2. Training Montreal: Kimi Räikkönen (Ferrari) vorne
Kimi Räikkönen lässt es krachen
Die zehn Formel-1-Rennställe stochern in Kanada im Trüben: Zweites Training bei milden 23 Grad Lufttemperatur, die Piste aber nur 34 Grad warm. Das macht den Gebrauch der ultraweichen Pirelli schwierig. Denn jetzt wird es knifflig: Für Sonntag haben die Wetterfrösche mehr als 30 Grad vorhergesagt, die Pistentemperatur dürfte über 50 Grad steigen, «und dann sind wir alle ein wenig im Bereich von Voodoo», wie es Sky-GP-Experte Martin Brundle formuliert.
Und nur um das alles noch ein wenig interessanter zu machen: Die kanadischen Meteorologen schliessen auch Schauer nicht aus.
Der Engländer sagt weiter: «Auch die besten Experten der Rennställe, einschliesslich der Männer hinter dem Lenkrad, verstehen nicht restlos, wie am besten mit den Pirelli-Walzen umzugehen ist. Am heikelsten dabei ist die Aufwärmphase. Und es ist anschliessend genau so schwierig, die Reifen im richtigen Betriebsfenster zu halten. Für die Ferrari-Fahrer scheint das recht einfach zu sein, Mercedes tut sich damit schwierig, bei Haas ist es hier in Kanada dramatisch.»
Um genau zu sein, beschwerte sich der Genfer Romain Grosjean nach dem ersten freien Training: «Es ist rundweg lächerlich, wie eng das Betriebsfenster dieser Reifen ist.» In Monte Carlo betrug dieses Fenster angeblich nur vier Grad. Und dies bei einer Optimaltemperatur von rund 100 Grad. Selbst für GP-Veteranen ist es fast unmöglich, die Pirelli im besten Bereich zu halten.
Beweis nach zehn Minuten: Dreher von Romain Grosjean, nachdem der Mann mit den zwei Reisepässen (Schweiz und Frankreich) ein Rad blockiert hatte. Zwei Runden später vollführte Grosjean das gleiche Kunststück an der gleichen Stelle und funkte: «Irgendwo im Wagen ist ein Problem. Ich habe an der Hinterachse null Haftung.»
Während die Kollegen um den Circuit Gilles Villenuve surrten, ging bei McLaren-Honda nicht viel: Am Wagen von Fernando Alonso wurde an der Motorhydraulik gearbeitet, am Auto von Stoffel Vandoorne wurde der Unterboden geändert.
Wo stehen wir mit der neuen, schnellen Formel 1 eigentlich in Kanada? Rundenrekord: Rubens Barrichello im 2004er Ferrari mit 1:13,622 min. Lewis Hamilton fuhr schon im ersten freien Training eine Bestzeit von 1:13,809 min. Und dies, obschon die Piste noch sehr schmutzig ist.
Sebastian Vettel: Flirt mit der Mauer
Sebastian Vettel liess nach einer Viertelstunde den Atem seiner Ferrari-Jungs stocken: Ein gefährlicher Flirt mit der Mauer der Champions, Eingang Start/Ziel. Seb funkte: «Ich hätte den Wagen fast aus der Kontrolle verloren, das war knapp!»
Vettel hatte gestern gesagt: «Ich kenne die Wall of Champions bereits aus einem früheren Jahr und habe eigentlich nicht vor, diese Bekanntschaft zu vertiefen.»
Reihenfolge nach einer halben Stunde: Lewis Hamilton vor Kimi Räikkönen, Valtteri Bottas und Sebastian Vettel, dann die beiden Red Bull Racing-Renner von Max Verstappen und Daniel Ricciardo.
Der Australier beklagte sich über einen Leistungsverlust – erste Diagnose: Auspuff auf der linken Motorseite gebrochen. Der Kanada-GP-Sieger von 2014 stieg aus.
Max Verstappen beklagte sich über eine falsche Motoreinstellung. Sein Renningenieur funkte ihm ruhig ins Cockpit, was er am Lenkrad alles verstellen muss, um dem 1,6-Liter-V6-Motor von Renault wieder Manieren beizubringen.
Inzwischen hatte Sebastian Vettel die Bestzeit auf 1:13,200 min gesenkt.
