nicht wahr?

Ja, und es ist für den Fahrer auch nicht so leicht zu entscheiden, wann muss ich jetzt rauf und wann runterschalten, weil die Frage «Wann will ich mehr Spin?» nicht so leicht zu beantworten ist. Da kann man dem Stefan keinen Vorwurf machen.

Kann man in dem System auch wieder zurück in den alten Modus wechseln?

Ja, der Fahrer kann beim Wheelspin jederzeit rauf und runterschalten, sowie man bei einem Verstärker den Lautsprecher lauter oder leiser machen kann.

Dann folgte der Jerez-GP. Dort hatte Bradl mit Forward schon getestet, mit Platz 11 im ersten freien Training ging es vielversprechend los.

Ja, wir haben das Setting für die Traction-Control ein bisschen modifiziert. In Jerez sind aber die Kurven wieder ganz anders gestaltet als in Argentinien. Stefan hat dann gesagt, das gewählt Setting passt ihm nicht, es ist zu frei.
Wir können aber zwischen zwei freien Trainings aus Zeitgründen keine grösseren Veränderungen machen, weil das zu komplex ist. Wir haben dann in der Nacht von Freitag auf Samstag dann lang geschafft und viel gemacht. Alles top. Stefan fuhr im FP3 raus, es war alles gut.
Uns ist aber insgesamt aufgefallen, dass Stefan im Vergleich zu Aleix im letzten Jahr sehr früh den «edge grip» am Hinterreifen verliert und nicht mehr so gut beschleunigen kann, weil der Hinterreifen viel durchdreht.
Wir können mit der Traction-Control keinen Grip herbeizaubern. Wenn der weg ist, ist er weg.
Wir haben also beim Montag-Test herausfinden müssen, warum hat Stefan den Spin so früh? Aleix hat 2014 gegen Ende des Rennens so viel Spin am Hinterrad gehabt wie Stefan nach vier, fünf Runden.
Weil so viel Spin ist, konnten wir das mit der Traction-Control nicht mehr ausgleichen.
Wir müssen jetzt überlegen, ob wir beim Stefan einfach mehr Spin zulassen, so dass er sagt: Okay, dann lass ich das Hinterrad halt fünf Prozent mehr durchdrehen. Bridgestone sagt ja auch immer, Stefan ist ein Fahrer mit einer der höchsten Temperaturen im Hinterreifen.
Jetzt müssen wir rauskriegen, warum das so ist.
Generell kann ich sagen, dass wir beim Jerez-Test endlich das ausprobieren konnten, was wir beim Doha-Test wegen der erwähnten Gründen nicht testen konnten. Es war ein Schritt vorwärts. Ich schätze, wir haben jetzt eine bessere Basis für Le Mans.
Ohne die Ergebnisse vom Montag-Test wäre Le Mans ganz schwierig geworden.

Stefan ist sicher 10 oder 12 kg leichter als Aleix Espargaró. Kann das beim Wheelspin eine Rolle spielen?

Er ist sehr leicht, richtig. Jetzt versuchen wir rauszukriegen, welche Auswirkungen das hat. Aleix hat im Vorjahr immer gesagt: Mit vollem Tank ist das Motorrad unfahrbar. Stefan sagt: Er merkt, dass das Tank voll ist, es wird dadurch etwas schwieriger, aber die Yamaha fährt sich in den ersten Rennrunden super. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass er zu leicht ist, er dadurch hinten nicht genug Druck auf den Reifen kriegt und deswegen der Hinterreifen so stark durchdreht.

Stefan meint, er sei gleich schwer wie Marc Márquez und Casey Stoner und schwerer als Dani Pedrosa. Bei Honda habe sein Gewicht nie Probleme verursacht. Fährt er einen zu runden Fahrstil – zu viel Moto2?

Das ist definitiv ein Punkt. Wenn du lange auf der «edge», also auf der Reifenkante, fährst und beschleunigst, wird die «edge» sehr warm. Dadurch wird der Gummi wärmer, was sich auf den Grip negativ auswirkt. Das ist eine Idee. Stefan beschleunigt wirklich extrem in voller Schräglage... und wir haben auf der Yamaha viel «edge grip», wodurch der Reifen aber sehr warm wird. Wenn das Motorrad dann aufgerichtet wird, kühlt sich der Reifen nicht mehr ab, so dass er nur noch durchdreht.

Das hat dann bei Honda dazu geführt, dass Stefan Bradl in der letzten Rennhälfte manchmal Zeit und Plätze eingebüsst hat?

Ja, das hat man bei Honda gesehen. Stefan war im Qualifying immer sehr stark. Im Rennen wurde es nach hinten raus schwieriger, weil er den Grip nicht mehr hatte.
Das sind die Symptome, die wir jetzt auch erkennen, für die wir Rennen brauchen.

Stefan Bradl hat zwar bei den ersten Rennen nicht die erhofften Resultate erreicht. Aber er ist in Jerez in der zweiten Rennhälfte oft schneller gefahren als viele Gegner weit vor ihm.

Das habe ich schon im Herbst vermutet, dass Stefan auf der Yamaha sehr konstante Rennen fahren kann.
Argentinien war für ihn ein psychologischer Rückschlag. Stefan hat durch das viele «Cutten» der Motorleistung keine Lust mehr. Er ist in der letzten Runde ein paar Zehntel schneller gefahren als vorher. Also hat er vorher nicht richtig am Hahn gedreht. Das ist alles okay. Das ist alles gegessen.
Im Rennen von Jerez hatte Stefan Problem mit der Motorsteuerung von Marelli. Da hat nach der Besichtigungsrunde die Recovery-Strategie versagt. Die ECU wusste nicht mehr, in welcher Kurve sie sich befand.
Dazu kamen die Probleme mit der Bremse, die im Wundschatten überhitzt hat. Er musste sich dann immer wieder aufs Verstellen konzentrieren.

Bei Marelli gab es schon mehrmals ein Versagen des Hinterrad-Sensors für die Traction-Control, in Katar und dann in der Out-lap im FP2 in Jerez, wo es zum Sturz führte. Dann der Orientierungsverlust der ECU im Rennen. Wie kann Marelli dieses Probleme in den Griff kriegen?

Marelli arbeitet daran. Die haben einige Werte recht eng programmiert. Und der Safety-Reset-Algorithmus an der Marelli hat beim Start in Jerez halt nicht so funktioniert, wie er funktionieren hätte sollen.

In Jerez beklagten sich auch andere Open-Fahrer wie Jack Miller über zu viel Wheelspin. Und Héctor Barbera sagt, die aktuelle Marelli-ECU sei ein Rückschritt gegenüber jener Elektronik, die er 2012 bei Pramac-Ducati hatte. Das ist doch ein Armutszeugnis?

Wie gesagt: Wir bei Forward kämpfen bis zum Umfallen. Wir geben nicht auf. Mein Eindruck ist, dass Stefan Vertrauen zu uns hat, wir haben ein sehr gutes Arbeitsverhältnis, wir strengen uns an, beide Seiten, also Technik und Fahrer.

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