Cal Crutchlow: Der erste britische Triumph seit 1981
Ich muss ein Geständnis ablegen. Ich bin ein großer Fan von Cal Crutchlow. Das war ich schon, seit ich 2010 begonnen habe, mit ihm zu arbeiten. Und ich werde es auch immer bleiben.
Von einem persönlichen und patriotischen Standpunkt aus hat es mich in Brünn begeistert, ihn als ersten britischen Sieger in der Königsklasse seit 35 Jahren zu sehen.
Barry Sheenes Sieg 1981 in Anderstorp in Schweden liegt so lange zurück, dass Crutchlow erst vier Jahre später geboren wurde. Prinz Charles und Lady Diana heirateten, MTV ging auf Sendung und Jäger des verlorenen Schatzes war ein riesiger Erfolg in den Kinos. Ja, das ist wirklich lange her.
Großbritanniens Durststrecke ohne einen Sieg in der Königsklasse war so lang, dass Valentino Rossi der einzige aktuelle MotoGP-Fahrer ist, der beim letzten Sieg schon geboren war. Hoffentlich verzeiht Ihr uns Briten, dass wir so danach dürsten, diesen seltenen Moment des Ruhms zu genießen.
Crutchlows Sieg in Brünn ist das vorerst letzte Kapitel einer bemerkenswerten Saison, in der die letzten sechs Rennen von sechs verschiedenen Fahrern gewonnen wurden. So viele Fahrer konnten seit 2006 nicht mehr in einer Saison gewinnen. Drei der letzten vier Rennen haben Fahrer gewonnen, die ihren ersten Sieg in der Königsklasse feierten: Jack Miller, Andrea Iannone und nun Crutchlow. Auch das ist seit 2006 nicht mehr passiert. Damals waren es Dani Pedrosa, Toni Elias und Troy Bayliss.
Wie ich schon über das Assen-Rennen schrieb, als Miller großartig vor Marc Márquez gewonnen hatte, können wechselhafte Wetterbedingungen unvorhergesehene Resultate nach sich ziehen, denn es gibt den Satelliten-Teams und ihren Fahrern die seltene Chance, Schlagzeilen zu machen. Diesmal nutzte Crutchlow den Moment. Es war eine gewagte, aber brillante Entscheidung, mit den harten Michelin-Regenreifen vorne und hinten auszurücken, was sich als perfekte Strategie erwies, da die Strecke nicht so schnell abtrocknete, wie es viele erwartet hatten.
Crutchlow war in der Startaufstellung mutig, als er sich für die harten Reifen entschied und sein Wille war stark genug, um auch bei dieser Entscheidung zu bleiben, als einige die Befürchtung äußerten, dass ihm diese Wahl am Ende um die Ohren fliegen könnte. Es sind dieser enorme Glaube an sich selbst und die sture Entschlossenheit, die für mich immer den Reiz von Crutchlows Charakter ausmachten.
Unsere Wege kreuzten sich zum ersten Mal beim MotoGP-Test nach dem Saisonfinale in Valencia 2010, als er sein Debüt auf der Tech3-Yamaha gab. Ich arbeitete zu dieser Zeit für Motor Cycle News in Großbritannien. Ich hatte schon gehört, dass er ein Fahrer mit kolossalem Selbstvertrauen ist. Mir wurde erzählt, dass er so unglaublich frech und großspurig sein konnte, dass er schon arrogant wirkte. Er war ganz sicher nicht schüchtern, als es darum ging, seiner Meinung Ausdruck zu verleihen.
Bevor er in die MotoGP-Klasse kam, bezeichneten ihn viele mit denen ich besprochen habe, als Terrier. Laut Wikipedias Beschreibung eines Terriers ist dieser klein, hart, aktiv, furchtlos, loyal und manchmal schwer zu bändigen. Ich hätte keinen besseren Vergleich zu Crutchlow ziehen können.
