Honda-Manager Marco Chini: «Wir waren zu arrogant»
In Donington Park bestritt Stefan Bradl das erste Rennen mit der Motorausbaustufe 17.1. An dieser wird seit Monaten gearbeitet, bislang erweist sie sich nicht als der erhoffte große Schritt nach vorne. Bradl musste im ersten Rennen aufgeben, weil der Motor plötzlich keine Leistung mehr hatte – vermutlich wegen eines Elektronikproblems. Im zweiten Lauf wurde der Bayer mit erbärmlichen 59,4 Sekunden Rückstand auf Sieger Jonathan Rea (Kawasaki) zwar Elfter, nach vielen Ausfällen waren aber nur drei Fahrer im Ziel langsamer als das Honda-Ass.
Diese Woche Mittwoch und Donnerstag testet Red Bull Honda in Misano. Um Bradl zu helfen, wurde der italienische Testfahrer Michele Magnoni (28) verpflichtet, er soll sich um die Grundabstimmung des neuen Motors und der Elektronik kümmern.
SPEEDWEEK.com führte ein Exklusiv-Interview mit Marco Chini, er ist bei Honda Motor Europe als Racing-Manager für die Superbike-WM verantwortlich.
Marco, die Saison hat für euch mit dem neuen Motorrad viel schlechter begonnen als erwartet. Warum tut ihr euch so schwer?
Mit dem aktuellen Zeitplan musst du ab dem ersten Training auf 80 oder 90 Prozent sein, sonst ist dein ganzes Wochenende verloren. Letztes Jahr war das eine Art Vorteil für uns, weil wir das älteste Bike im Paddock hatten. Trotzdem war unsere Performance gut. Wir hatten so viele Daten, dass wir sofort auf einem guten Level waren.
Das heutige Motorrad ist eine Weiterentwicklung des vorherigen – aber es ist viel unterschiedlicher, als wir erwartet haben. Sämtliche vorhandenen Daten sind kaum noch nützlich. Jede Strecke ist quasi eine neue Strecke für uns. Wir versuchen Verbesserungen zu bringen. Neben dem eng gesteckten Zeitplan sind wir auch in den Testtagen eingeschränkt, das macht es uns nicht einfach.
Ihr habt vorab von Honda die Datenblätter der neue Fireblade bekommen: Wieso wart ihr trotzdem so überrascht? War euch nicht klar, was euch erwartet?
Was die Geometrie und die Gesamtphilosophie betrifft, liegen die alte und neue Maschine nicht so weit auseinander. Aber das Resultat ist ein anderes, es wurden viele Dinge geändert. Wir sehen uns jetzt nach und nach mit Problemen konfrontiert. Die größten Probleme sind fehlende Zeit, der Zeitplan und mangelnde Testtage.
Im Winter sind alle bei Honda und Ten Kate Racing davon ausgegangen, dass ihr im Prinzip das gleiche Bike wie bislang haben werdet, nur mit mehr PS. Deshalb habt ihr gehofft, dass ihr in der WM nicht mehr Vierter und Fünfter werdet, sondern auf dem Podium steht?
Es haben sich viele Dinge geändert. Die neue Fireblade ist zum Beispiel viel leichter, wir müssen also mit der Gewichtsverteilung anders umgehen.
Das letztjährige Ride-by-wire wurde für den Rennsport gebaut, wir haben viel Erfahrung damit. Jetzt müssen wir mit dem Ride-by-wire aus der Serienmaschine fahren. Dieses funktioniert sehr gut, wir brauchen aber mehr Daten, um damit auf Toplevel zu kommen.
So könnte ich in fast jedem Punkt fortfahren. Das Chassis und die Aerodynamik sind anders, wir entwickeln ständig neue Komponenten oder passen vorhandene an, müssen diese aber auch testen.
Letztlich ist der Faktor Zeit entscheidend?
Ja. Ein Beispiel. Wir hatten zwar Vorabinformationen über das Motorrad, erhielten die Motorräder im Januar aber erst kurz bevor sie nach Australien verfrachtet wurden. Außerdem sind Vorarbeit leisten und das Motorrad auf der Strecke testen verschiedene Dinge. Wir hatten fast keine Wintertests.
