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Barry Sheene: Ein Playboy, Superstar und Rebell

Von Günther Wiesinger
Barry Sheene starb 2002 an Speiseröhrenkrebs. Er war nach Hailwood und Agostini der erste Superstar der GP-Geschichte. Er kämpfte gegen gefährliche GP-Strecken und rebellierte gegen das Establishment.

Vor 40 Jahren hat Barry Sheene zum ersten Mal die 500-ccm-Weltmeisterschaft gewonnen. Es war der erste WM-Triumph in der Königsklasse für Suzuki und der grandiose Erfolg eines Rennfahrers, der nicht nur im Motorradsattel für Schlagzeilen sorgte.

Barry Sheene war ein Rebell.

Er kam von ganz unten, er war ein Cockney-Junge, aber er erlernte drei Fremdsprachen (Spanisch, Französisch, Italienisch), was damals aussergewöhnlich war für einen ungebildeten Engländer, und er nützte seine Popularität, um allen gefährlichen Strassenkursen in Imatra/Finnland, Opatija/Rijeka, Spa-Franchamps/Belgien und Brünn/Tschechien den Garaus zu machen. Und er sorgte auch nach dem Salzburgring-GP 1977 für eine Revolution, weil er nach dem Tod des Schweizers Hans Stadelmann und der schweren Stürze von Cecotto, Fernandez, Braun und Uncini dort für grössere Sturzräume, Rettungshelikopter und andere Sicherheitsvorkehrungen kämpfte.

Barry Sheene war anders. Er wollte sich nicht anpassen.

Er verweigerte die Teilnahme an den WM-Läufen an der Tourist Trophy, er fand den 60,8 km langen Mountain Course auf der Insel Man zu Beginn und Mitte der 1970er-Jahre nicht mehr zeitgemäß.  Für ihn hatte das traditionelle Road Racing auf lebensgefährlichen Straßenkursen ausgedient.

Er verweigerte 1976 auch die Teilnahme auf der 22,8-km-Nordschleife auf dem Nürburgring, weil er den Titel schon vorher gewonnen hatte. Er wurde zum «Gott bei uns», zum Feindbild der altmodischen und selbstherrlichen FIM-Funktionäre.

Sheene wurde so populär, dass die GP-Veranstalter durch seine Nicht-Teilnahme und sein Fernbleiben Einbußen erlitten. Nur deshalb ließen sie sich überreden, neue permanente Rennstrecken zu bauen.

Ich erinnere mich an den Finnland-GP 1976. Barry hatte gerade seinen ersten 500-ccm-WM-Titel gewonnen, auf dem berüchtigten Strassenkurs, der von Bäumen gesäumt wurde und mit einem Bahnübergang und einem 220-km/h-Sprunghügel gespickt war. Die russische Grenze war nur 2 km von der GP-Piste entfernt. «Wenn du schwer stürzt, landest du entweder im Krankenhaus oder in russischer Gefangenschaft», ätzte ein Rennfahrer.

Zwei Stunden nach dem Rennen trank ich auf der Terrasse des Valtion-Hotels eine Tasse Kaffee. Sheene schaute aus seinem Hotelzimmer im dritten Stock runter und liess einen Zettel in meine Richtung flattern. «Günther, das Visum für den Brünn-GP. Das brauche ich jetzt nicht mehr», lachte der Suzuki-Star.

Sheene schenkte sich 1976 einfach den WM-Lauf in Brünn, der Masaryk-Strassenkurs war ihm zu gefährlich. Suzuki ließ ihm freie Hand!

Heute undenkbar.

Es war eine andere Zeit. Nur drei GP-Berichterstatter liessen sich bei allen WM-Läufen blicken: Mick Woollett von Motor Cycle Weekly, John Brown von Motor Cycle News, dazu ich. «Ihr drei seid die einzigen Journalisten, die mich auch um 4 Uhr früh jederzeit anrufen können», sagte Sheene einmal. Manchmal erschien noch Giancarlo Galavotti von der Gazzetta dello Sport bei den Rennen, «motosprint» und andere Fachmagazine existierten noch gar nicht.

Einmal unterschrieb mir Sheene ein Poster. Statt «For Gunther» schrieb er schelmisch grinsend drunter: «For the Gunt». Und das G liess er wie ein C ausschauen. Sicher ein Zufall...

Der Kampf gegen die Strassenkurse

Den unnachgiebigen Kampf gegen die Tourist Trophy nahmen Sheene viele unverbesserliche Traditionalisten in Grossbritannien übel, er scherte sich nicht darum. Und er blieb siegreich – denn 1977 wanderte der British Grand Prix von der Insel Man aufs Festland, der Silverstone Circuit wurde der neue GP-Schauplatz.

