Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

History: Der letzte Start von Andrea de Cesaris

Von Mathias Brunner
​Vor 25 Jahren ging der Italiener Andrea de Cesaris zum 208. und letzten Mal an den Start eines Formel-1-Rennens, in Jerez. Knapp 20 Jahre später kam der Römer bei einem Motorradunfall ums Leben.

Am 16. Oktober 1994 rollte Andrea de Cesaris zum letzten Mal an den Start eines Formel-1-WM-Laufs, beim Grossen Preis von Europa in Jerez de la Frontera. Der Römer sass in einem Sauber-Mercedes. In der 38. Runde war Feierabend in Andalusien – defekter Gaszug.

Knapp zwanzig Jahre später, am 5. Oktober 2014, haben wir Andrea de Cesaris im Alter von nur 55 Jahren verloren: Der Römer war mit seiner Suzuki 600 in der Nähe seiner Heimatstadt unterwegs, als er offenbar die Kontrolle über das Motorrad verlor und in eine Leitplanke prallte. Der 208fache GP-Teilnehmer verstarb noch an der Unfallstelle.

De Cesaris war ein Wandergeselle der Formel 1, er fuhr für zehn verschiedene Rennställe: Alfa Romeo, McLaren, Ligier, Minardi, Brabham, Rial, Dallara, Jordan, Tyrrell und Sauber. Seine Leidenschaft liess ihn auch die zermürbendsten Durststrecken überstehen – etwa als er 1986 mit einem Minardi M185B-Motori Moderni unterwegs war. Der Rennwagen war das vielleicht unzuverlässigste Formel-1-Auto. Bei 24 Einsätzen von de Cesaris und seinem Stallgefährten Alessandro Nannini gab es 23 Ausfälle, nur Nannini schaffte es in Mexiko-Stadt ein einziges Mal ins Ziel – als 14.

Andrea de Cesaris hat in seiner GP-Karriere Rekorde erzielt, die kein Rennfahrer haben möchte: Der Römer wurde 148 Mal das Opfer unzuverlässiger Technik oder seiner Ungeduld. 1986 und 1987 musste er bei jeweils 14 von 16 Rennen aufgeben.

Sein Ruf auf der Strecke war wenig schmeichelhaft, aber was Andrea de Cesaris als Formel-1-Fahrer wert war, zeigte sich erst so richtig zu seiner Zeit als Jordan-Fahrer, 1991, in seiner elften vollen GP-Saison.

Ende der 80er Jahre hielten die meisten den Italiener für ein Auslaufmodell. Wer in mehr als einer Dekade kein Rennen gewinnt und nur ab und an unter die besten Drei vorstösst, der gilt als abgeschrieben. De Cesaris hatte den Ruf eines ulkigen Kerls, schnell, aber unberechenbar, die Karriere von Unfällen und verpassten Chancen zernarbt.

Aber Teamchef Eddie Jordan und sein Geschäftsleiter Ian Phillips erkannten mehr im Römer. Sie guckten über den Tellerrand des Spitznamens «Andrea de Crasheris» hinaus, den ihm die McLaren-Truppe 1981 während einer Serie von 19 (neunzehn!) Unfällen verpasst hatte. Eddie und Ian sahen vielmehr den scheinbar grenzenlosen Enthusiasmus von Andrea, gepaart mit der Erfahrung von 140 Rennen. Also wählten sie ihn, um den Schritt in den GP-Sport zu wagen.

Der Plan schien schief zu laufen: De Cesaris verschaltete sich im dümmsten Moment und verpatzte die Vorqualifikation zum Phoenix-GP 1991. Wer nun glaubt, dass er damit bei den Briten schon mal unten durch war, der könnte sich nicht gründlicher täuschen – das Team litt mit de Cesaris als es sah, wie Andrea von der Nichtqualifikation am Borden zerstört war. Und es sollte der letzte Fehler bleiben für eine lange Zeit.

Der Italiener blühte mit dem zeitlos eleganten Jordan 191 auf. Er stellte sein Auto in den folgenden Rennen solide ins Mittelfeld, er holte aus den folgenden acht Läufen jedes Mal Punkte, wenn der Wagen hielt – und das Punkteholen war damals nicht so einfach, denn nur die ersten Sechs wurden mit WM-Zählern belohnt.

Unter den Kollegen blieb bei de Cesaris immer eine tüchtige Portion Argwohn. Rollte der Römer nicht fürchterlich mit den Augen, so dass oft nur noch das Weisse zu sehen war? Was, wenn so etwas im Rad-an-Rad-Kampf bei Tempo 300 passiert?

De Cesaris gab darauf in der Regel die Antwort, dass er noch jeden medizinischen Test bestanden hätte und damit basta.

Der schlechte Ruf blieb ihm anhaften, Augenrollen hin oder her.
Bei McLaren 1981 wurde er aufgrund seiner vielen Unfälle vor die Tür komplimentiert, Marlboro platzierte ihn bei Alfa Romeo. In Long Beach stand er auf der Pole-Position, flog aber im Rennen auf Platz 2 liegend von der Bahn. In Monaco hätte er jenes skurrile Rennen gewinnen müssen, in dem zum Schluss (wegen Unfällen und Spritmangels) sechs Fahrer eine Siegchance hatten. In Belgien lag er überlegen in Führung, dann platzte der Alfa-Motor.

Es ist also durchaus nicht so, dass es einen Mangel an Siegchancen gegeben hätte.

Ian Phillips nimmt den Faden auf: «Belgien 1991, da erinnern sich die meisten heute nur noch an das fabelhafte Debüt von Michael Schumacher im Jordan. Andrea konnte es nicht fassen, dass Michael Siebtschnellster war, während er nur Startplatz 11 erreicht hatte. Ich kann mich daran erinnern, wie wir nach dem Training im Mietwagen Richtung Hotel rollten – im Fond sass Andrea und machte Motorengeräusche bei seiner imaginären Fahrt durch Eau Rouge!»

«Michael hatte ihn angestachelt, und im Rennen fuhr de Cesaris wie ein Dämon. Er lag auf Rang 2 und holte auf Leader Ayrton Senna auf, dann ging dem verdammten Motor das Öl aus. Cosworth hatte uns leider nicht auf einen übermässigen Ölkonsum aufmerksam gemacht. Ein Desaster! Es zerriss uns das Herz, vor allem nach dem ganzen prachtvollen Einsatz von Andrea.»

Als Eddie Irvine 1994 für drei Rennen gesperrt wurde (als Auslöser einer Karambolage in Brasilien) holte Jordan als Übergangslösung de Cesaris zurück – Andrea bedankte sich mit Rang 4 in Monaco. Dann sprang er bei Sauber für den verletzten Karl Wendlinger ein, konnte dort aber nicht an das feine Monaco-Ergebnis anschliessen. Neben Rang 6 in Frankreich gab es nur Ausfälle.

Ian Phillips: «Andrea war ein phantastischer Kerl. Es war unmöglich, mit ihm nicht auszukommen. Ein absoluter Mannschaftsspieler, perfekt für uns in der ersten Saison – oder in jeder anderen, um genau zu sein. Sein Speed war über jeden Zweifel erhaben. Ich weiss, er hatte einen schlechten Ruf, aber den hat er bei uns Lügen gestraft. Ein übler Unfall in Silverstone ging auf unsere Kappe: die Hinterradaufhängung war gebrochen. Typisch Andrea, dass er darum kein Aufheben machte. Er war ein feiner Bursche, es gab niemandem bei uns, der ein böses Wort über ihn sagen würde, und genau so behalten wir ihn in Erinnerung.»

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