Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

History: Robert Moreno, der Rennsport-Wandersmann

Von Mathias Brunner
​An diesem 11. Februar wird der Brasilianer Roberto Moreno 61 Jahre jung. Der Mann mit dem spärlichen Haupthaar aus Rio de Janeiro hat sich in seiner langen Karriere als überaus vielseitiger Racer erwiesen.

Formel-1-Star Sebastian Vettel hat einmal gesagt: «Es ist schade, dass uns die moderne Königsklasse kaum Zeit lässt, auch in anderen Kategorie zu fahren. Da fand ich die 60er und 70er Jahre schon klasse, als Stars wie Clark, Hill, Rindt, Fittipaldi und Lauda in verschiedenen Rennklassen angetreten sind.»

Vielseitige Racer sind rar geworden, sehen wir mal von Fernando Alonso ab, der einen ungeheuren Hunger verspürt, sich in ganz verschiedenen Rennfahrzeugen zu beweisen. Einer der grössten Wandersmänner des Motorsports ist an diesem 11. Februar 61 Jahre alt geworden, Roberto Moreno aus Rio de Janeiro.

Schauen Sie sich mal an, wo der Brasilianer überall an den Start gegangen ist (und das ist nur eine kleine Auswahl):

1980: Britische Formel Ford (Meister)
1981: Formel-3-EM, Formel 3 in Asien und Australien
1982: Formel-3-EM (Sieger in Macau), Formel Pazifik in Neuseeland, Formel Atlantic in Nordamerika, Formel-1-Testfahrer von Lotus
1983: Camel GTO und Formel Mondial, Formel 3 in Australien
1984: Formel-2-EM (Zweiter), Formel 3 in Australien, Formel 2 in Japan
1985: Japanische Formel 2, Formel 3000, IndyCar
1986: IndyCar
1987: Formel 3000 (Dritter)
1988: Formel 3000 (Meister)
1989: Formel 1 mit Coloni
1990: Formel 1 mit EuroBrun, dann mit Benetton
1991: Formel 1 mit Benetton, Jordan und Minardi
1992: Formel 1 mit Andrea Moda, Italienische Superturismo
1993: Französische Tourenwagen
1996: IndyCar
1997 bis 2001: CART (Gesamtdritter 2000)
2003: ChampCar
2005: GrandAm
2006: IRL
2007: Brasilianische GT3, ChampCar, IndyCar, GrandAm
2008: Trofeo Maserati
2012: Mégane Trophy
2014: Copa Cacula

Eigentlich müsste Moreno längst ein Buch geschrieben haben über seine Auftritte in vielfältigsten Rennserien, aber greifen wir uns zum Geburtstag des Mannes mit dem schütteren Haupthaar ein paar Perlen heraus.

Roberto Moreno muss nicht lange überlegen, um das Rennen seiner Karriere zu benennen. Der Fahrer aus Rio de Janeiro schaffte es im Japan-GP 1990 als Ersatzmann für den verletzten Alessandro Nannini im Benetton B190 auf den sensationellen zweiten Platz hinter seinem Teamkollegen und Landsmann Nelson Piquet.

Es war Morenos erster Einsatz für das Benetton-Team, und es sollte bei diesem einen Formel-1-Podestplatz bleiben. In den darauffolgenden Grands Prix kam er nie über den vierten Platz hinaus.

Moreno erinnert sich ans Debüt mit Benetton. «Ich reiste nach London, um den damaligen Brabham-Teammanager Herbie Blash zu treffen, doch ich war schon um zehn Uhr am Flughafen und er hatte erst um 17 Uhr Zeit. Um mir die Wartezeit zu verkürzen, rief ich alle möglichen Leute an, darunter John Barnard.»

Der Rennfahrer erklärte dem technischen Direktor des Benetton-Teams, dass er auf Job-Suche sei und dieser bat ihn gleich um einen Gefallen, wie Moreno weiter erzählt: «Er fragte mich, ob ich nicht aushelfen und ins Auto fürs nächste Jahr steigen könne, damit er nicht seine beiden Stammfahrer Piquet und Nannini herbemühen müsse, und ich sagte zu.» Als der Brasilianer schliesslich bei Barnard ankam, klärte ihn dieser über den Unfall Nanninis auf, der sich in der Zwischenzeit ereignet hatte.

Moreno durfte einspringen, obwohl sich einige grosse Namen um das Cockpit bemühten, wie ihm Barnard verriet: «Ich würde in dieser Situation am liebsten nicht mit zwei Autos antreten, aber ich bin vertraglich dazu verpflichtet», verriet der technische Direktor seinem Besucher, und fügte an: «Alle rufen wegen des Cockpits an. Aber du bist der Einzige, der schon vor dem Unfall angerufen hat. Und du bist extra hergekommen, um uns einen Gefallen zu tun. Würdest du gerne fahren?»

