MotoGP: Das Saisonfinale ist in Barcelona

Jacques Villeneuve: «Eine neue, tiefere Bedeutung»

Von Mathias Brunner
​9. April 2020, der Kanadier Jacques Villeneuve ist 49 Jahre alt. Ihm gelang, was seinem Vater, dem Ferrari-Idol Gilles Villeneuve, verwehrt geblieben ist – er wurde Formel-1-Weltmeister.

Es war eine der schönsten Szenen der GP-Saison 2018: Jacques Villeneuve durfte in Montreal vor dem Rennen jenen Ferrari 312T3 fahren, mit dem sein Vater Gilles 40 Jahre zuvor zum Sieg beim Grossen Preis von Kanada gefahren war. Als das Ferrari-Idol vor rund 42 Jahren die Ziellinie des Kanada-GP kreuzte, flippten die Zuschauer komplett aus: Der kleine Ferrari-Pilot war über sich hinausgewachsen – ganz untypisch für ihn hatte er Geduld bewiesen. Eigentlich hätte Jean-Pierre Jarier im Lotus gewinnen müssen, doch der französische Ersatzfahrer des im September 1978 verstorbenen Ronnie Peterson wurde von der Technik seines Renners im Stich gelassen. Gilles Villeneuve ging in Führung und behielt die Nerven. Es passte zu diesem verrückten Grand Prix, dass bei seiner Zieldurchfahrt Flocken fielen!

40 Jahre später bekamen die Fans am heute nach Gilles Villeneuve benannten Kurs den damaligen Ferrari 312T3 erneut zu sehen – denn die Organisatoren setzen Gilles’ Sohn Jacques in den alten Ferrari. Es war das zweite Mal, dass Jacques dem Zwölfzylinder-Sound die Fans verzauberte: 2004 hatte er den T3 bereits beim Goodwood Festival of Speed bewegt.

Für Jacques Villeneuve, der am 9. April 49 Jahre alt geworden ist, sagt über Papa Gilles: «Mit den Jahren haben die Leistungen meines Vaters für mich eine neue, tiefere Bedeutung erhalten. Denn ich konnte immer wieder sehen, wie sehr er die Menschen durch seine Fahrweise und seinen Charakter berührt hat.»

Jacques meinte nach der Demofahrt im Wagen, der heute dem Unternehmer Marc Muzzo aus Toronto gehört: «Ich habe jede Sekunde geniessen dürfen. Ich glaube, auch die Fans hatten Freude daran. Ich konnte sie nicht hören, weil der Ferrari-Zwölfzylindermotor so unfassbar laut ist. Ich bin zwar nur langsam gefahren, aber was für ein Sound! Doch ich konnte die Fans jubeln sehen, und das war schon sehr emotional. Eigentlich sollte ich ganz langsam fahren, aber so wurde der Motor nicht richtig gekühlt, und die Wassertemperatur stieg bedrohlich. Also fuhr ich ein wenig flotter. Ich kam immerhin bis in den vierten Gang.»

Leider blieb es bei einer Runde. Gerne hätten die Fans gesehen, wie der elffache GP-Sieger eine fliegende Runde hinlegt, aber das war im Programm bedauerlicherweise nicht vorgesehen.

Jacques weiter: «Ich bin Linksbremsen gewohnt. Aber im T3 geht das nicht, weil die Lenksäule zwischen den beiden Füssen verläuft. Es war eine tolle Erfahrung und ein schöner Knicks vor dem Erbe meines Vaters. Ich habe im Laufe der Jahre schätzen gelernt, was er den Menschen bedeutet. Es erfüllt mich mit Stolz, wie warmherzig sich die Fans an ihn erinnern. 40 Jahre nach seinem Sieg sein Auto auf dieser Strecke zu bewegen, das hat mich sehr bewegt.»

Auf die Frage, wie sich der Ferrari anfühlte, lachte der elffache GP-Sieger: «Als würdest du in einer Sardinenbüchse sitzen! Es ist ein wenig beunruhigend – wenn die Karosserie abgenommen wird, dann sitzt du so gut wie im Freien. Du hast als Schutz nur etwas Plastik. Und doch bin ich vom damaligen Stand der Technik beeindruckt.»

Auch Jacques Mutter Joann war vor zwei Jahren in Montreal: «Es ist eine Ehre, von den Organisatoren eingeladen worden zu sein und Gilles Siegerwagen im Einsatz zu sehen. Das bringt viele schöne Erinnerungen zurück. Wenn mir damals jemand vor dem Rennen gesagt hätte, wie Gilles zum Sieg kommen könnte, hätte ich das als völlig unglaubwürdig vom Tisch gewischt. Dieser erste Sieg war so wichtig für Gilles. Seine Saison war nicht so gut verlaufen, das Team wurde langsam nervös. Der Sieg hat alles verändert, ein wirklich magischer Moment.»

