Formel 1: Läuft ihr die MotoGP bald den Rang ab?
Ausverkauft: MotoGP-WM in Spielberg/Österreich
Natürlich, es hat immer Siegesserien gegeben in der Formel 1. Aber eine derartige Vormachtstellung, wie sie augenblicklich Mercedes genießt, kann fast als Geschäftsstörung bezeichnet werden.
In den 53 Rennen der neuen Turbo-Ära, die 2014 begann, hat Mercedes inklusive Singapur-GP 46 WM-Laufsiege errungen, darunter finden wir nicht weniger als 27 Doppelsiege durch Hamilton und Rosberg oder umgekehrt. 2014 waren es elf, 2015 zwölf, in diesem Jahr bisher vier.
Nur drei Rennfahrer haben den Mercedes-Stars in den letzten drei Jahren ins Handwerk gepfuscht:
2014: Daniel Ricciardo (3x)
2015: Sebastian Vettel (3x)
2016: Max Verstappen (1x).
Ein bisschen anders fällt die Übersicht in der MotoGP-WM aus. Acht verschiedene Sieger hat die Saison 2016 bereits hervorgebracht, vier verschiedene Fabrikate haben in der MotoGP-WM 2016 bereits gewonnen: Yamaha, Honda, Ducati und Suzuki.
Als Ferrari-Teamprinzipal Maurizio Arrivabene 2015 das Mugello-MotoGP-Rennen besuchte, erging er sich an diesem Tag im Gespräch mit den Journalisten in einer halbstündigen begeisterten Lobeshymne. Kurz zusammengefasst: «Die Formel 1 kann von MotoGP viel lernen.»
Auch der ehemalige Benetton- und Renault-Teamchef Flavio Briatore machte kürzlich der MotoGP-WM lautstark Komplimente.
Und Gerhard Berger, zehnfacher Formel-1-GP-Sieger, meinte beim MotoGP-Event in Österreich Mitte August: «Die MotoGP ist heute noch so familiär und zugänglich wie die Formel 1 vor 20 oder 30 Jahren. Alle sind gut gelaunt, das Fahrerlager ist voll, da hebt keiner ab.»
Hat die MotoGP-Weltmeisterschaft der Formel 1 längst den Rang abgelaufen?
«Für mich ist die MotoGP jetzt die beste Motorsportrennserie der Welt», stellte Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz nach dem WM-Lauf in Spielberg fest, obwohl er zwei Formel-1-Rennställe betreibt.
Eines ist klar: Carmelo Ezpeleta, 70-jähriger CEO von Dorna Sports und Chefvermarkter des Motorrad-GP-Sports, hat seit der Übernahme der kommerziellen Rechte vom Weltverband FIM 1992 vieles richtig gemacht.
Die Dorna lässt die Veranstalter leben und die Teams, denen sie im Jahr 60 Millionen Euro zukommen lässt. Sie lockt immer mehr Hersteller an, sie hat die schadstoffreichen und unmodernen Zweitakt-Motoren ausgerottet und durch Viertakt-Motoren ersetzt, weshalb die Marketingabteilungen der Motorradwerke jetzt Millionen für den Rennsport beisteuern. Und Ezpeleta hat vom 85-jährigen Bernie Ecclestone viel gelernt.
Ezpeleta agiert als – umsichtiger – Diktator, wenn es nötig ist und sich beispielweise bei technischen Vorschriften keine Kompromisse bezüglich Kosten und Chancengleichheit erzielen lassen.
So hat er die 2009 die Einheitsreifen durchgesetzt, 2010 die Moto2-Einheitsmotoren von Honda mit 600 ccm, 2012 die Claiming-Rule-Bikes zur Auffüllung der Startfelder, dann hat er die Open Class eingeführt, um den benachteiligten Team mehr Chancen zu geben. Und für 2016 hat er die umstrittene Einheits-Elektronik durchgesetzt. Honda drohte deshalb vor drei Jahren sogar mit Rückzug, Ezpeleta liess sich dadurch nicht beeindrucken.
Als Ecclestone in der Formel 1 noch alle Fäden allein in der Hand hielt, ging es der automobilen Königsklasse deutlich besser als heute. Der Formel-1-Zampano verteilte als Alleinherrscher notfalls freihändig ein paar Millionen an notleidende Teams wie Williams oder Prost, er zog alle Fäden, er hatte keinen Vorstand, dem er Rechenschaft schuldig war, den Teams und Werken und Fahrern ging es besser als je zuvor, keiner beklagte sich.