Moreno nahm an und fand sich nach einigen Querelen mit seinem vorherigen Arbeitgeber EuroBrun schliesslich in Japan an der Seite von Piquet wieder. Er folgte seinem Teamkollegen durch das Rennen und machte alles richtig, weshalb er sich am Ende über den zweiten Platz freuen durfte.

«Plötzlich wollten mich alle, aber ich blieb Benetton treu, bis Michael Schumacher in Monza meinen Platz einnahm», erinnert sich Moreno, und beteuert: «Dass ich dann mitten in der Saison mein Cockpit an Schumacher abgeben musste, erfüllt mich nicht mit Wut, denn Benetton hatte mir ja die Chance meines Lebens eröffnet. Und ich war auch schon nicht mehr der Jüngste. Zwei Brasilianer in einem Team macht aus Sponsoren-Sicht auch nicht viel Sinn.»

«Benetton stampfte dieses Riesenwerk in Enstone aus dem Boden, mit dem vielen Geld, das Schumacher durch Mercedes mitgebracht hatte. Das Team brauchte das und sie konnten mich einfacher rausschmeissen als Nelson.»

Benetton-Chef Flavio Briatore wollte nach dem tollen Formel-1-Debüt von Michael Schumacher diesen Rohdiamanten unbedingt schon in Monza im Auto haben, doch es gab ein kleines Problem: Irgendwie musste er Moreno loswerden.

Moreno leistete Widerstand, mit gütiger Hilfe von Eddie Jordan, der auch nicht eben begeistert war, weil er merkte, dass er Michael Schumacher nach nur einem Einsatz verliert. Eddie versuchte, in London gegen Benetton eine einstweilige Verfügung zu erwirken, das Gerichte schmetterte das ab, ein Gericht in Italien war zugänglicher – worauf Benetton-Teamchef Flavio Briatore in Monza eine versiegelte Box vorfand.

Piquet setzte sich für seinen Kumpel Moreno ein, auch Ayrton Senna redete dazwischen, für einmal waren sich die beiden brasilianischen Superstars einig.

Dann schaltete sich auch noch «Mr. Formula One» Bernie Ecclestone ein – er wollte endlich einen deutschen Weltmeister sehen, und Michael zeigte die Ansätze dazu. Es kam zum Shodown in der Villa d’Este, und morgens um drei Uhr stand fest – Moreno knickt ein. Ecclestone hatte ihm den Abgang mit einer halben Million Dollar versüsst.

Michael Schumacher sass ab Monza im Benetton, der Rest ist Formel-1-Historie.

Für Schumi ging es steil bergauf, für Moreno in die andere Richtung.

Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war die Formel 1 eine kunterbunte Spielwiese der Guten, Mittelprächtigen, Skurrilen und einfach nur Peinlichen. Heute haben wir zehn Rennställe mit zwanzig Autos. Viel zu wenig. In der Saison freuten wir uns über 18 (achtzehn!) Rennställe mit 36 Piloten im Einsatz, 1992 waren es noch 16 Teams und eines davon musste gleich zwei Mal vom Automobil-Weltverband aus der Meisterschaft komplimentiert werden – Andrea Moda, der vielleicht schlechteste GP-Rennstall der Welt.

Die Farbe war Programm: 1992 trat «Andrea Moda Formula» des italienischen Unternehmers Andrea Sassetti ganz in Schwarz an. Wer sich die Autos ein wenig näher betrachtete, sah ebenfalls schwarz.

1992 mühten sich mit den jämmerlichen Rennwagen Alex Caffi, Roberto Moreno, Perry McCarthy und Enrico Bertaggia ab. Nur der Brasilianer Moreno schaffte in Monaco das Wunder, sich für ein Rennen zu qualifizieren, schied aber bald aus, weil sein altersschwacher Motor nach elf Runden sein Leben aushauchte.

Das Formel-1-Abenteuer von Sassetti endete mit einer Verhaftung wegen Steuerbetrugs und Urkundenfälschung und mit dem Skandal, dass der damalige Autoverband FISA (heute FIA) das Team gleich zwei Mal von der WM ausschloss.

Ein Rekord, der in keiner Bestenliste vermerkt sein dürfte.

Als Sassetti im September 1991 das Coloni-Team übernahm, war er von Fachwissen im Motorsport gänzlich unbelastet. Perry McCarthy beschrieb den Wagen später als «das schlechteste Auto, das ich je bewegt habe», Alex Caffi bezeichnete den Chef als «durchgeknallt». Kein Wunder, denn McCarthy wurde in Spanien beispielsweise bei knochentrockener Bahn mit Regenreifen auf die Reise geschickt!