Ohne Sheene wäre die Insel Man noch weitere Jahre GP-Strecke geblieben.

Mit dem Schweizer Luigi Brenni fand Sheene ab 1978 beim Weltverband FIM einen aufgeschlossenen, modernen Verbündeten. Die GP-Straßenkurse wurden allmählich ausgerottet.

Sheene gewann die 500er-WM 1976 und 1977 auf Suzuki, aber er stellte auch in den kleinen Klassen seinen Mann. 50 ccm, 125 ccm, 250 ccm – überall war er schnell, später auch in der 750-ccm-Zweitakt-Klasse.

1971 fuhr Sheene als Privatfahrer eine ehemalige 125-ccm-Werks-Zweizylinder-Suzuki. Dieter Braun hatte mit so einem Bike 1970 die WM gewonnen. Barry lud die «Suzie» in seinen klapprigen Ford Transit, Papa Frank war der einzige Mechaniker, eine Yamaha 250 hatte auch noch Platz, geschlafen wurde im Vorzelt.

Beim Hockenheim-GP schlich sich Barry jeden Morgen ins Hotel Motodrom und nahm dort ein bekömmliches Frühstück ein. Wenn die Bedienung nachfragte, erfand er irgendeine Zimmernummer.

«Ich war arm wie eine Kirchenmaus. Ich hatte in Salzburg eine Woche vor dem deutschen Grand Prix nicht einmal genug Geld, um den Diesel für die Weiterfahrt zum nächsten Rennen zu bezahlen», erzählte mir Barry. Da ging es um 40 oder 40 Mark, schätze ich.

Zum Glück landete er in Salzburg hinter Nieto und Parlotti auf Rang 3, so verdiente er rund 800 Franken Preisgeld, konnte den Tank des Transit füllen und nach Hockenheim fahren. Ein paar Jahre später kaufte er sich stolz den ersten Rolls Royce. Kennzeichen: «4BSR». Das bedeutete: For Barry Sheene Racing.

Den WM-Lauf auf der Insel Man boykottierte Sheene 1971 ebenso wie Derbi-Werksfahrer Angel Nieto, der den Titel damals mit 87 Punkten vor Sheene (79) gewann. Parlotti hingegen verunglückte 1972 auf der Insel Man tödlich.

Sheene schreckte vor keinem Lausbubenstreich zurück. In Imatra/Finnland wurde das Fahrerlager jedes Jahr auf einem vergammelten Sportplatz untergebracht, mehr als 300 Menschen mussten sich zwei Toiletten und ein paar Duschen teilen. Eines Sonntagabends, es war Mitte der 1970er-Jahre, schüttete Sheene nach dem Rennen einen 20-Liter-Sprit-Kanister über das morsche Holzgebäude und fackelte es ab. Alle kannten den Übeltäter, keiner hatte was dagegen. Ein Jahr später stand ein sauberes, menschenwürdiges, gemauertes Gebäude dort. Der Veranstalter hütete sich, Sheene Vorwürfe zu machen.

Der Suzuki-Star kämpfte auf vielen Fronten gegen das Establishment. Den in Großbritannien immer populärer werdenden Viertakt-Superbikes konnte Sheene nichts abgewinnen. Er wollte sich auch kein Rennen live an der Strecke anschauen. «Wenn ich Straßenmaschinen sehen will, fahre ich zum Trafalgar Square», ätzte er.

Nach manchen Rennen waren Barrys Aussagen politisch nicht sonderlich korrekt. «Die Suzuki hatte ein Handling wie ein altersschwacher Esel», schimpfte er 1979 nach der Niederlage gegen Kenny Roberts beim Silverstone-GP.

1981 fuhr Sheene plötzlich mit seinem Erzrivalen «King Kenny» Roberts, dem 500-ccm-Weltmeiser von 1978, 1979 und 1980, gemeinsam im Yamaha-Werksteam.

Wer entwickelt für Yamaha die neue V4-Maschine, erkundigte ich mich bei Barry.

Seine unvergessliche Antwort: «Kenny Roberts can't even develop a cold. How could he develop a motorcyle?» (Auf Deutsch: «Kenny bringt nicht einmal eine Verkühlung zustande. Wie sollte er ein Motorrad zustande bringen?»).

Sheene hatte die delikate 500-ccm-Zweitakt-Suzuki zum Weltmeister-Bike entwickelt, auf dem Weg dahin erlebte er viele Kolbenklemmer, Getriebeprobleme und andere technische Gebrechen.

