Abu Dhabi, 2. Tag: Gnadenloses Urteil für Pirelli
Nochmals neun Stunden Testfahrten, dann verstummen die Formel-1-Motoren. Im Fahrerlager des Yas Marina Circuit sind mehr Gabelstapler unterwegs als GP-Boliden auf der Strecke, überall stehen Kisten bereit, um per Flugzeug oder Schiff nach Europa zurückgesandt zu werden. Wir entdecken viele müde Gesichter – 21 Rennen und eine Handvoll Tests, das geht an die Substanz.
Bei idealen Bedingungen fuhren zehn Piloten sofort auf die Bahn, als der Text punkt neun Uhr früh (6.00 europäischer Zeit) beginnt: George Russell hat von Valtteri Bottas den Silberpfeil übernommen, in seinem Williams der GP-Saison 2019 sitzt Waagrechtstarter Roy Nissany. Im späteren Verlauf des Tages wird der Israel für den Kanadier Nicholas Latifi Platz machen, der 2020 für das englische Traditionsteam Grands Prix fährt.
Charles Leclerc bewegt den Ferrari, der Brasilianer Pietro Fittipaldi den Haas, Antonio Giovinazzi hat von Kimi Räikkönen das Lenkrad des Alfa Romeo-Sauber übernommen. McLaren setzt Carlos Sainz ein, Racing Point den Kanadier Lance Stroll, Toro Rosso-Honda den Franzosen Pierre Gasly und Red Bull Racing-Honda den Thai-Briten Alex Albon. Nur ein Fahrer erhält hier in Abu Dhabi zwei volle Testtage – Esteban Ocon (Renault).
Im Mittelpunkt der zweitägigen Tests in Arabien steht die Arbeit mit den 2020er Reifen von Pirelli. Die Mailänder haben erklärt, wie die beim Test verwendeten Reifen markiert sind, es werden insgesamt elf Mischungen gefahren. Ein wenig verwirrend dabei: 2019er und 2020er Walzen von C1 (hart) bis C5 (superweich) sehen in Sachen Beschriftung gleich aus (siehe Pirelli-Grafik bei unseren Fotos).
Die Rennställe erhalten 20 Sätze Reifen. 12 davon sind von Pirelli vorgegeben (zwei Sätze 2019er C3 und C4, ferner je zwei Sätze der 2020er C2, C3, C4 und C5). Die restlichen acht Sätze dürfen die Teams selber wählen.
Normalerweise werden die neuen Reifen für die folgende Saison am 1. September definiert. Was die Rennställe verärgert hat: Die 2020er Reifen weisen eine anders geformte Reifenschulter auf. Das beeinflusst wesentlich, wie der Unterboden angeströmt wird. Sollte der zweite Test mit den neuen Reifen so verlaufen wie in Texas, ist der Weg offen, im kommenden Jahr mit 2019er Reifen zu fahren – allerdings müssten die Fahrzeuge dann punkto Aerodynamik angepasst werden. Und sieben von zehn Teams müssten zustimmen.
Die geplanten Konstruktionen und Mischungen für 2020 wurden im ersten freien Training zum USA-GP in Austin ausprobiert und von den Piloten als null Fortschritt bezeichnet, um es höflich auszudrücken. Pirelli-Rennchef Mario Isola verteidigte sich mit dem Argument, dass es in Texas verhältnismässig kalt gewesen sei, das habe das Verhalten der neuen Reifen beeinträchtigt. Die Fahrer, so der Mailänder, sollten doch bitteschön den Test in Abu Dhabi abwarten.
Haas-Pilot Romain Grosjean hatte uns damals in Austin gesagt: «Ich spüre keinen Unterschied. Also finde ich das ein wenig ernüchternd.»
Was sagt der Genfer jetzt?
Romain nach 146 Runden am Dienstag: «Hier lassen sich durchaus Unterschiede spüren. Es gibt Positives, es gibt Negatives. Wir stehen noch am Anfang. Aber sind diese Reifen, was wir wirklich haben wollten? Ich finde nicht.»
«Wenn ihr mich fragt, ob ich mit den neuen Walzen glücklich bin und ob die 2020er Pirelli unsere Probleme lösen, Probleme wie Verschleiss oder Anfälligkeit, wenn du hinter einem Gegner liegst, dann lautet meine Antwort – nein, diese Schwierigkeiten werden nicht verschwinden. Sind nun die 2019er Reifen besser oder die 2020er? Ich glaube, die Antwort würde je nach Rennstrecke und nach Umgebungstemperatur anders lauten.»
Auf die Frage, ob das alles nicht frustrierend sei, zuckt Grosjean mit den Achseln. «Das kennen wir seit neun Jahren, wir haben uns inzwischen daran gewöhnt.»
Abu Dhabi-Test, Tag 2, 4. November (nach 2 Stunden)
1. Pierre Gasly (F), Toro Rosso STR14-Honda, 1:38,361 (23 Runden)
2. George Russell (GB), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:38,405 (40)
3. Charles Leclerc (MC), Ferrari SF90, 1:38,619 (32)
4. Lance Stroll (CAN), Racing Point RP19-Mercedes, 1:38,818 (26)
5. Esteban Ocon (F), Renault R.S.19, 1:39,193 (28)
6. Pietro Fittipaldi (BR), Haas VF-19-Ferrari, 1:41,421 (29)
7. Antonio Giovinazzi (I), Alfa Romeo-Sauber C38-Ferrari, 1:42,190 (23)
8. Alex Albon (GB), Red Bull Racing RB15-Honda, 1:43,755 (16)
9. Roy Nissany (IL), Williams FW42-Mercedes, 1:44,841 (30)
10. Carlos Sainz (E), McLaren MCL34-Renault, – (17)
Später im Einsatz: Nicholas Latifi (CAN), Williams FW42-Mercedes
C1 = härteste Mischung, C5 = weichste
Zum Vergleich:
Pole-Position zum Abu Dhabi-GP:
Lewis Hamilton (GB), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:34,779
Schnellste Rennrunde:
Lewis Hamilton (GB), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:39,283
Abu Dhabi-Test, Tag 1 (3. November)
1. Valtteri Bottas (FIN), Mercedes-Benz W10 EQ Power+, 1:37,124 (138 Runden) Mischung C4 des Jahres 2019
2. Sebastian Vettel (D), Ferrari SF90, 1:37,991 (135) C5 2020
3. Daniil Kvyat (RU), Toro Rosso STR14-Honda, 1:38,183 (72) C5 2020
4. Sergio Pérez (MEX), Racing Point RP19-Mercedes, 1:38,434 (120) C5 2020
5. Romain Grosjean (F), Haas VF-19-Ferrari, 1:39,526 (144) C5 2020
6. Lando Norris (GB), McLaren MCL34-Renault, 1:39,741 (121) C5 2020
7. Max Verstappen (NL), Red Bull Racing RB15-Honda, 1:39,926 (151) C3 2020
8. Esteban Ocon (F), Renault R.S.19, 1:39,962 (75) C4 2020
9. George Russell (GB), Williams FW42-Mercedes, 1:40,368 (87) C5 2020
10. Kimi Räikkönen (FIN), Alfa Romeo-Sauber C38-Ferrari, 1:40,903 (93) C4 2019
11. Sean Gelael (IND), Toro Rosso STR14-Honda, 1:41,640 (67) C4 2020
12. Roy Nissany (IL), Williams FW42-Mercedes, 1:45,268 (35) C3 2020