Sebastian Vettel: «Lewis Hamilton? Kenne ich nicht»
Lewis Hamilton und Sebastian Vettel
Millionen von Fans verfolgen an den GP-Wochenenden jeden seiner Schritte, aber in diesem Moment, am späteren Samstagabend in Baku, ist Ferrari-Star Sebastian Vettel ganz alleine: Er steht im Marriott-Hotel vor dem Lift, ein langer Tag an der Rennstrecke geht zu Ende. Eine Frau nähert sich schüchtern und bittet um ein Autogramm. Vettel lächelt, eine Unterschrift, ein paar Worte – ein sehr glücklicher Fan. So sollte es immer sein, aber das ist leider nicht die Normalität.
Die Normalität ist, dass sich ein Formel-1-Idol wie Vettel in einer Art Dauerbelagerungszustand befindet. Das ist einer der Gründe, wieso Vettel wie sein Freund Michael Schumacher in der Schweiz lebt. In einem grossen Interview bei unseren Kollegen der Gazzetta dello Sport sagt Sebastian auf die Frage, ob er eigentlich ein normales Leben führen, ob er in den Supermarkt gehen und die Kinder zur Schule bringen könne: «Meine Kinder gehen noch nicht zur Schule, also ist das noch zu früh. Aber im Grunde führe ich das Leben einer normalen Person. Es stimmt schon, es ist nicht immer einfach, sich in deiner Haut wohl zu fühlen, wenn du von so vielen Menschen erkannt wirst, aber letztlich liegt es ja an dir selber, wie du leben möchtest. Ich finde, ich kann überall ohne Probleme hingehen. Aber wenn ich mich jetzt mit meiner Familie zum Essen hingesetzt habe, dann sage ich auch mal nein, wenn sich jemand dem Tisch nähern, in aller Höflichkeit, und in der Regel verstehen das die Menschen.»
Unvergessen die Szenen, als Sebastian Vettel im Anschluss an seinen Sieg in Singapur 2015 «L’Italiano» von Toto Cutugno in den Funk geschmettert hat. Auf die Frage, was er derzeit so höre, meint der Deutsche: «Ich liebe Musik, aber mein Geschmack ändert sich ständig. Im Moment höre ich viel Musik aus den 80er Jahren, aber es wäre nicht ganz einfach, eine Hitliste zu entwerfen. Wenn ich einen Song wählen müsste, dann wäre es vielleicht "We are the Champions" – aufgrund seiner Bedeutung.»
Der Geist Italiens wird für Vettel in dieser Weise geschätzt: «Die Leidenschaft für gutes Essen, die Kultur, mir gefällt der ganze Lebensstil, die Freude an Gesellschaft, der Familiensinn. Das Leben ist da, um es zu geniessen, insofern können wir alle sehr viel von Italien lernen.»
Eine Frage zum Kunstgeschmack schlägt dann eine unerwartete Brücke. Sebastian Vettel sagt: «Ich mag zeitgenössische Kunst. Ich gehe ab und an in eine Ausstellung oder in ein Museum, aber ich bin jetzt keiner, der sich vor ein abstraktes Gemälde stellt und zwingend den Sinn darin sucht. Ein Bild muss mir auf den ersten Blick gefallen, erst dann interessiert mich, was der Künstler damit ausdrücken wollte.»
Lewis Hamilton hat vor kurzem offenbar gesagt, er habe sich einen Dalì gekauft. Die beiden WM-Rivalen der Formel-1-Saison könnten nicht unterschiedlicher sein. Hier der extrovertierte Weltenbummler, mit dem Leben eines Rockstars, dort der selbsterklärte Verweigerer sozialer Netzwerke, der zurückgezogen lebende Familienmensch.
«Wir sind wie schwarz und weiss», sagt Vettel und macht eine Grimasse über diesen Kalauer. «Nein, ich scherze. Aber es stimmt schon – eigentlich kenne ich Lewis nicht. Weil wir kaum Zeit zusammen verbringen. Vielleicht sind wir uns dann am nächsten, wenn wir Rad an Rad auf der Rennstrecke kämpfen. Wir fahren seit Formel-3-Tagen gegeneinander, und es gab nie einen persönlichen Konflikt. Es gibt viele Dinge im Leben von Lewis, die ich nie machen würde. Aber wahrscheinlich würde er von meiner Lebensart das Gleiche sagen.»