Auch Kenny Roberts war nicht auf den Mund gefallen. Als er in Le Castellet 1981 mit der neuen Square-Four-Yamaha (bei einem Triple-Erfolg von Suzuki) nur auf Platz 5 landete, sagte er zu den japanischen Ingenieuren: «Dieses Bike ist eine Rakete. Aber wir brauchen eine Rennstrecke ohne Kurven dafür.»

Und Roberts in Imatra 1981, als bei den neuen Werks-Yamaha von Kenny und Barry die Magnesiummotorgehäuse platzten: «Die Yamaha-Ingenieure sind hoffnungslos. Sie haben in Japan eine Teststrecke ohne Bahnübergang gebaut.»

Barry Sheene wurde in seiner 500-ccm-Ära fast bei allen Rennen von Mutter Iris und Vater Frank begleitet. Als er den Titel 1978 auf dem Nürburgring an Roberts verlor und mit trauriger Miene ins Motorhome zurückkehrte, umarmte ihn Mum Iris liebevoll. «Barry, you are still my champion», tröstete sie ihn.

Die Beziehung mit Stephanie

Im Winter 1976/1977 trat das Fotomodell Stephanie McLean ins Leben von Barry. Die attraktive langbeinige Blondine war «Penthouse Girl of the Year», ihre Mutter stammte aus Polen und sprach perfekt Deutsch. «Steph» hatte keine Ahnung vom Motorradsport, aber sie sah im Fernsehen einen Beitrag über Sheenes Unfall 1976 bei den 200 Meilen von Daytona, als bei Vollgas in der Steilwand der Hinterreifen platzte. Barry erlitt rund 50 Knochenbrüche, ähnlich wie 1982 im freien Silverstone-Training.

«Steph» gefiel das bunte Rennleder von Sheene, es kam zu einem Fotoshooting. Sheene war nackt und stülpte seinen Sturzhelm über sein Fortpflanzungsorgan, «Steph» schlüpfte in sein Leder und öffnete den Reissverschluß bis in tiefe Regionen.

Danach waren die beiden ein Liebespaar. «Sie hat neugierig hinter den Helm geblickt und konnte nachher nicht mehr ohne mich leben», grinste Barry.

Es wurde geheiratet, das Paar hat zwei Kinder Freddie und Sidonie.

Es dauerte 35 Jahre, bis erstmals nach Sheene (1981 in Andersdorp/Schweden) wieder ein Brite in der Königsklasse gewann – Cal Crutchlow 2016 in Brünn. «Es ist eine Ehre für mich, in einem Satz mit Barry Sheene erwähnt zu werden», stellte der LCR-Honda-Pilot ehrfürchtig fest.

Auf dem Höhepunkt seiner Popularität erschien in England sogar monatlich ein «Barry Sheene Magazine»; nach drei Exemplaren wurde es wieder eingestellt. Ich übergab diese drei Hefte vor ein paar Jahren in Australien an Barry Sheenes Witwe Stephanie.

Der 19-fache 500-ccm-GP-Sieger war bald nach dem Ende seiner Karriere nach Australien ausgewandert, weil ihm in England die Steuerfahndung auf den Fersen war. Als Star-Jockey Lester Piggott zu einer Millionenstrafe verknurrt wurde, nahm Barry Reißaus. Er verkaufte sein herrschaftliches «Manor House» südlich von London mit den 27 Zimmern und siedelte sich an der australischen Gold Coast an.

Er wurde in Australien als TV-Kommentator bei «Channel Nine» populär; sein Wortschatz, seine Fremdsprachenkenntnisse, seine Schlagfertigkeit und seine Redegewandtheit erwiesen sich auch in diesem Beruf als hilfreich.

Barrys Deutschkenntnisse hingegen ließen zu wünschen übrig. Er konnte nur einen Satz akzentfrei aussprechen. Er begann mit: «Guten Tag, schönes Fräulein, können Sie bitte...»

Den Rest sparen wir uns, er passt nicht in die heutige Zeit.

Auch die 40 bis 60 filterlosen Gitanes, die Barry jeden Tag genussvoll paffte, würden einem Weltmeister, GP-Botschafter und Idol für die Jugend heute nicht mehr perfekt zu Gesicht stehen.

Die berühmte Startnummer 7 kannte da keine Skrupel. Barry ließ bei jedem Vollvisierhelm vorne ein Loch bohren, um auch auf dem Startplatz noch ein paar kräftige Züge aus der geliebten Gitanes machen zu können.

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