Der Engländer schrieb in seiner (sehr lesenswerten) Autobiographie: «Sassetti wurde von Coloni übers Ohr gehauen, was eine gewisse Ironie hat. Das Material bestand aus alten Chassis, einem rostigen Motor, einem verlotterten Lastwagen und einigen Werkzeugkisten. Ich glaube, er hat für den ganzen Krempel zwei Millionen Dollar bezahlt.»

Schon der Beginn war abenteuerlich: Da im Vorfeld des WM-Beginns 1992 in Südafrika über dem neuen Team ziemlich viele Fragezeichen schwebten, schloss die FISA Andrea Moda Formula zunächst mal von der Teilnahme an der Weltmeisterschaft aus. In den folgenden Wochen kam es zu einer Einigung zwischen Sassetti und der Sportaufsicht: Nach Entrichtung einer Sicherheitsgebühr wurde Andrea Moda Formula zur Weltmeisterschaft zugelassen. Bedingung war der Aufbau eines neuen Autos, worauf das Team in Südafrika und Mexiko auf der Rennbahn fehlte, weil da nur der alte Rennwagen auf den Aspahlt gestellt wurde.

Das Design des (hüstel-hüstel) neuen Wagens basierte auf jener Studie, die Designer Nick Wirth für ein potenziellen BMW-Formel-1-Projekt gebaut hatte. Als Sassetti damit antrat, war es schon ein paar Jahre alt, aber na wenn schon!

In den folgenden Monaten meldete sich Andrea Moda zu neun Grossen Preisen, qualifizierte sich aber nur in Monaco, dank eines Husarenritts von Moreno, dem wir eine Verdienstmedaille hätten umhängen müssen.

Perry McCarthy: «Eigentlich hätte ohnehin Bertaggia fahren sollen, aber der wurde noch vor der Saison gefeuert. Er hatte sich öffentlich darüber beklagt, dass der versprochene neue Wagen nie kam. Später in der Saison hatte er genug Geld zusammengekratzt, um doch zu fahren, aber nun wurde dem Team kein Fahrerwechsel erlaubt, also mussten sie mit mir vorliebnehmen. Daraufhin wurde mein Auto eigentlich nur noch als rollendes Ersatzteillager für Moreno verwendet.»

In Spanien kam Perry nur wenige Meter weit, dann starb bei der Ausfahrt aus der Boxengasse der Motor ab. Training beendet.
McCarthy: «Es gab keinen Windabweiser, einen Sitz für mich gab es auch nicht, ich wurde wie eine Puppe hin- und hergeworfen. In Belgien blockierte die Lenkung, und ich zog mir einen Muskelriss in der Schulter zu, weil ich mit aller Macht am Lenkrad riss, um nicht geradeaus in die Leitschienen zu fahren. Ich kam an die Box und sagte: “Die Lenkung verzieht sich.“ Die Antwort des Teams: “Oh, das wissen wir.“ Wie sich herausstellte, hatten sie diese Lenkung zuvor im Wagen von Roberto ausprobiert, erkannt, dass sie nicht funktioniert, und dann wurde sie einfach in mein Auto eingebaut. An diesem Punkt hatte ich genug und ging.»

Von März bis September 1992 kam es neben sportlichen Misserfolgen zu Aufsehen erregenden Zwischenfällen, wie unerklärliche Verluste von Triebwerken, Prügeleien unter den Teammitgliedern und der Verhaftung des Chefs (auch in Belgien, auf Druck von Gläubigern).

Daraufhin schloss die FISA Andrea Moda Formula im September 1992 zum zweiten Mal von der Weltmeisterschaft aus, die schwarzen Lastwagen wurden gar nicht mehr ins Fahrerlager von Monza eingelassen.

Die Entscheidung der Sporthoheit beruhte auf Artikel 166 des Reglements. Danach kann ein Team von der Weltmeisterschaft ausgeschlossen werden, wenn es dem Standard der Formel 1 nicht genügt oder den Sport in Misskredit bringt.

Die jammervolle Darbietung von Andrea Moda Formula war der Grund, wieso der Autoverband eine hohe Nenngebühr einführte – um künftig solche Vagabunden vom Sport fernzuhalten.

Sassetti verschwand in der Versenkung, betrieb später in Italien Restaurants und Nachtklubs, dazu war er an Bau-Unternehmen beteiligt. 2015 machte er erneut Schlagzeilen: Wegen betrügerischen Bankrotts erhielt er eine Haftstrafe von sechs Monaten.

Und Moreno wurde wieder zum Motorsport-Wandersmann.

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