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Formel-1-Verlierer: Zu viel Pech, zu wenig Talent

Von Mathias Brunner
Die Formel 1 ist Überleben des Stärkeren, ganz nach dem Naturforscher Charles Darwin. Schlagzeilen machen Sieger und Rekordjäger. Aber unter den Pechvögeln finden wir viele sympathische Verlierer.

Es liegt in der Natur der Formel 1, dass die meisten Fans zuerst an die Erfolgreichen denken, an Juan Manuel Fangio und Jim Clark, an Ayrton Senna und Michael Schumacher, an Lewis Hamilton und Max Verstappen. Aber die Formel-1-Geschichte lebt auch von den Verlierern, von Piloten, die das Pech magisch anzogen oder denen es vielleicht nicht an Mitgift fehlte, wohl aber an Talent.

Es sind die scheinbaren Versager, die Waagrechtstarter, die Crash-Piloten, die Glücklosen, die, wenn keine Pokale, so doch unsere Sympathie gewonnen haben. Wir stellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige solcher Fahrer vor.

Al Pease (Kanada)
Der Kanadier Al Pease war zum Mosport-GP 1969 mit einer Quali-Zeit angetreten, die 11,1 Sekunden über der Bestmarke von Jacky Ickx lag. Ein Grund für die jämmerliche Darbietung war das Fahrzeug – ein vier Jahre alter Eagle mit asthmatischem Climax-Motor. In der ersten Runde rumpelte Pease mit dem privat eingesetzten Brabham des Tessiners Silvio Moser zusammen, nach vier Runden wurde Al das erste Mal überrundet. Einige der etwas schnelleren Herren atmeten jeweils auf, sobald sie am 47-Jährigen vorbei waren. Denn Pease machte sein Auto jeweils ziemlich breit. Nach 22 (von 90) Runden hatte die Rennleitung ein Einsehen und holte Pease von der Bahn. Bis heute ist er der einzige Formel-1-Fahrer, der in einem Rennen wegen zu langsamer Fahrt disqualifiziert werden musste. Als Pease in seiner 22. Runde war, lag der Leader bereits in der 45. …

Es war der dritte und letzte Versuch von Pease, bei seinem Heimrennen in die Wertung zu kommen: 1967 wurde er mit 43 Runden Rückstand nicht gewertet, wegen zahlreicher technischer Gebrechen war er öfter an der Box als auf der Piste. Nach einem Dreher sprang der Wagen nicht mehr an, weil die Batterie stromlos war. Pease stiefelte zur Box zurück, holte eine neue, baute sie ein und fuhr wacker weiter. 1968 konnte er wegen eines Motorproblems das Rennen nicht aufnehmen. Das besagen die Ergebnislisten. In Wahrheit hatte er sein Triebwerk auseinandergenommen, um alle Teile nochmals zu prüfen. Leider ging ihm beim Zusammensetzen die Zeit aus. Dann folgte die Blamage von 1969.

Chris Amon (Neuseeland)
Der liebe Gott hatte Chris Amon reichlich Talent in die Wiege gelegt. Der stille Neuseeländer gewann mit allem, was vier Räder hatte: Sportwagen-WM, Formel 2, Tasman Series, Formel 5000, Tourenwagen – ausser in der Formel-1-WM. Kein Pilot hat in der Weltmeisterschaft mehr Runden geführt, ohne je einen WM-Lauf zu gewinnen. Bei nicht zur WM zählenden Rennen gewann Chris sehr wohl, wie in Silverstone 1970 mit March oder in Argentinien 1971 mit Matra.

Amon, der am 3. August 2016 dem Krebs erlag, führte 183 Runden im Rahmen der Formel-1-WM. Erfolglos. Es ging immer etwas schief. Mal zerrte er in Monza 1971 statt einer Abreissfolie gleich das komplette Visier vom Helm und sah im Fahrtwind dann nichts mehr. Mal handelte er sich einen Platten ein, überlegen führend, wie in Clermont-Ferrand 1972. Mal streikte der Motor (USA 1967), ein anderes Mal das Getriebe (Kanada 1968). Legendär der Spruch seines damaligen Gegners Mario Andretti: «Chris hat so viel Pech – wäre er ein Bestatter, würden die Leute aufhören zu sterben.»

Luca Badoer (Italien)
Von Südafrika 1993 bis Belgien 2009 bestritt der langjährige Ferrari-Testfahrer Luca Badoer insgesamt 51 WM-Läufe. Raten Sie mal, wieviele Punkte er dabei sammeln konnte. Genau – keinen. Wir möchten daran erinnern, dass Luca in einer Ära begann, in welcher noch nicht die ersten Zehn mit Punkten belohnt wurden. Besonders schmerzhaft: Am Nürburgring 1999 streikte das Getriebe seines Minardi, da lag Luca auf dem sensationellen vierten Rang! Unvergessen, wie der Italiener heulend neben seinem Wagen zusammensackte. 2009 sass Badoer in Valencia und Belgien im Ferrari neben Kimi Räikkönen, als Ersatzmann für den verletzten Felipe Massa. Und doch konnte er nicht punkten. Es sollte wohl einfach nicht sein.

