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1000-PS-Motor von Mercedes: Wirbel um Party-Modus

Von Mathias Brunner
​Mercedes-Benz kann im Abschlusstraining eines Grand Prix noch immer mehr Leistung freisetzen als Ferrari. Das war der Steilpass für Lewis Hamilton zur Pole-Position im Albert-Park von Melbourne.

Leistung aufdrehen zum Abschlusstraining, das ist in der Formel 1 ein alter Hut: Die leistungsstärksten Turbos in den 80er Jahren gaben mehr als 1350 PS ab, waren jedoch sündhaft teure Minutenbrenner. Teilweise verbrauchten die Hersteller damals mehr als hundert Motorblöcke pro Saison!

Stand 2018: Drei Blöcke pro Fahrer und Saison, aber längst hat Mercedes dennoch die 1000-PS-Marke geknackt, wie nicht dementiert wird.

Mehr als die anderen Motorhersteller Ferrari, Renault und Honda schafft es Mercedes-Benz im Abschlusstraining, noch mehr Leistung aus dem 1,6-Liter-V6-Turbo zu kitzeln. Ergebnis: In 80 Formel-1-Abschlusstrainings von Melbourne 2014 bis Melbourne 2018 gab es 74 Pole-Positions für Mercedes-befeuerte Boliden – 73 Mal für einen Silberpfeil, ein Mal für Williams.

Formel-1-Champion Lewis Hamilton nennt die schärfste Motoreinstellung flockig «party mode». Wenn der Engländer auf eine heisse Runde geht, ist jedoch in der Regel nur bei Mercedes Party-Atmosphäre, bei der Konkurrenz schleicht sich eher Katerstimmung ein.

Um den Party-Mode von Mercedes ranken sich Gerüchte, und das Team verstrickt sich in Windersprüche. Teamchef Toto Wolff sprach davon, dass zum dritten Quali-Segment mehr Leistung freigegegen wurde. Hamilton widersprach: Er sei in Quali 2 und Quali 3 mit der gleichen Einstellung gefahren. Intern wird das bei Mercedes STRAT3 genannt, für Strategie 3.

Mercedes-Motorenchef Andy Cowell bestätigt: «Wir haben im Quali-Modus und auch im Renntrimm an Leistung zugelegt.»

Als Lewis Hamilton im Abschlusstraining zum Australien-GP Kimi Räikkönen & Co. sechs Zehntelsekunden und mehr aufgebraten hat, lag das aber nicht nur am Motor.

Die Konkurrenz glaubt: Der Party-Modus ist eine halbe Sekunde wert. Lewis Hamilton relativiert: «Ich habe es erst zum Schluss geschafft, eine Runde zu fahren, welche der Perfektion recht nahegekommen ist.» Aus Mercedes-Kreisen wird verbreitet, der Vorteil durch den Motor sei kaum grösser als eine Zehntelsekunde.

Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischenliegen.

Was nach Melbourne gewiss festgehalten werden darf: Mercedes-Benz hatte bei den Wintertests den Party-Modus kein einziges Mal freigegeben. GP-Veteran Felipe Massa: «Die haben in Spanien nur geblufft.»

ORF-TV-Experte Alexander Wurz weiss: «Mercedes hat eine Matrix entwickelt, die es ihnen erlaubt, mehr die Leistungsgrenze des Materials zu gehen als ihre Rivalen. Dies für vielleicht dreissig bis vierzig Runden einer Laufleistung, die in diesem Jahr 8000 Kilometer betragen muss – oder ein Drittel der Saison. Die anderen Motorhersteller trauen sich das nicht oder haben keine solchen Motorkennfelder entwickelt. Daher kommen sie nicht ganz mit, wenn es um die Wurst geht.»

«Interessant ist dabei, dass diese Belastungsmatrix schon bei Cosworth entstanden ist, im Jahre 2006. Damals wurde aus dem V8-Saugmotor mördermässig Leistung rausgequetscht bei sehr hoher Drehzahl, aber das Triebwerk kam an seine Klopfgrenze. Also haben die Cosworth-Ingenieure angefangen, diese Matrix zu entwickeln. Später wechselten sehr viele Cosworth-Ingenieur zu Mercedes, und ich bin sicher, das hat eine grosse Rolle dabei gespielt, diesen sensationellen Mercedes-Turbomotor zu entwickeln.»

Der heutige Mercedes-Motorenchef Andy Cowell wechselte direkt von der Universität ins Absolventenprogramm der Cosworth Racing Ltd., wo er verschiedene technische Abteilungen des Unternehmens durchlief, bevor er sich auf das Design und die Entwicklung von Formel 1-Motoren spezialisierte.

Im Jahr 1998 leitete Cowell die Ingenieurs-Projektgruppe, die für den innovativen CK-Motor verantwortlich war, der Stewart-Ford 1999 zu einem Sieg führte. 2000 verbrachte er ein Jahr bei BMW Motorsport, wo er die Ingenieurs-Gruppe leitete, die für das Konzept und die Details des 2001er BMW-Williams Motors verantwortlich zeichnete.

2001 kehrte er als Chefingenieur für F1-Design und Entwicklung zu Cosworth zurück. Dort verantwortete er die neuen Motorenprojekte 2001 und 2003. 2004 schloss er sich dem damaligen Mercedes-Ilmor als Chefingenieur für das FQ V10 Motorenprojekt an. Danach arbeitete er als Chefingenieur am V8-Motor von Ilmor und übernahm in der Folge die Verantwortung für alle Motorenprojekte, darunter auch das KERS Hybrid-System, das 2009 debütierte und für welches das Unternehmen die prestigeträchtige Dewar Trophy des Royal Automobile Club erhielt.

Von Juli 2008 bis Januar 2013 war Cowell als «Engineering and Programme Director» bei Mercedes-Benz HighPerformance Engines für alle Motoren- und Antriebsstrang-Projekte zuständig und verantwortete zudem die strategische Planung und Organisation der Ingenieurs-Gruppe.

Seit Januar 2013 ist Andy Geschäftsführer von «Mercedes AMG High Performance Powertrains» (HPP). In dieser Funktion überwacht er die Entwicklung der aktuellen Turbomotoren. Unter Andys Führung trieb Mercedes-AMG High Performance Powertrains die Silberpfeile zu acht WM-Titeln binnen vier Jahren an. Das Team gewann von 2014 bis 2017 jeweils die Fahrer- und die Konstrukteurs-WM.

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