Martin Brundle: «Sebastian Vettel – Strafe ist genug»
Im Anschluss an den turbulenten Grossen Preis von Aserbaidschan in Baku kursieren heisse Fragen: Wird der Rempler von Sebastian Vettel gegen Lewis Hamilton noch ein Nachspiel haben? Müsste der Autoverband FIA gegen den Ferrari-Star weiter vorgehen?
Martin Brundle (58) hat im Rennsport schon so ziemlich alles erlebt. Der 158fache Grand-Prix-Teilnehmer sagt in seiner Kolumne für die britische Sky: «Wäre der Baku-GP ein Filmdrehbuch gewesen, würden wir sagen – vielleicht ein wenig weit hergeholt, nicht wahr?»
«Von der ersten Kurve an war Feuer im Dach: Fast eine Kollision zwischen den beiden Ferrari, dann beinahe in Crash zwischen den zwei Toro Rosso. Kontakt zwischen Räikkönen und Bottas. Später ein Crash der beiden Force India. Und dann natürlich zwei Mal Kontakt zwischen Renn-Leader Lewis Hamilton und den WM-Führenden Sebastian Vettel, einer davon in voller, bizarrer Absichtlichkeit.»
Der Sportwagen-Weltmeister von 1988 fährt fort: «Es gibt keine genau Wissenschaft dafür, wie weit der Rennführende das Safety-Car ziehen lassen darf, wenn er sich für den Neustart nach einer Gelbphase bereitmacht. Das Tempo obliegt ihm. Hamilton hat aus der besagten Kurve heraus einfach nicht wie üblich beschleunigt, und Vettel ist ihm schlicht ins Heck gefahren.»
«Aber was um alles in der Welt ist dann in Vettel vorgegangen, als er mit seinem Ferrari auf gleiche Höhe mit dem Mercedes zog und es zu einer erneuten Kollision kam? Ihm musste doch klar sein, dass das Risiko einer weiteren Beschädigung der Autos hoch und dass die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung noch höher sein würde!»
«Wir wissen seit Mexiko 2016, dass Vettel eine kürze Zündschnur haben kann, wenn wir an den Wutausbruch am Funk gegen Rennleiter Charlie Whiting denken.»
«Für seine Aktion hat Seb im Rennen nicht nur ein 10-Sekunden-Stop-and-go-Strafe erhalten, sondern auch drei zusätzliche Strafpunkte im Sündenregister der Formel-1-Fahrer. Er steht nun bei neun Knöllchen, und ab zwölf schaut gemäss Reglement ein Fahrer dann einmal beim Rennen zu. Allerdings verfallen beim kommenden Rennen in Silverstone zwei dieser Punkte. Vettel entwickelt sich langsam zum frechen Buben, und die anderen Fahrer werden wissen, dass er derzeit einem gewissen Risiko ausgesetzt ist, wenn sie Rad an Rad mit ihm kämpfen.»
«Die Rennkommissare haben die zweitstärkste Strafe gegen Vettel ausgesprochen, noch härter wäre es nur gewesen, ihn mit der schwarzen Flagge aus dem Rennen zu holen. Die Baku-Strafe bedeutete einen Zeitverlust von gut einer halben Minute.»
«Hätte der Rempler bei höherem Tempo stattgefunden oder wäre ein Auto schwer beschädigt worden, dann hätte ich einen Rennausschluss für angebracht gehalten. Aber er hat seinen Gegner nicht bei Volltempo von der Bahn gedrängt, was wir von anderen Champions schon erlebt haben, es war mehr ein Klaps im Schritttempo. Ich finde, die Rennkommissare haben mit Augenmass geurteilt. Wäre Hamiltons Auto beschädigt liegengeblieben, dann hätte ich Vettel aus dem Rennen geholt oder ihn in Österreich zuschauen lassen.»
Brundle, Le-Mans-Sieger 1990 mit Jaguar, hat sich nach dem Baku-GP gründlich im Fahrerlager umgehört: «Klar diskutieren die Leute nun von Gewalt im Verkehr, von einer zu aggressiven Fahrweise. Aber wir reden hier von einem WM-Kampf im extremsten Umfeld, das wir uns vorstellen können, und da gibt es keine Engel. Wir wollen auch keine sehen.»
«Vettel nimmt unrichtig an, dass ihn Hamilton absichtlich eingebremst habe. Gleichzeitig wollte Seb so dicht als möglich an Lewis dranbleiben, weil er beim Neustart eine Chance auf einen Angriff in Kurve 1 witterte. Die Reaktion von Vettel dann war irrational und alarmierend, aber solche Dinge passieren, wenn wettbewerbsorientierte Menschen voller Adrenalin am Werk sind.»
«Wenn wir uns alles betrachten, dann kann Vettel sich glücklich schätzen, dass er noch Vierter geworden ist und seinen Vorsprung in der WM auf Lewis Hamilton ausgebaut hat.»