Mythos Gilles Villeneuve

Der Rennkomet Gilles Villeneuve verglühte im Abschlusstraining zu Grossen Preis von Belgien in Zolder, am 8. Mai 1982. Der Kanadier wollte die Quali-Zeit seines verhassten Ferrari-Stallgefährten Didier Pironi unterbieten, Gilles lief auf den March von Jochen Mass auf, der Deutsche zackte zur Seite, um Platz zu machen, aber diese Linie hatte bereits Villeneuve gewählt. Das Unvermeidliche geschah.

Ein grosses Kämpferherz hörte auf zu schlagen.

An diesen Tag kann sich Jacques Villeneuve noch gut erinnern. Villeneuve junior, als Formel-1-Experte noch immer in den GP-Fahrerlagern anzutreffen, hat erreicht, was dem Vater verwehrt geblieben ist: Jacques wurde 1997 Formel-1-Weltmeister.

An jenem unglückseligen Freitag durfte sich der junge Jacques zu seiner eigenen Überraschung ein Videospiel aussuchen, weil seine Mutter dem Drängeln vor dem entsprechenden Geschäft nachgab. Der damals Elfjährige kam strahlend nach Hause, doch bald darauf klingelte das Telefon. Seine Mutter ging ran, und Jacques erinnert sich gegenüber CNN: «Ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Als er starb, übernahm ich die Rolle des Mannes im Haus, und das gab mir die Kraft und Stärke, die mich später zu jenem Rennfahrer gemacht hat, der ich geworden bin. Auf traurige Art und Weise war es also förderlich für mich, dass mein Vater gestorben ist. Ich hatte ihn damals schon etwa zwei Jahre lang kaum zu Gesicht bekommen. In dieser Zeit war er faktisch kein Vater. Ich lebte eineinhalb Jahre lang auch nicht zuhause, sondern in den Bergen bei Freunden, weil ich dort auch zur Schule ging.»

«Es herrschte damals kein klassisches Familienleben mehr bei uns, er verschwand jeweils für zwei Monate. Und wenn er zurückkehrte, war er auch nicht wirklich da, denn er kam nach Hause, um auf seinem Boot zu spielen. Es war auch jene Generation, in der die Töchter sehr viel beliebter waren als die Söhne, alles war also irgendwie eigenartig.»

Trotzdem schaute er zu seinem Vater auf. Villeneuve erklärt: «Er war mein Held. Aber irgend etwas lief auch falsch, und darauf bin ich nur gekommen, weil meine Mutter und andere Leute mir davon erzählt haben. Nach seinem Tod war es natürlich schwierig, die ersten beiden Wochen waren wirklich hart, denn plötzlich sieht man: Okay, es wird nie mehr wie vorher sein, jemand ist unwiderruflich weg. Vor allem, wenn dieser Jemand ein Mensch ist, zu dem man aufschaut.»

Kurios: Als McLaren und Ferrari auf das Talent von Villeneuve aufmerksam wurden, war Gilles schon 27 Jahre alt – in dem Alter sind einige Fahrer der GP-Moderne schon längst aussortiert worden! Also machte sich Villeneuve einfach zwei Jahre jünger und schummelte mit seinem wahren Geburtsdatum. Die Sorge von Villeneuve, vielleicht aufgrund seines Alters keinen Platz zu finden, war unbegründet: Seine Begabung war so atemraubend, dass sich niemand für das wahre Alter von Gilles interessierte.

Die Faszination für den Mann mit dem scheinbar grenzenlosen Mut ist ungebrochen, selbst 35 Jahre nach seinem Tod. In Italien wird er bis heute verehrt wie vor ihm nur Tazio Nuvolari, auch er ein Derwisch hinter dem Lenkrad.

Vielleicht gründet die Faszination der Fans auch darin, dass sie verstanden haben, was GP-Sieger Johnny Herbert so formuliert: «Unvergessen, wie Villeneuve nach einem seiner zahlreichen Abflüge mit ramponiertem Ferrari weiterfuhr, ständig fielen Teile von seinem Ferrari ab, an die Box kam er mit einem veritablen Dreirad, die Mechaniker schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Gilles hat derweil gefordert, man möge ihm gefälligst frische Reifen geben, damit er weiterfahren könne. Er wusste überhaupt nicht, dass sein Auto so kaputt war. Gewiss gibt es erfolgreichere Rennfahrer, aber es hat bestimmt nie einen grösseren Racer gegeben als Gilles Villeneuve.»

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