Crutchlow: Ein Geschenk des Himmels für Journalisten
Für einen Journalist scheint er ein Geschenk des Himmels zu sein. Nur selten hört man von ihm Medien-freundliche Aussagen, denn bei ihm ist jeder Satz eine Schlagzeile. Jedes Treffen ist eine unvorhersehbare Reise durch brutale Ehrlichkeit, selbstironischen Humor und eine Kombination aus Kritik, einer strahlenden Lobeshymne oder sich lustig machen über Rivalen und Bikes.
Um ehrlich zu sein, hat sich daran nichts wirklich verändert, und das ist auch der Grund, warum ich ihn mag. Er gibt nicht vor jemand zu sein, der er nicht ist. Ich stimme nicht allem zu, was er sagt oder wie er es sagt, aber es gab nie einen langweiligen Moment.
Crutchlows Vorliebe für messerscharfe oder manchmal kontroverse Kommentare gefällt nicht jedem. Doch ich glaube, dass 99,9 Prozent davon von einem ironischen Unterton begleitet werden und nicht von auch nur einem Hauch Boshaftigkeit.
Ein Sport braucht einen Helden und einen Bösewicht. Und manchmal beherrscht Crutchlow in dieser Hinsicht Multitasking und kann beides schaffen. Ich denke, er glaubt fest an die alten Tage, als es noch nicht solche Dinge wie schlechte Publicity gab. Zudem ist er einer der Fahrer mit der besten Promotion in eigener Sache, die ich in meiner Zeit im Paddock gesehen habe.
Ich muss immer lachen, wenn die Vertragsverhandlungen in der MotoGP-Klasse laufen, denn Crutchlow findet immer einen Weg, sich in die Schlagzeilen zu bringen. In diesem Jahr war es eine Verbindung zu Repsol-Honda, die ihn an vorderster Front der Gerüchteküche hielt, obwohl seine Resultate nicht besonders aufregend waren.
Manche sind der Meinung, dass Crutchlow überbewertet wird. Manche denken, dass er mit seinem Mund schneller ist als auf der Strecke und zu regelmäßig Stürze fabriziert, um das zu schaffen, was er am letzten Sonntag getan hat. Die Statistik beweist, dass er in seiner Zeit hier schon ein Karbon-Gemetzel angerichtet hat, aber ich denke, dass die Leute, die ihn als Großmaul und Sturzpilot sehen, sehr respektlos sind.
Seit er eine vielversprechende Fußball-Karriere für den Motorradsport aufgab, weil er sich beim Fußball stetig verletzte (was wie verdrehte Logik erscheint), hat er in jeder Klasse gewonnen, in der er angetreten ist.
Ich bin kein Mann, der Glückspiele mag, aber ich würde ein kleines Vermögen darauf verwetten, dass es eine schrecklich lange Zeit dauern wird, bis dieser einzigartige Siegeszug durch die Britische Supersport-Meisterschaft, die Britische Superbike-Meisterschaft, die Supersport-WM, die Superbike-WM und die MotoGP-WM erneut von einem Fahrer gezeigt wird.
Gebrochene Knochen, defekte Bikes und gescheiterte Träume
Von den bescheidenen Anfängen in der «UK Junior Challenge» 1999 bis zur Spitze des Sports in der MotoGP-Klasse fand Crutchlow immer einen Weg, um zu gewinnen. Crutchlow war immer bewusst, dass es ihm am von Gott gegebenen Talent eines Rossi, Lorenzo oder Márquez fehlt. Bis er sich in Brünn für seinen historischen Erfolg durch das Feld kämpfte, hat er den schwierigen Weg beschritten. Es gab gebrochene Knochen, defekte Bikes und gescheiterte Träume. Ich habe gesehen, wie hart er es hatte, bevor er Großbritanniens erfolgreichster Königsklasse-Fahrer seit den glorreichen Tagen von Barry Sheene wurde.