Zur gleichen Zeit meldete sich Renault-Pilot Nico Hülkenberg bei seinen Jungs: «Ich bin in Kuve 9 der Mauer entlang geschrammt, könnt ihr mal gucken, ob ihr auf den Daten etwas erkennen könnt?»
Renault holte den Le-Mans-Sieger von 2015 sicherheitshalber an die Box, um den Wagen zu überprüfen.
Kimi Räikkönen nahm Seb keck die Bestzeit ab: 1:12,935 min. Martin Brundle: «In dieser Form gehört Kimi weiter in die Formel 1. Aber ich würde schon gerne mal auch einen jüngeren Piloten im Ferrari sehen.»
Romain Grosjean unterhielt die Fans weiter: dritter Dreher. «Was passiert hier nur?» wunderte sich der Genfer. «Ich weiss nicht, was ich mit diesem Wagen machen soll.» Für den Haas-Fahrer wird die Lage nicht gemütlicher: Die Bremsprobleme sind nicht gelöst, dazu kommt die schwierige Nutzung der Reifen. Grosjean feuerte seinen Wagen dennoch unter die schnellsten Zehn.
Nach 45 Minuten: noch immer kein Fernando Alonso. Kimi Räikkönen in Führung vor Hamilton, Vettel und Bottas.
Kleines Drama bei Williams: Ein Mechaniker klemmte sich beim Zurückrollen von Felipe Massas Wagen in die Box den Fuss ein – Arbeit für die flinken Sanitäter.
Aufreger nach 50 Minuten: Dreher von Stoffel Vandoorne in der letzten Kurve vor Start und Ziel (während sich Fernando Alonso endlich ins Auto gleiten liess), Sauber-Pilot Marcus Ericsson küsste die Mauer der Champions.
Carlos Sainz und Kevin Magnussen wurden von der Rennpolizei für nach dem Training zum Kaffeekranz gebeten: Verdacht auf Behindern eines Gegners.
Russland-Sieger Valtteri Bottas kreiselte beim Anbremsen der ersten Kurve, WM-Leader Sebastian Vettel musste in Not ausweichen – und kreiselte eine Runde später selber!
Martin Brundle weiss: «Wir haben das in diesem Jahr schon ein paar Mal erlebt, das Heck dieser Autos bricht so schlagartig aus, dass selbst die besten Fahrer der Welt nicht mehr reagieren können.»
Als Bestätigung war Daniil Kvyat der nächste Walzertänzer, ebenfalls in Kurve 1. Alle Fahrer beklagen sich, dass die von Pirelli vorgegeben Reifendrücke zu hoch sind. Durchaus denkbar, dass die Mailänder für Samstagmorgen andere Werte ausgeben.
Rote Flagge wegen Max Verstappen!
Max Verstappen musste seinen RBR-Renner parken. Der Niederländer war über Funk gebeten worden, den Motor abzustellen. So wieder Wagen knirschte – Getriebeschaden.
Christian Horner: «Das ist schon frustrierend, nach dem Motorprobleme von Daniel. Wie es scheint, ist Max von seinem Getriebe im Stich gelassen worden. Auf der Plus-Seite steht, dass wir keine halbe Sekunde hinter Kimi Räikkönen sind und im Dauerlauf recht gut aussehen.»
Zu den zahlreichen Drehern sagt Christian Horner: «Die Piste ist noch immer recht schmutzig. Auf der anderen Seite sind Dreher auch ein Teil des Spektakels.»
Kimi Räikkönen war zur gleichen Zeit selber am Funk und schimpfte: «Da sitzen zwei Fotografen in der Schusslinie von Kurve 9, die sollten schleunigst von dort verschwinden.» Auf die beiden leichtsinnigen Knipser kommt nun ein Rüffel der FIA-Medienabteilung zu.
Und wenn wir schon von Drehern und Dauerläufen reden: Es gibt nur einen Mann, der über längere Zeit ohne Verbremser und Drama, gleichzeitig aber sauschnell unterwegs war – «Iceman» Kimi Räikkönen.
Top-Ten: Räikkönen vor Hamilton, dann Vettel, Bottas, Verstappen, Massa, Alonso, Ocon, Kvyat und Pérez.