Nissan LMP1: Droht die nächste Blamage?
Nissan steckt im Schlamassel
Bisher war es nur eine zumindest nicht unfundierte Vermutung, dass Nissan beim LMP1-Projekt technisch das Wasser bis zum Hals steht. Mit der Absage der Starts bei den ersten beiden WM-Läufen in Silverstone und Spa ist das aber nun amtlich. Das Renndebüt des GT-R LM Nismo findet nun in Le Mans statt. Überraschend ist das nicht, aber erschreckend. Denn das besagt, dass Nissan mit dem LMP1 neben den Problemen mit dem Antriebskonzept und der Hybridtechnik nun auch noch eine neue Baustelle mit dem Chassis hat und nach einem mißlungenen Crashtest noch keine Homologation erhält.
Damit hat der Nissan ausgerechnet in Le Mans, beim bedeutendsten Einzelsportevent in Europa, seine Feuertaufe. Auch die Fahrer gehen mit dürftiger Vorbereitung nach Frankreich. Aus dem ohnehin kurios kombinierten Fahrerkader haben fünf von neun (!) Fahrern (Mardenborough, Buncombe, Ordonez, Matsuda, Tincknell) noch kein Rennen in einem LMP1 gefahren. Drei der Nissan-LMP1-Piloten (Buncombe/Matsuda/Chilton) sind noch Le-Mans-Rookies. Hoffentlich geht das alles gut.
Nissan ist nicht der einzige Hersteller, der bei seinem LMP1-Einstieg vor einem Berg von Problemen steht. Von Peugeot gab es seinerzeit wenig Gutes zu hören und rund um das LMP1-Comeback von Porsche gab es die schönsten Horrorgeschichten. «Und sie waren fast alle wahr», grinste mir kürzlich noch ein Porsche-Fahrer ins Gesicht. Porsche wendete das Blatt noch rechtzeitig, doch bei Nissan gibt es derzeit wenig Grund zur Hoffnung, dass sich in Kürze noch alles zum Guten wendet.
Natürlich steigt Nissan in die technisch anspruchvollste und komplexeste Motorsportformel ein, die es derzeit gibt, macht sich das Leben mit dem aussergewöhnlichen Konzept aus Frontmotor, Frontantrieb, Durchströmung und schmalen Hinterreifen selbst noch schwer.
Doch was auf Sie zukommt, wissen die Japaner genau. Das LMP1-Projekt entwickelt erschreckende Parallelen zu dem desaströsen Zeod-Elektro-Projekt, mit dem Nissan im vergangenen Jahr in der Einladungsklasse in Le Mans startete. Von den vollmundigen Ankündigungen blieb nicht viel, die plumpe Deltawing-Kopie schaffte keine Runde rein elektrisch, im Rennen war der Spuk nach sechs Runden vorbei. Aus dem peinlichen Zeod-Projekt haben die Nissan-Verantwortlichen offenbar nichts gelernt.
Ganz Schlaue führen ins Feld, dass Toyota beim WM-Einstieg 2012 auch die ersten beiden Rennen, damals in Sebring und Spa, schwänzte und immerhin nun Weltmeister ist. Wer das zitiert, betreibt gröbste Geschichtsfälschung: Toyota hatte 2012 keine WM-Saison geplant und sprang nur in die Bresche, als FIA und ACO nach dem überraschenden Peugeot-Ausstieg ohne Hemd und Hose dastanden und die noch ungeborene WM zur Farce zu werden drohte. Toyota sagte seinerzeit Spa nach einem Testunfall ab, kam aber zumindest sehr aussortiert nach Le Mans. Das Nissan das Gleiche passiert, muss und darf man stark bezweifeln.
Wenn man Nissan eines zu Gute halten muss, dann wie offen die Japaner sich bisher gezeigt haben und welche tiefen Einblicke sie in ihre bei weitem nicht ausgereifte Technik geben. Natürlich füttert Nissan die Presse nicht ohne Eigennutz. Bei der Absage der ersten beiden WM-Läufe zeigen die Japaner aber nur wenig Grösse. Werden sonst zu jeder Banalität Pressemeldungen in die Welt gespamt, musste nun ein simpler Tweet herhalten.
Im Fahrerlager gibt es unter PR-Menschen eine alte Weisheit: «Was schert mich das Ergebnis, wenn es gute Bilder gibt.» Das könnte man momentan auch auf den LMP1-Nissan anwenden. Zu Monatsbeginn testete Nissan in Sebring. Nach zwei von fünf Testtagen gab es ein technisches Problem, das Team musste einpacken. Dem Vernehmen dreht der GT-R LM Nismo an zwei Tagen keine 30 Runden bei Rundenzeiten, die man auch mit der Küchenuhr hätte stoppen können. Schon am Abend des ersten Testtages veröffentlichte Nissan eine Bildergalerie in epischer Breite. Der Fotograf war definitiv schneller als das Auto.