Wenn wir zu meiner ersten Begegnung mit ihm 2010 in Valencia zurückgehen, war er nicht besonders höflich, wenn es um manche Talente in der MotoGP-Klasse ging. Dann fuhr er mit ihnen auf der Strecke und erlebte ein böses Erwachen. Er realisierte schnell, dass auch die hinteren Fahrer unglaublich schnell sind.
Ich erinnere mich noch, als ich beim ersten Test 2011 in Sepang mit ihm sprach. Er hatte so große Probleme, sich an die kraftvollere und steifere Yamaha YZR-M1 und die Bridgestone-Reifen zu gewöhnen, dass ich ehrlich glaubte, er würde mitten im Gespräch in Tränen ausbrechen.
Ich denke, wenn er einfach in die Superbike-WM hätte zurückkehren können, dann hätte er das zu dieser Zeit sicher getan, ohne einen Moment zu zögern.
Doch Crutchlow gibt nicht auf. Er kniete sich rein. Er blickte tief in sich selbst hinein, er lernte und analysierte, wo und wie er sich verbessern kann. Um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen, musste er jeden Funken seines Talents bis zum Maximum nutzen. Und genau das hat er getan.
Durch seine Beharrlichkeit und seine Hingabe, um sich in der MotoGP-WM zu etablieren, wurde er als «The Honey Badger» bekannt. Der Honigdachs steht als die furchtloseste Kreatur der Welt soagr im Guinness Buch der Rekorde. Es war ein passender Spitzname.
Dann gibt es auch noch die Seite von Crutchlow, welche die Leute nur selten zu sehen bekommen. Der Crutchlow abseits der Kameras. Der aufopferungsvolle und beschützende Ehemann für seine Frau Lucy und nun der in Töchterchen Willow vernarrte Vater. Der Crutchlow, der sich während seiner Flitterwochen 2014 Zeit nahm, um ein neues Haus für eine Familie in Mexiko als Teil eines Wohltätigkeitsprojekts zu bauen.
Und ich erinnere mich daran, als sein Vater Dek als Kurier für MCN Motorräder in ganz Großbritannien und darüber hinaus auslieferte. Wenn Dek den Job nicht machen konnte oder MCN zu wenig Personal hatte, sprang auch Cal ein und lieferte die Bikes aus. Und das war zu einer Zeit, als er in der nationalen Rennsportszene schon hohe Wellen schlug.
Manche im MCN-Büro glaubten, dass er das nur machte, um sich nicht zu langweilen oder sich aus Unfug herauszuhalten, weil er eine so temperamentvolle Persönlichkeit war. Andere dachten, dass er für seinen Vater einsprang, um für den alten Mann auch in Zukunft die Aufträge zu sichern. Seit ich ihn 2010 kennenlernte, glaube ich, dass das Letztere zutrifft.
Er ist witzig und laut und kümmert sich nicht besonders darum, wie er aussieht oder was die Leute von ihm denken. Ich meine, kommt schon, wie viele MotoGP-Stars tragen in der Öffentlichkeit Crocs? Ich kann ihm nicht einmal böse sein, wenn er ein Foto von mir mit geschlossenen Augen und weit offenem Mund twittert, wenn wir an einem Morgen denselben Flug zu einem Rennen nehmen.
Im letzten Monat hat Cal Crutchlow in Deutschland seinen ersten Podestplatz seit über einem Jahr eingefahren, feierte die Geburt seiner Tochter Willow und nun ist er Großbritanniens erster Königsklasse-Sieger, seit der legendäre Sheene 1981 gewann.
Das Leben kann kaum noch besser laufen? Naja, außer er gewinnt den Grand Prix von Großbritannien in Silverstone.
Matthew Birt arbeitet seit 21 Jahren im Paddock der Motorrad-WM. Seit 2015 ist er als Kommentator für die Dorna tätig. Seine Kolumnen verfasst der Brite für motogp.com.