Andrea de Cesaris (Italien)
214 Formel-1-WM-Läufe fuhr der Römer von Kanada 1980 bis Jerez 1994. Zu einem Sieg hat es nie gereicht. Am Speed lag es nicht. Davon hatte «de Crasheris» schon fast zu viel. Den wenig schmeichelhaften Spitznamen verdiente sich Andrea mit sehr vielen Unfällen in der ersten Hälfte seiner Karriere, aber in der zweiten entwickelte er sich zu einem überaus zuverlässigen Piloten. Er war ein Wandersmann: 1980 Alfa Romeo, 1981 McLaren, 1982 und 1983 wieder bei Alfa, 1984/85 in Diensten von Ligier, 1986 Minardi, 1987 Brabham, 1988 Rial, 1989/90 BMS-Dallara, 1991 Jordan, 1992/93 Tyrrell, 1994 nochmals Jordan, dann schliesslich Sauber. Kein Pilot ist für mehr verschiedene GP-Rennställe gefahren. Andrea de Cesaris kam Anfang Oktober 2014 in seiner Heimatstadt Rom bei einem Motorradunfall ums Leben.

Bruno Giacomelli (Italien)
Britischer Formel-3-Meister 1976, Formel-2-Champion 1978 – Bruno Giacomelli konnte Rennwagen fahren, das steht ausser Frage. Aber wer weiss, wieso er sich 1990 antat, den Life F190 zu bewegen. Im Heck röchelte ein W12-Motor (also mit drei Bänken zu je vier Zylindern). Damals hatten wir so viele Autos in der Formel 1, dass es am Freitagmorgen eine Vorqualifikation gab. Die Journalisten standen um den Life herum, und wenn der launische Motor zum Leben erwachte (nomen est omen), spendeten wir respektvoll Applaus. Giacomelli ging auf die Bahn. Der Topspeed liess ein bisschen zu wünschen übrig – wo andere mit 300 vorbeipfiffen, ächzte der Life mit 220 Sachen vorbei. Als Giacomelli zurück war, fragte ich ihn, wieso er nicht schneller fahre. Bruno, ohne mit der Wimper zu zucken: «Wenn ich schneller fahre, zerreisst’s den Kübel.» Die Honda-Motoren leisteten damals rund 700 PS. Das Triebwerk des früheren Ferrari-Ingenieurs Franco Rocchi kam auf 350.

Ernst Loof (Deutschland)
Der Rekord der kürzesten GP-Karriere wird in den meisten Statistiken zwei Piloten gutgeschrieben: dem Italiener Marco Apicella (GP Italien in Monza 1993, Kollision in der ersten Kurve) oder dem Argentinier Miguel Ángel Guerra (GP von San Marino 1981, Kollision mit Eliseo Salazar nach knapp 500 Metern). Dabei vergessen die Leute aber den Deutschen Ernst Loof, der auf dem Nürburgring 1953 von seiner Benzinpumpe im Stich gelassen wurde und ganze zwei Meter weit kam.

Yuji Ide (Japan)
Der Japaner Yuji Ide kam mit keinem üblen Leistungsausweis nach Europa: Meister der Formula Dream (Honda-Nachwuchsserie), Zweiter der Formel Nippon 2005. Danach wurde er mit 31 einer der älteren Formel-1-Neulinge der Neuzeit, als er für die Saison 2006 den zweiten Rennwagen von Super Aguri erhielt, neben Takuma Sato. Die Tatsache, dass Ide nur brüchig Englisch sprach, hinderte das Team nicht daran, ihn Grands Prix fahren zu lassen. In Bahrain war der Abstand zu Sato beträchtlich. Teamchef Aguri Suzuki hatte eine ungewöhnliche Erklärung bereit: «Er hatte nicht genügend Testfahrten, weil er nicht weiss, was er mit dem Auto machen soll.»

In Australien regte sich Rubens Barrichello über Ide auf, weil er in der Quali vom Japaner aufs Übelste blockiert wurde. In Australien fiel Yuji mit zahlreichen Drehern auf. In Imola rumpelte er schon in der ersten Runde mit dem Niederländer Christijan Albers zusammen – das Auto von Albers überschlug sich. An diesem Punkt gab der Weltverband FIA Teamchef Suzuki den höflichen Rat, vielleicht mal einen anderen Piloten einzusetzen. Ab Nürburgring sass Franck Montagny im zweiten Super Aguri.

Claudio Langes (Italien)
Einige halten ihn für den schlechtesten Formel-1-Fahrer, aber das wagen wir zu bezweifeln. Dennoch ist die Statistik gnadenlos – 14 Qualifikationsversuche mit EuroBrun, von USA bis Spanien 1990, kein einziges Mal am Start. Autsch.

Chanoch Nissany (Israel)
Chanoch Nissany tauchte aus dem Nichts auf, um im Freitagtraining zum Ungarn-GP 2005 einen Minardi zu lenken. Trainingsschnellster damals: Alexander Wurz im McLaren, mit 1:21,411 min. Zweitletzter: Nicholas Kiesa im Jordan, mit 1:28,230 min. Nissany kam, ohne den Wagen zuvor auch nur einen Meter bewegt zu haben, so fair müssen wir schon sein, auf eine persönliche Bestzeit von 1:34,319 min. Natürlich waren Hohn und Spott gross, vor allem nach seinem Ausflug in ein Kiesbett. Was die meisten jedoch vergessen: Nissany gab sein Freitagdebüt nach exakt drei Jahren im Motorsport und im reifen Alter von 41. Hin und wieder zählt auch der olympische Gedanke.

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