Mit der Sporthoheit FISA machte Bernie 1982 kurzen Prozess: Als FISA-Präsident Balestre nicht klein beigab, zog er 1982 am Donnerstag alle FOCA-Fahrzeuge vom Imola-GP ab – es fuhren dann nur Ferrari, Osella und Renault im Kreis.
Mit diesem Boykott entmachtete Ecclestone quasi die Sporthoheit. Später wurde er sogar Vizepräsident der FIA und baute seine Macht weiter aus. Er wählte die Teams und teilweise die Fahrer aus, er machte den Kalender, er handelte die Verträge mit den Promotern aus, er verkaufte die TV-Rechte, die Bandenwerbung, die Namensrechte für die Grand Prix und alles andere, was nicht niet- und nagelfest war.
Niemand muckste auf, denn Ecclestone teilte den Kuchen unter den Akteuren halbwegs gerecht auf, ohne jedoch auf die stete Vermehrung seines persönlichen Reichtums zu vergessen.
Irgendwann verkaufte er Firmenanteile und wurde Milliardär, plötzlich redeten ihm Bankmanager drein, dazu Großaktionär CVC Capital Partners, FIA-Präsident Jean Todt, die Teams und Werke muckten auf. Bernie verlor Einfluss in allen Bereichen, die Partner pochten auf Gewinnmaximierung.
Also wurden exotische Schauplätze aufgesucht von Abu Dhabi bis Bahrain. Südkorea und Baku sowie Sotschi, plötzlich gab es keinen deutschen WM-Lauf mehr und in Frankreich auch keinen. Selbst Monza stand in Frage.
Nach Firmen wie Ford, Cosworth, Jaguar, Toyota und BMW drohte auch Renault mit dem Rückzug, beinahe wären für 2016 nur noch Mercedes, Ferrari und Honda als Motorenhersteller übrig geblieben.
Der VW-Konzern mit Marken wie Audi, Porsche oder Lamborghini zeigt seit Jahren nie wirklich Interesse an der Formel 1, General Motors schon gar nicht. Audi siegt sich lieber mit einem Dieselmotor in Le Mans zu Tode.
In der MotoGP-WM fahren 2017 sechs Werke mit: Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati, Aprilia und KTM.
Die Formel 1 krankt in vielen Bereichen. Neueinsteiger wie Honda bekommen keine ausreichenden Möglichkeiten, ihre Triebwerke weiterzuentwickeln. Mercedes will die technische Überlegenheit nicht preisgeben und verhindert mit Hilfe der drei Kundenteams per Klubzwang jede sinnvolle technische Änderung. Die Aggregate sind zu kompliziert, selbst Honda sieht in drei Jahren noch wenig Licht am Horizont, das schreckt jeden anderen Interessenten ab. Die Zuschauer werden mit Fachbegriffen wie MGU-K und MGU-H verunsichert, letzteres ist zum Beispiel ein Elektromotor, der den Turbolader kontrolliert.
Die aktuellen 1,6-Liter-Sechszylinder-Turbos sind dem Publikum zu leise und nicht kraftvoll genug, dafür wiegen sie inklusive Zusatzaggregaten 180 kg.
Die MotoGP-WM hat sich aus Gebieten wie China, Indonesien und Brasilien und zurückgezogen und ist nie in Indien aufgetreten, auch Abu Dhabi und Russland waren nie ein wirkliches Thema. Dafür hat die Dorna den ersten Flutflicht-GP in Katar organisiert, die Formel 1 zog in Singapur nach.
Die MotoGP tritt lieber viermal pro Jahr in Spanien auf, das spart Kosten. Dafür werden europäische GP-Promoter nur mit Gebühren von 3 bis 4 Millionen Euro geschröpft. In der Formel 1 zahlen manche Scheichs und Diktatoren als Promoter bis zu 80 Millionen als Antrittsgebühr. Die Stadtregierung Valencia blechte für den Grand Prix auf dem Stadtkurs in Valencia pro Jahr 27 Millionen an Ecclestone; 30 Millionen verschlang dazu jedes Jahr der mühsame Wiederaufbau der Piste im Hafengebiet.
Zehn Kilometer entfernt stand und steht eine moderne permanente Rennstrecke zur Verfügung, die zumindest für die MotoGP gut genug ist. Aber es gibt halt dort keine Yachten und Pools, die als Aufenthaltsorte für die Formel-1-Gäste taugen.
