Sebastian Vettel: Wie Senna, Schumacher und Mansell
Martin Brundle, der frühere Formel-1-Fahrer und heutige Formel-1-Fachmann der britischen Sky, freut sich über den Saisonverlauf 2017, mit drei Titelanwärtern, die vom Charakter her nicht unterschiedlicher sein könnten. Brundle, Sportwagen-Weltmeister von 1988, stellt in seiner Kolumne fest: «Ich erkenne in Sebastian Vettel einen Charakterzug wie in Ayrton Senna, Michael Schumacher oder Nigel Mansell – eine Unfähigkeit einzugestehen, dass sie falsch liegen. Selbst wenn die Fakten in aller Deutlichkeit auf dem Tisch liegen, weichen sie nich von ihrer inneren Überzeugung ab. Das zeichnet absolute Siegertypen aus, selbst wenn es sich dabei um eine Eigenart handelt, die sie nicht unbedingt populärer macht.»
«Ich fand es in Österreich interessant, wie sich Vettel über den angeblichen Frühstart von Bottas beklagte – vor dem Hintergrund, was in Baku passiert war. Die Rammstossaffäre mit allen bekannten Folgen hätte eigentlich Vettel schaden müssen. Aber bis Sonntagabend habe ich meine Meinung geändert. Ich glaube, der ganze Kuddelmuddel hat bei Hamilton einen tieferen Eindruck hinterlassen.»
«Wenn ich mir Vettel so ansehe, dann glaube ich nicht, dass ihm die Baku-Affäre etwas anhaben konnte. Ich weiss, dass ihm Ferrari klargemacht hat, dass sie von Autoscooter-Fahrtechnik wenig halten. Denn Maranello ist dadurch ein Sieg entgangen. Sonst aber perlte das alles von Vettel ab.»
Brundle, Le-Mans-Sieger von 1990, sagt zum Nervenkostüm von Lewis Hamilton: «Ich habe das früher schon mal festgehalten, und ich bin immer mehr davon überzeugt – die Stimmung von Lewis färbt auf seine Leistung an einem Rennwochenende ab. Wenn er glücklich ist, dann fährt er unwiderstehlich. So wie in Kanada. Wenn er ein wenig niedergeschlagen wirkt, kommen Wochenenden wie auf dem Red Bull Ring heraus.»
«Er fuhr im Qualifying unsauber. Dann machte Mercedes meiner Meinung nach einen Fehler, indem er im zweiten Quali-Teil einen anderen Reifen fuhr als die direkten Gegner. Die Denke: Mit der härteren Mischung später im Rennen länger auf der Bahn bleiben und nach seiner Strafversetzung wegen Getriebewechsels Plätze gutmachen.»
«Aber wenn ich mir den Funk von Lewis anhöre, dann habe ich den Eindruck: Er hatte das ganze Rennen über Probleme. Die ganze Taktik, eben länger draussen zu bleiben, zerstäubte, als man ihn als ersten Spitzenpiloten in Runde 31 zum Reifenwechsel hereinhote. Er fuhr mit Pirelli, die Blasen warfen, und einem aerodynamisch nicht perfekt ausbalancierten Auto gewissermassen mit dem Rücken zur Wand. Wie schnell er trotz all dem fuhr, war verblüffend. Für mich steht fest: Wäre Hamilton als Dritter ins Rennen gegangen, dann hätte er diesen Grand Prix gewonnen.»
«Aber trotz einer guten Fahrt war er am Funk die ganze Zeit über am Nölen. Er schien mit Entscheidungen vom Mercedes-Kommandostand nicht zufrieden zu sein. Und er gab später zu, gegen Daniel Ricciardo nicht aggressiv genug gefahren zu sein. Das kostete Rang 3.»
Der 158fache GP-Teilnehmer Brundle meint zum Sieger: «Und dann ist da Valtteri Bottas. Ich habe ihn im Laufe der Jahre ganz gut kennengelernt. Er ist seit Jahren immer der Gleiche geblieben – solide wie ein Fels, komplett ruhig in jeder Situation. Dass er nun ein Siegerauto hat und durchaus Titelchancen besitzt, hat ihn kein Jota verändert. Er weiss, wer er ist und was er kann. Er erinnert mich stark an Mika Häkkinen. Ich finde es in diesem Titelkampf faszinierend, wie unterschiedlich die drei WM-Kandidaten sind.»
«Klar fragen sich noch alle: War es nun ein Frühstart von Bottas in Österreich oder nicht? Nach meinen Informationen war der Finne innerhalb der erlaubten Toleranz – aber nur hauchdünn.»