Ich suche nicht nach Entschuldigungen, ich versuche nur zu erklären, weshalb wir so weit zurückliegen.
Die Erwartungshaltung wurde auch dadurch geschürt, dass die Verantwortlichen bei Honda von Siegen in diesem Jahr sprachen. Dann stellte sich heraus, dass ihr aus eigener Kraft kaum die Top-10 schafft.
Wir hatten anhand der uns vorliegenden Daten tatsächlich diese Hoffnung. Wir dachten, dass wir mit einem stärkeren Motor und einigen kleinen Änderungen vorne kämpfen können.
Wir standen 2016 auf dem Podium, wir gewannen ein Rennen in Sepang. Der Trend war sehr gut, wir brachten gute Neuheiten, alles lief. Dann bekamen wir unglücklicherweise sehr spät das Motorrad, wir konnten nicht testen, trotzdem hatten wir weiterhin das Gefühl, dass wir etwas erreichen können. Vielleicht nicht am Saisonstart, aber zu Saisonmitte wollten wir konkurrenzfähig sein.
Dann wurde uns klar, dass wir viel mehr straucheln, als wir erwartet haben. Viele Details an der neuen Maschine sind anders und es nicht so einfach, eine Straßenmaschine in ein Superbike zu verwandeln.
Die neue SP2 hat viel mehr Motorleistung als das letztjährige Serienmotorrad. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir konkurrenzfähig sind. Bis dahin ist es für uns aber extrem stressreich. Für die Fahrer, für das Top-Management, für alle. Die Erwartungshaltung von allen war so hoch, dass die Enttäuschung jetzt entsprechend ist.
Yamaha ist jetzt im dritten Jahr mit der neuen R1, sie sind bislang ohne Sieg in der Superbike-WM und haben erst zwei Podestplätze erreicht. Ducati war nach der Einführung der Panigale 30 Monate lang sieglos. Aus diesen Gründen war es für mich überraschend, dass ihr bereits im ersten Jahr mit der neuen Fireblade von Siegen ausgegangen seid.
Wir waren wohl zu arrogant. Wir dachten, das Motorrad sei ein Schritt – aber nicht ein neues Projekt. Die R1 ist eine neue Philosophie, die Panigale war eine Revolution. Unseren Schritt hielten wir für klein, drum dachten wir, dass wir die Lücke schnell schließen können.
Euer Rückstand wurde seit Saisonbeginn größer statt kleiner, obwohl das Team und euer Partner Cosworth nach eigenen Angaben Tag und Nacht arbeiten. Beim ersten Test mit dem neuen Motor 17.1 Mitte April in Portimão wart ihr langsamer als mit dem Basismodell 17.0.
So war das nicht. Aber der Motor hat einen anderen Charakter, du musst die Elektronik und alles andere daran anpassen.
Es hat sich herausgestellt, dass es eine Lücke gibt zwischen dem was wir auf dem Prüfstand sehen, und dem, was wir auf den Asphalt bekommen. Die Umsetzung stellte sich als komplizierter heraus, als wir dachten. Der große Vorteil stellte sich nicht auf Anhieb ein. Wir glauben aber weiterhin, dass es in die richtige Richtung geht. Auch wenn der neue Motor nicht um so viel besser ist, als wir dachten.
Zuerst ging es uns darum, dass wir die Motorleistung steigern. Das zieht aber viele andere Dinge nach sich, die wir anpassen müssen. Es sind ja auch andere Dinge wie die Aerodynamik oder das Gewicht anders, wir haben nicht nur ein Problem, sondern viele zusammenhängende.
Die Fahrer beklagten, dass sich der Motorcharakter vom Portimão-Test bis zu den nächsten Einsätzen jeweils verändert hat. In Donington Park bezeichnete ihn Bradl erneut als viel zu aggressiv.
Das hängt mit der Elektronik zusammen. Als wir den Motor in Assen zum ersten Mal einsetzten geschah das auf der Basis der Daten, die wir bis dahin hatten.
Dann kam er in Imola und Donington zum Einsatz. Mit dem Zeitplan hast du kaum Zeit, etwas zu testen.