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Mattia Binotto: Mann auf dem Ferrari-Schleudersitz

Von Mathias Brunner
Mattia Binotto

Mattia Binotto

Seit 2007 und Kimi Räikkönen ist Ferrari ohne Fahrer-WM-Titel, seit 2008 ohne Markentitel, seit Singapur 2019 ohne Sieg. Teamchef Mattia Binotto sitzt auf dem Schleudersitz: «Ich habe nicht endlos Zeit.»

Das schmerzte die treuen Tifosi bis ins Mark: Das stolze Ferrari erreichte in der Konstrukteurs-Meisterschaft 2020 lediglich den sechsten Platz. Kein Sieg, nur drei Podestplätze in 17 Rennen – die Saison 2020 war eine schallende Ohrfeige, die schlechteste Platzerung in vierzig Jahren.

1980, nur ein Jahr nach dem WM-Titel von Jody Scheckter, stürzte Ferrari auf den zehnten Platz der Konstrukteurs-Meisterschaft ab – der Weltmeisterwagen wurde kaum verbessert, weil sich die Italiener punkto Motorleistung und Standfestigkeit für überlegen hielten. Leider vergassen sie dabei, dass sich mit dem überholten Fahrzeugkonzept samt des viel zu breit bauenden Zwölfzylindermotors kein gescheites Flügelauto bauen lässt. Hochmut kommt vor dem Fall.

Teamchef Mattia Binotto, der an diesem 3. November 52 Jahre alt wird, blickt so auf 2020 zurück: «Den sechsten WM-Schlussrang akzeptierten wir in Demut. Es war klar – wir werden nicht besser, nur weil wir Ferrari heissen. Sondern wir werden mit der Zeit konkurrenzfähiger, weil sich jede einzelne Person mehr ins Zeug legen wird.»

2021 läuft es ermutigend: Ferrari ist in ein spannendes Duell mit McLaren um WM-Rang 3 verwickelt. Aber noch immer warten die Tifosi seit 2019 und Sebastian Vettel auf einen neuen Sieg der Roten.

Mattia Binotto hat immer wieder betont, dass nun die idealen Fachkräfte an den richtigen Stellen wirken, sie sollen in Ruhe arbeiten können, um das Fundament für neue Siege zu giessen.

Nur: Ruhe hat in der Formel 1 niemand. Schon gar nicht im Dampfkochtopf Ferrari. Der Job des Ferrari-Teamchefs war schon immer ein Schleudersitz.

Im Jahre 2014 hatte Ferrari sogar drei Teamchefs! Im April musste der heutige Formel-1-CEO Stefano Domenicali gehen, ihm wurde zur Last gelegt, dass Fernando Alonso nicht Weltmeister geworden war. Sein Nachfolger Marco Mattiacci wurde im November entsorgt. Auf ihn folgte Marketing-Spezialist Maurizio Arrivabene. Auch der musste gehen, nachdem Sebastian Vettel zwei Mal gegen Mercedes-Star Lewis Hamilton den Kürzeren gezogen hatte. Seit 2019 sitzt Mattia Binotto auf dem heissen Sessel. Aber wer ist der Mann mit dem krausen Haar eigentlich?

Mattia Binotto, geboren am 3. November 1969 in Lausanne, Absolvent des Polytechnikums Lausanne für Mechanik, später weitere Ausbildung in Modena zum Fahrzeugingenieur, ist seit 1995 bei Ferrari in Maranello tätig. Zunächst als Motorenfachmann im Testteam, ab 1997 in der Rennmannschaft.

2004 und 2005 engagierte sich Binotto als Renningenieur und arbeitete am Wagen von Rubens Barrichello, stieg dann zum leitenden Ingenieur auf, 2009 zum Chef der Motorenentwicklung. Im Oktober 2013 eine weitere Beförderung: zum stellvertretenden Motorenchef, 2014 erhielt Binotto den Posten des in Ungnade gefallenen Luca Marmorini.

Binotto war ein Glücksgriff: Als Chef der Motorabteilung hatte er nicht jedes Einlassventil selber entworfen, sondern eher die Funktionen eines Managers übernommen, das kommt ihm beim neuen Job zugute.

Binotto gilt als Menschenkenner, guter Zuhörer, weiser Einschätzer einer Situation. Was Binotto von seinem Vorgänger James Allison unterscheidet – Binotto ist kein Chassis- und Aerodynamikspezialist. Hier muss er sich auf seine Mitarbeiter stützen. Aber als Renningenieur hat Binotto ein grösseres Bild erfasst und seine Ausbildung komplettiert.

Und so sagte Mattia Binotto nach seiner Berufung zum Teamchef: «Mir ist klar – ich habe nicht endlos Zeit. Ich weiss sehr gut, dass wir liefern müssen in den kommenden Jahren. Der sechste Platz war sehr schlecht, aber wir haben viel in die Zukunft investiert. Wir versuchen, eine solide Grundlage zu erzeugen, um wieder erfolgreich zu sein, um wieder konkurrenzfähig zu werden, um einen neuen Siegerzyklus zu eröffnen.»

Der letzte Fahrer-Weltmeister von Ferrari war Kimi Räikkönen 2007. Felipe Massa wurde 2008 WM-Zweiter, Fernando Alonso tat dies 2010, 2012 und 2013, Sebastian Vettel schaffte das 2017 und 2018.

In der Konstrukteurs-Meisterschaft hatte Ferrari letztmals 2008 die Nase vorn, zweite Ränge gab es 2012, 2015, 2017, 2018 und 2019.

Die Ferrari-Teamchefs

Seit 2019: Mattia Binotto
2014: Maurizio Arrivabene
2014: Marco Mattiacci
2007–2014: Stefano Domenicali
1993–2007: Jean Todt
1992/1993: Sante Ghedini
1991: Claudio Lombardi
1989–1991: Cesare Fiorio
1978–1988: Marco Piccinini
1977: Robert Nosetto
1976: Daniele Audetto
1976: Guido Rosani
1974/1975: Luca Montezemolo
1973: Sandro Colombo
1971/1972: Peter Schetty
1968–1970: Franco Gozzi
1967: Franco Lini
1962–1966: Eugenio Dragoni
1958–1961: Romolo Tavoni
1957: Mino Amorotti
1956: Eraldo Sculati
1952–1955: Nello Ugolini
1947–1951: Federico Giberti
1935–1940: Nello Ugolini
1934: Federico Giberti
1932/1933: Mario Lolli
1930/1931: Saracco Ferrari

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