Sepang-Drama: Jetzt kommen neue Strukturen für 2016
Sepang-GP: Der Zweikampf Marc Márquez gegen Rossi hatte Konsequenzen
Das unrühmliche Ende der MotoGP-WM 2015 mit dem Zusammenstoss von Valentino Rossi und Marc Márquez in Sepang und den drei Strafpunkten für den italienischen Yamaha-Star, die Verbannung in die letzte Startreihe beim Valencia-GP, mit all diesen Manövern gab die Königsklasse ein unschönes Bild in der Öffentlichkeit ab.
Plötzlich ging es um Penalty Points, um Entscheidungen des Sports-Schiedsgerichts CAS, um persönliche Feindseligkeiten und alte Rechnungen.
Jorge Lorenzo stellte nach dem Sepang-Drama plötzlich die Frage, ob ihm Rossi 2013 vielleicht beim Valencia-GP die Schützenhilfe verweigert habe, als um den Titelfight gegen Márquez ging.
Das wissen wir nicht.
Es sollte heute auch keine Rolle mehr spielen.
Aber so kam beispielsweise ans Tageslicht, dass das Verhältnis zwischen Rossi und Lorenzo bei weitem nicht so friedliebend ist, wie es gern dargestellt wird.
Plötzlich brachen alte Wunden und alle Dämme auf.
Und es stellte sich heraus, dass das Strafregulativ im GP-Sport seine Mängel und Tücken hat, das Strafpunktesystem hirnrissig zusammengeschustert wurde und dass dessen Handhabung aus juristischer Sicht wenig Sinn ergibt.
Durch diesen gesetzgeberischen Dilettantismus ist der Dorna und FIM die MotoGP-WM 2015 in ihrer entscheidenden Phase völlig entglitten.
Deshalb wird jetzt in allen GP-Gremien von vielen Entscheidungsträgern darüber nachgedacht, wie sich das aktuelle System ändern lässt.
Mit ein paar Wochen Abstand lassen sich ein paar Fakten ausser Streit stellen:
1. Rossi hat das Desaster durch seine Aussagen am Donnerstag in Sepang in Gang gebracht.
2. Marc Márquez hat auf Rossis Anschuldigungen («Márquez hat sich im Rennen von Phillip Island in die Dienste von Lorenzo gestellt») unsportlich und unprofessionell reagiert, indem er den WM-Leader im Malaysia-GP wie ein Berserker bekämpfte.
3. Rossi hat sich zu einem Revanchefoul hinreissen lassen und dabei den Crash von Márquez in Kauf genommen.
4. Marc Márquez hat auch in Valencia nichts getan, um Rossis Vorwürfe zu entkräften. Er hat Lorenzo 28 Runden lang nicht ernsthaft angegriffen, obwohl er in der WM nichts mehr zu verlieren hatte.
5. Das System mit den Penalty Points ist sinnlos, unfair, nicht zielführend und ungerecht.
Warum?
a) Weil in den FIM-Paragraphen viel zu ungenau definiert ist, wann und in welchen Fällen ein, drei oder fünf Strafpunkte zu vergeben sind.
b) Weil die handelnden Personen in der Race Direction und FIM-Jury (sie ist für Einsprüche zuständig) keine juristische Erfahrung und kein juristisches Feingefühl haben und weil sie viel zu eng mit den GP-Machern vertraut und nicht unabhängig sind.
Die Mängel dieses Systems traten bei der ersten richtigen Bewährungsprobe ans Tageslicht.
Wie soll der redliche, tüchtige und aufrichtig bemühte Race Director Mike Webb (er ist eigentlich Techniker und vormaliger Technical Director) innerhalb kurzer Zeit unter dem Druck von Spitzenfahrern, Teamchefs, Sponsoren und anderen Funktionären in kurzer Zeit eine akzeptable Entscheidung treffen, wenn andere Gerichte für die Urteilsfindung Monate brauchen?
Das Sportgericht CAS hat die endgültige Entscheidung zum Fall Rossi gegen Márquez aus genau diesen Gründen vertagt. Dort sind nämlich professionelle Richter und Juristen am Werk.
Und warum muss ausgerechnet auch noch Loris Capirossi zu Gericht sitzen, der selbst als Rennfahrer 1990 (125 ccm) und 1998 (250 ccm) zweimal mit unlauteren und fragwürdigen Mitteln Weltmeister geworden ist?
Kann ein italienischer Ex-Rennfahrer überhaupt halbwegs neutral urteilen, der womöglich noch bei irgendeinem Werk, ganz sicher aber bei der Dorna, auf der Gehaltsliste steht?
