Misano-GP: Warum sprach niemand ein Machtwort?
LCR-Honda landete mit Jack Miller (43) und Cal Crutchlow auf den Plätzen 11 und 12
Das MotoGP-Rennen von Misano am letzten Sonntag war für die Fahrer, Teams und Zuschauer schwer berechenbar.
«Ich habe nach den beiden Boxenstopps rundenlang nicht gewusst, in welcher Position ich mich befand», schilderte Stefan Bradl.
Zwei Boxenstopps in einem Rennen mit zwei Motorradwechseln – das hat bisher kein Fahrer erlebt.
Und noch heute wird darüber gerätselt, welche Strategie die optimale gewesen wäre.
Denn Marc Márquez siegte mit zwei Stopps, und er hielt eigentlich immer dann, wenn sich auch viele andere Fahrer zum Boxenbesuch entschlossen.
Der Weltmeister und Repsol-Honda-Star hatte in der WM nichts zu verlieren, er konnte gegenüber Rossi und Lorenzo, die sich gegenseitig belauerten, nur gewinnen.
Marc Márquez hatte vor dem Rennen alle Eventualitäten besprochen. Aber es bestanden trotzdem viele Unwägbarkeiten. In so einer Reifenlotterie lässt sich nicht viel vorausberechnen.
Es muss Situations-elastisch entschieden werden.
Es konnte ja niemand ahnen, dass Bradley Smith von A bis Z mit Slicks durchfahren würde – und Platz 2 schafft.
Und es konnte niemand ahnen, dass Scott Redding in diesem Trubel frühzeitig stürzen, deshalb frühzeitig zum Regen-Motorrad-Holen an die Box brausen – und schliesslich auf Platz 3 durchs Ziel fahren würde. (Smith und Redding lagen zwischendurch auf den Rängen 20 und 26!)
Und es konte niemand wissen, dass Loris Baz nur sechs Runden mit den Regenreifen draussen bleiben und dadurch vom 20. auf den vierten Platz preschen würde.
Und wenn man manchen Fahrern jetzt vorwirft, sie seien zu konservativ gewesen und hätten die Stopps nicht perfekt getimt, dann haben wir als Aussenstehende leicht reden. Wer hat schon jemals ein 260-PS-Gerät im Regen auf Slicks um eine rutschige Rennstrecke mit einem neuen, dunklen, unberechenbaren Belag kutschiert?
Aber eines ist klar: Jeder an der Box sah, dass Loris Baz auf der Forward-Yamaha nach dem frühen zweiten Stopp mit den Slicks in den ersten fliegenden Runden 8 bis 10 Sekunden schneller unterwegs war als die Gegner mit den Regenreifen. Diese Informationen fehlen den Piloten auf der Strecke. Sie wissen nicht einmal genau, wie viele Vorderleute oder Verfolger schon an der Box waren und wie viele nicht.
Zu diesem Zeitpunkt hätten alle Rennställe, die in der WM nichts zu verlieren und zwei Fahrer draussen hatten, reagieren müssen. Sie hätten bei einem Fahrer auf Risiko setzen und beim anderen die konservative Strategie beibehalten sollen.
Ich denke da zum Beispiel an das Suzuki-Werksteam, an Aprilia Racing und an LCR-Honda, die schliesslich die Ränge 10 und 14 (Suzuki), 15 und 16 (Aprilia) und 11 und 12 (LCR) belegten.
Klar, im Nachhinein ist man immer schlauer.
Aber da hätten die Teamverantwortlichen blitzschnell eingreifen müssen. Wenn Loris Baz dank perfekter Strategie auf Platz 4 landen kann, kann auch ein Crutchlow oder Vinales oder Bradl mit einer ähnlichen Strategie irgendwo zwischen Platz 6 und 10 landen.
Selbst Repsol Honda hätte bei Dani Pedrosa (im Ziel nur Neunter) auf Risiko setzen können. «Wir hätten mehr riskieren sollen», grübelte Stefan Bradl nach dem Rennen.
In der Formel 1 sind unterschiedliche Strategien für zwei Fahrer an der Tagesordnung.
In der MotoGP-Klasse scheitert es an den Hierarchien. Die Teams arbeiten getrennt, die beiden jeweiligen Crew-Chiefs kooperieren kaum, die Teambesitzer oder Teamprinzipals mischen sich in dieses operative Geschäft kaum ein.
Ein Fehler. An diesem turbulenten Renntag an der Adria hätte jeder Teamchef mit einem Schlag als grosser Taktiker berühmt werden können. Die beiden Aprilia-Asse Bautista und Bradl kurvten die meiste Zeit auf den Rängen 15 bis 20 herum. So eine Chance auf einen Top-5- oder Top-Ten-Platz ergibt sich nur einmal im Jahr.
Künftig wird in so einem Fall jemand ein Machtwort sprechen müssen, selbst auf die Gefahr des Scheiterns hin. Auch bei Repsol, auch bei Suzuki, auch bei LCR.