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Todestag Gilles Villeneuve: Kleiner Mann ganz gross

Von Mathias Brunner
​Der Kanadier Gilles Villeneuve war von kleiner Statur, schmächtig wie ein Jockey – aber nie hat es ein grösseres Kämpferherz hinter einem Rennlenkrad gegeben. Am 8. Mai 1982 verglühte dieser Komet.

Die Rennkarriere des unvergessenen Gilles Villeneuve begann mit einer Schummelei. Villeneuves Wegbegleiter, der kanadische Formel-1-Berichterstatter und Buchautor Gerald Donaldson, erzählte mir einmal: «In vielen Biographien, auch im Internet, ist noch davon die Rede, dass Gilles Villeneuve 1952 geboren worden sei. Aber das stimmt nicht. Joseph Gilles Henri Villeneuve wurde am 18. Januar 1950 geboren. Er machte sich als Rennfahrer zwei Jahre jünger, weil er davon überzeugt war, dass sein wahres Alter seiner Karriere im Weg stehen würde.»

Als McLaren und Ferrari auf das Talent von Villeneuve aufmerksam wurden, war Gilles also schon 27 Jahre alt – in dem Alter sind einige Fahrer der GP-Moderne schon wieder aussortiert! Die Sorge von Villeneuve war unbegründet: Seine Begabung war so atemberaubend, dass niemand Bedenken wegen des Alters hegte.

Am 8. Mai 1982 hat die Motorsportwelt einen Piloten verloren, der bis heute die Fans fasziniert. Grand-Prix-Sieger Johnny Herbert sagt: «Für mich war er der Grösste. Ihn interessierte nur eines – auf die Rennbahn hinausfahren und von allen der Schnellste sein. In jeder Runde. Ich hatte immer den Eindruck, Siege oder gar ein WM-Titel waren für ihn zweitrangig. Er wollte einfach nur die Gegner in Grund und Boden fahren.»

Der Rennkomet Gilles Villeneuve verglühte im Abschlusstraining zu Grossen Preis von Belgien in Zolder, am 8. Mai 1982. Der Kanadier wollte die Quali-Zeit seines verhassten Ferrari-Stallgefährten Didier Pironi unterbieten. Die beiden hatten beim WM-Lauf zuvor in Imola einen Pakt geschlossen, der Franzose hielt sich nicht daran, Gilles sagte grimmig: «Ich werde nie wieder ein Wort mit ihm reden.» Auf traurige Art und Weise sollte sich das bewahrheiten.

Gilles lief in Zolder auf den March von Jochen Mass auf, der Deutsche zackte zur Seite, um Platz zu machen, aber diese Linie hatte bereits Villeneuve gewählt. Das Unvermeidliche geschah.

Ein grosses Kämpferherz hörte auf zu schlagen.

An diesen Tag kann sich Jacques Villeneuve noch gut erinnern. An jenem unglückseligen Freitag durfte sich der junge Jacques zu seiner eigenen Überraschung ein Videospiel aussuchen, weil seine Mutter dem Drängeln vor dem entsprechenden Geschäft nachgab. Der damals Elfjährige kam strahlend nach Hause, doch bald darauf klingelte das Telefon. Seine Mutter ging ran, und Jacques erinnert sich gegenüber CNN: «Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.»

«Als er starb, übernahm ich die Rolle des Mannes im Haus, und das gab mir die Kraft und Stärke, die mich später zu jenem Rennfahrer gemacht hat, der ich geworden bin. Auf traurige Art und Weise war es also förderlich für mich, dass mein Vater gestorben ist. Ich hatte ihn damals schon etwa zwei Jahre lang kaum zu Gesicht bekommen. In dieser Zeit war er faktisch kein Vater. Ich lebte eineinhalb Jahre lang auch nicht zuhause, sondern in den Bergen bei Freunden, weil ich dort auch zur Schule ging.»

«Es herrschte damals kein klassisches Familienleben mehr bei uns, er verschwand jeweils für zwei Monate. Und wenn er zurückkehrte, war er auch nicht wirklich da, denn er kam nach Hause, um auf seinem Boot zu spielen. Es war auch jene Generation, in der die Töchter sehr viel beliebter waren als die Söhne, alles war also irgendwie eigenartig.»

Jacques Villeneuve hat vollendet, was seinem Vater verwehrt blieb: Er wurde Formel-1-Weltmeister, 1997 mit Williams.

Der jüngere Villeneuve zeigte 2018 einen der emotionalsten Momente jener GP-Saison: Er durfte auf der Montreal-Rennstrecke, die den Namen seines Vaters trägt, den 1978er Ferrari fahren, jenen Ferrari 312T3 also, mit dem sein Papa 40 Jahre zuvor zum Sieg beim Grossen Preis von Kanada gefahren war.

Als das Ferrari-Idol 1978 die Ziellinie des Kanada-GP kreuzte, flippten die Zuschauer komplett aus: Der kleine Ferrari-Pilot war über sich hinausgewachsen – ganz untypisch für ihn hatte er Geduld bewiesen. Eigentlich hätte Jean-Pierre Jarier im Lotus gewinnen müssen, doch der französische Ersatzfahrer des im September 1978 verstorbenen Ronnie Peterson wurde von der Technik seines Renners im Stich gelassen. Gilles Villeneuve ging in Führung und behielt die Nerven. Es passte zu diesem verrückten Grand Prix, dass bei seiner Zieldurchfahrt Flocken fielen!

Gilles Villeneuve war der Mann für die scheinbar unmöglichen Siege: In Jarama 1981 kamen die ersten Fünf innerhalb von 1,24 Sekunden ins Ziel, bei freiem Rennen, ohne eine Safety-Car-Phase, denn die drängelnden Jacques Laffite, John Watson, Carlos Reutemann und Elio den Angelis fanden einfach keinen Weg vorbei an Villeneuve.

Ein Rennen zuvor hatte Villeneuve den Grossen Preis von Monaco gewonnen, mit einem Turbo-Rennwagen, dessen träges Motor-Ansprechverhalten ungefähr das Letzte war, was man im Fürstentum haben wollte.

Die Faszination für den Mann mit dem scheinbar grenzenlosen Mut ist ungebrochen, selbst so viele Jahre nach seinem Tod. In Italien wird er bis heute verehrt wie vor ihm nur Tazio Nuvolari, auch er ein Derwisch hinter dem Lenkrad.

Vielleicht gründet die Faszination der Fans auch darin, dass sie verstanden haben, was Johnny Herbert so formuliert: «Unvergessen, wie Villeneuve in Zandvoort 1979 nach einem seiner zahlreichen Abflüge mit ramponiertem Ferrari weiterfuhr, ständig fielen Teile von seinem Ferrari ab, an die Box kam er mit einem veritablen Dreirad, die Mechaniker schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Gilles hat derweil gefordert, man möge ihm gefälligst frische Reifen geben, damit er weiterfahren könne. Er wusste überhaupt nicht, dass sein Auto so kaputt war. Gewiss gibt es erfolgreichere Rennfahrer, aber es hat bestimmt nie einen grösseren Racer gegeben als Gilles Villeneuve.»


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