Die Schwachstellen des GP-Systems sind im Oktober und November deutlich aufgezeigt worden. Jedes Erntedankfest ist juristisch besser abgesichert als die MotoGP-WM.
Nur ein Detail: Rossi bekam in Sepang drei Strafpunkte. Sie wären ohne Auswirkung geblieben, hätte der WM-Leader nicht einen weiteren harmlosen Punkt in Misano 2015 kassiert, als er Lorenzo im Qualifying eine schnelle Runde zerstörte. Der Spanier war und blieb aber trotzdem auf der Pole-Position.
Aus heutiger Sicht ist zu sagen: Eine Unachtsamkeit Rossi im Misano-Quali hat ihn jeglicher Titelchancen beim Finale beraubt. Denn erst vier Punkte bedeuteten die Verbannung in die letzte Startreihe. Drei Punkte haben null Auswirkung.
Zusammengefasst: Rossi verfehlte mit seinen Beschuldigungen gegen Marc Márquez sein Ziel, denn der Spanier reagierte ganz anders, als sich Rossi das vorstellte und erträumte.
«Wir denken nach. Aber es wird erst Ende Dezember oder anfangs Januar Entscheidungen geben», erklärte Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta gegenüber SPEEDWEEK.com.
Bevor es zu personellen Änderungen kommt, müssen die Agreements zwischen Dornas, IRTA und FIM geändert werden.
Es könnte beispielweise ein neues Gremium entstehen, das die Penalty Points verteilt. Race-Direktor Mike Webb könnte zum Beispiel von dieser aufwändigen Prozedur entlastet werden.
Momentan werden viele unterschiedliche Meinungen geäussert, überprüft und abgewogen.
Ein Penalty sollte zum Beispiel auch einer echten Bestrafung gleichkommen und nicht womöglich wirkungslos bleiben. Das zeigte das Beispiel Rossi: Ohne den Strafpunkt von Misano wäre er mit den drei Strafpunkten von Malaysia praktisch ungeschoren davon gekommen.
Das ist ungefähr so, als würde bei einem Torraub im Fussball ein Foulelfer verhängt, der aber womöglich erst in vier Monaten exekutiert wird.
Und es muss klarere Vorschriften geben, was künftig geahndet wird und was nicht.
Heute ist klar: Rossi hat mit seiner Beschuldigung Fehler gemacht, Márquez hat im höchsten Masse unprofessionell und emotional reagiert. Aber seine Manöver waren laut Reglement nicht strafbar.
Und das Fazit: Márquez stürzte zwar in Sepang, Rossi wurde Dritter. Aber er bekam schliesslich drei Strafpunkte, also kostete ihn die Provokation durch Márquez am Ende womöglich den WM-Titel.
Und bei den GP-Funktionären hat sich die Ansicht breit gemacht, dass Marc Márquez für sein Verhalten im Rennen von Malaysia nicht ungeschoren davonkommen hätte dürfen.
Valentino Rossi schoss sich ein Eigengoal, als er nach dem Australien-GP auf Márquez losging, obwohl der Honda-Star seinem Gegner Lorenzo fünf Punkte abgeknöpft hatte. (An Landsmann Andrea Iannone, der ihn auf Phillip Island auf Platz 4 verdrängte, hatte Rossi hingegen nichts auszusetzen).
Valentino Rossi hätte bei dieser Pressekonferenz am Donnerstag in Sepang einfach den Mund halten sollen.
Auch wenn es dem neunfachen Weltmeister und 112-fachen GP-Sieger nicht mehr viel nützen wird: Jetzt wird gegrübelt und reflektiert, dann werden – hoffentlich – die richtigen Lehren gezogen.
Und vor der Saison 2016 wird es bei den unglückseligen Penalty Points und bei der ganzen Struktur zur Strafverfolgung von sündhaften GP-Fahrern zu groben Änderungen kommen.
«Aber wir werden uns nicht die Formel 1 zum Vorbild nehmen», sagt Carmelo Ezpeleta. «Wir brauchen ein System, das die Besonderheiten des Motorradsports widerspiegelt.»
Die aktuellen Systeme und Strukturen wurden in Sepang der Lächerlichkeit preisgegeben.
Die MotoGP-WM soll und darf nicht überreguliert werden. Sie soll sich von der abstrus gewordenen Formel 1 wohltuend abheben und unterscheiden. Im Zweiradsport wird man auch künftig noch ungestraft attackieren und überholen können.
Und es wird künftig Methoden geben, um auch schamlosen Provokateuren wie Marc Márquez mit gewissen Massnahmen das Handwerk zu legen.