Martin Brundle über die Formel 1: «Ein Riesenfehler»
Martin Brundle schaut gerne etwas genauer hin
Martin Brundle liebt die Formel 1. Der 59jährige Engländer ist mit Leib und Seele dabei, wenn er für die Kollegen der britischen Sky von den Grand-Prix-Schauplätzen berichtet. Das ist kein Mann, der bei einem Sender seine Rente abholt und sich während des ganzen Tages überlebt, wo er sich am Abend den Bauch vollschlagen kann, das ist ein Racer bis in die letzte Faser, dem die Formel 1 am Herzen liegt. Und deshalb regt sich der Sportwagen-Weltmeister von 1988 furchtbar auf. In seiner Kolumne hat sich Brundle den ganzen Frust von der Seele geschrieben.
Der 158malige GP-Teilnehmer stellt fest: «Ich bin enttäuscht und ernüchtert von der Formel-1-Führung und vom Automobil-Weltverband FIA. Das Reglement 2021 bietet eine fabelhafte Chance für einen radikalen Wechsel zum Besseren, um dem Sport endlich jenen Rahmen zu geben, den die Formel 1 braucht. Aber basierend auf den ganzen Gesprächen, die ich in Spanien hatte, wird das wohl nicht passieren, und das frustriert mich.»
«Die Rennställe sind in die Entscheidungsfindung eingebunden, und das ist schon mal falsch. Denn sie sind Wettbewerbs-orientiert und denken nur an den eigenen Vorteil, nicht an das Wohl des Sports. Ich spüre, dass wir auf eine Lösung zustreben, die nicht Neubeginn heisst, sondern Kompromiss. Das würde bedeuten, dass sich in Sachen Konkurrenzfähigkeit im Feld wenig ändert. Das würde auch bedeuten: Der Sport tut nichts, um neue Teams anzulocken und weitere Autohersteller. Das ist aber kritisch für die Gesundheit und die Zukunft der Formel 1. Die Formel 1 ist ein Wasserschloss mit aufgestellter Zugbrücke.»
«Die Formel 1 ist 70 Jahre und mehr als 1000 Rennen alt, sie ist ein Gigant mit weltweiter Magnetkraft für 350 Millionen Zuschauer. Es ist unsere Verpflichtung, dass wir als Hüter auf Zeit dazu beitragen, die Formel 1 besser zu machen.»
«Um das zu schaffen, müssen wir zunächst zur Einsicht gelangen: Die Formel 1 ist vor allem Unterhaltung. Wir brauchen eine bessere Show, dazu müssen die Rennwagen 100 bis 150 Kilogramm leichter werden. Wir brauchen Reifen, die kaum abbauen, notfalls mit vorgeschriebenen Reifenwechseln.»
«Wir müssen den Einfluss der Aerodynamik dramatisch verringern, dann könnten wir auf die ganzen Krücken verzichten aus verstellbaren Heckflügeln und Kaugummi-weichen Reifen, mit welchen die Piloten umgehen müssen wir mit rohen Eiern. Wir müssen zu dem zurück, was wir mal hatten, aber in einer frischen, modernen Weise. Ich will eine Formel 1, die eine echte Fahrer-WM ist und nicht ein Fest der besten Techniker.»
«Die Autos müssen fast unzähmbar sein, die schwierigsten Renngeräte der Welt. Ich will keine Teenager erleben, die bei einem Test erstmals in einen Formel-1-Renner hüpfen und zur Mittagszeit Top-Zeiten fahren. Ich will Fahrer sehen wie Gladiatoren, denen wir den Kampf mit ihren Autos anmerken, wenn sie aussteigen, mit Betonung auf sehen, denn heute erkenne ich sie im Cockpit nur noch anhand eines vorbeihuschenden Fetzens Farbe auf ihrem Helm.»
«Es war ein Riesenfehler der Formel 1, zu diesen 1,6-Liter-V6-Turbomotoren mit Hybridtechnik zu wechseln. Mir ist klar, dass beim Automobil kein Weg vorbeiführt an Themen wie Elektrik, Hybrid und Batterien, aber wieso nicht technische Exzellenz in einer Form beweisen, in welcher die Formel 1 wieder Vorreiter wäre – etwa in rasant schneller Aufladung der Elektrik an der Box? Oder indem sich die Autos beim Überfahren elektrischer Leiter aufladen, welche in die Rennstrecke eingelassen sind?»
«Wir müssen einen Weg finden, damit Mittelfeldrennställe wieder die Chance erhalten, einen WM-Lauf zu gewinnen. So wie das früher mit Jordan der Fall war. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in welchem die Teams wirtschaftlich gesund existieren können und nicht ums Überleben strampeln müssen. Und wir brauchen endlich wieder eine WM, in welcher am Ende der schnellste, mutigste Mann Weltmeister wird. Und nicht ein Fahrer, der einfach im besten Auto sitzt.»