Durch die Geldgier der Formel 1 ging der Nürburgring-GP den Bach runter, Hockenheim steht auf wackligen Beinen. Europäische Formel-1-Veranstalter zahlen im Schnitt rund 20 Millionen Euro für die Austragungsrechte.
Das Produkt Formel 1 ist längst nicht mehr konkurrenzfähig, die Zuschauerzahlen sinken – im Fernsehen und an der Rennstrecke. Viele Teams schlagen sich ohne Hauptsponsoren durch, jedes Jahr gehen zwei Teams pleite.
Zum ersten Formel-1-GP auf dem Red Bull Ring 2014 kamen 95.000 Zuschauer, dann 50.000, in diesem Jahr liessen sich nur noch 40.000 blicken.
Zum ersten MotoGP-Event in Spielberg erschienen im August 95.000 Zuschauer. Und es wird damit gerechnet, dass die Zuschauerzahlen in den nächsten Jahren stabil bleiben. Denn die Action ist besser, die Kosten sind überschaubar: Kostet die teuerste Tribünenkarte für MotoGP für drei Tage 155 Euro, so werden in der Formel 1 in der Steiermark 495.- Euro dafür verlangt. Und diese Preise gelten von Spielberg über Melbourne bis Sotschi – die Formel 1 ist überall auf der Welt gleich teuer.
Dazu hört sich das aktuelle Formel-1-Reglement über weite Strecken sinnfrei an. Jedes Überholmanöver wird bestraft, wer beim Verlassen der Box die weisse Linie berührt, bekommt fünf Strafsekunden, das Ergebnis des Qualifyings ist nie identisch mit der Startaufstellung, für jedes ausgetauschte Teil des «power units» werden die Fahrer fünf Plätze nach hinten strafversetzt. Da passieren bisweilen absurde und groteske Vorkommnisse: In Spa-Francorchamps 2016 wurden bei Mercedes-Star Hamilton drei neue Motoren eingebaut, das ergab aufgrund der Strafen für den Einbau zusätzlicher Motor-Elemente eine Versetzung um 55 Ränge!
Vor einem Jahr wurde bei den McLaren-Honda-Piloten Alonso und Button sogar eine Strafversetzung von mehr als 100 Plätzen fällig.
Wie soll man das dem gemeinen Fan noch plausibel machen? Dazu reicht meist die TV-Sendezeit gar nicht.
Ausserdem: Die Fahrer werden also in der Fahrer-WM für die Unfähigkeit der Hersteller bestraft, die Zuschauer ebenfalls, weil sie erst zwölf Stunden nach dem Qualifying wirklich wissen, ob ihr Liebling als Vierter oder 24. losfährt. Mangelhafte Ingenieurs-Leistungen sollten aber in der Konstrukteurs-WM ihre Auswirkungen finden, meine ich, nicht in der Fahrer-WM.
Vom Drag Reduction System (DRS), DRS-Zone, Soft-, Ultrasoft- oder Medium-Tyres, von Undercut und anderen Sinnlosigkeiten will ich gar nicht reden.
Der Motorsport geht es darum, ein Fahrzeug möglichst schnell von A nach B zu befördern. Warum braucht man dazu ein Dutzend Strategen in der Box und eine Computer-Zentrale wie im Penatagon?
Warum müssen die Reifen gewechselt werden? Ohne Tankstopp geht’s ja plötzlich auch – wie früher. Und wenn die Pirelli-Reifen keine Renndistanz durchhalten, warum sucht man keinen anderen Lieferanten? Was spricht dagegen, zwei kürzere Läufe zu fahren?
Das wäre sinnvoller als so mancher Schabernack, den sich die Formel 1 in den letzten Jahren einfallen ließ. Ich denke nur an den Schwachsinn mit den doppelten Punkten beim Finale 2014.
Die neuen Formel-1-Großaktionäre der Liberty Media Corporation haben viel Arbeit vor sich. Sie müssen die Formel nicht in erster Linie in den sozialen Netzwerken stärken, sondern grundlegend erneuern und sie für die Werke und Zuschauer wieder attraktiver gestalten.
Die Formel 1 hat viel von ihrer Attraktivität eingebüßt. Bei den TV-Übertragungen ist nicht der letzte Stand der Technik zu sehen. Es besteht in vielen Bereichen dringender Handlungsbedarf.
Die Formel 1 muss zurück zu ihren Wurzeln. Sonst schafft sie sich mit der Zeit selber ab.