Singapur-GP: Verschwörung gegen Mercedes? Sieg adieu?
Nico Rosberg zischt durch die Nacht von Singapur
Mercedes hofft auf ein Motorsportwunder. Denn der frühere Formel-1-Fahrer und heuige Sky-GP-Experte Marc Surer teilt unsere Einschätzung: «Ich habe wirklich den Eindruck, dass Mercedes nicht weiss, wieso man hier in Singapur hinterherfährt.»
Startplatz 5 für Lewis Hamilton, Startplatz 6 für Nico Rosberg – so etwas hat es in der Turbo-Ära bei normalen Quali-Verlauf (also ohne Defekte oder Strafversetzungen) für die Silberpfeile noch nie gegeben!
Singapur in tiefer Nacht von Samstag auf Sonntag. Ein kleiner Mann verlässt das Fahrerlager. Einige Fans erkennen ihn, er kritzelt geduldig Autogramme. Dann verschwindet er in den Strassendschungel, alleine mit sich und seinen Gedanken. Wir können ihm beim Denken förmlich zusehen. Es ist Mercedes-Technikchef Paddy Lowe.
Zuvor hatte einer der Weltmeistermacher von Mercedes deponiert: «Ferrari und Red Bull Racing haben grossartig gearbeitet und uns in die dritte Reihe verdrängt. Diese Positionen waren wir zuletzt nicht gewöhnt. Irgendetwas haben wir an diesem Wochenende offensichtlich nicht richtig hinbekommen. Uns fehlte bereits seit dem Beginn des Trainings gestern die übliche Leistungsfähigkeit – obwohl Lewis und Nico das Auto bis an die Grenzen trieben. Wir haben in allen drei Sessions hart an dem Problem gearbeitet, inklusive letzten Veränderungen vor und während des Qualifyings. Aber bislang haben wir den Grund für unsere mangelnde Performance an diesem Wochenende nicht gefunden.»
Im Fahrerlager kursiert noch immer: Beim Mercedes wirken sich die Änderungen bei den Reifendrücken stärker aus als bei anderen Rennwagen. Verschwörungstheoretiker greifen das dankbar als Steilpass auf zur abstrusen Theorie: die Vorgaben von Pirelli wurden gar nicht aufgrund der Reifenschäden in Belgien eingeführt, sondern um die Überlegenheit der Silberpfeile zu beenden!
Doch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff wischt das entschlossen vom Tisch: «Was Pirelli verlangt, hat nichts mit unserem Mangel an Konkurrenzfähigkeit zu tun. Unsere Fahrer haben einfach zu wenig Grip, Untersteuern hier, mangelnde Traktion da.»
Nico Rosberg gibt Wolff Recht: «Der Reifendruck hat nichts mit unserer Darbietung hier zu tun.»
Weltmeister Lewis Hamilton glaubt: «Wir haben sicher hier mehr und härter daran gearbeitet, die Reifen zum Arbeiten zu bringen als auf anderen Strecken. Aber aus irgend einem Grund harmoniert die Abstimmung nicht mit Reifen und Strecke.»
Es kommt noch schlimmer für Mercedes: Selbst wenn Paddy Lowe auf seinem Rückweg ins Hotel eine zündende Idee gehabt hätte – ihm und seiner Truppe sind die Hände gebunden, sie umzusetzen.
Denn mit Abschluss des Qualifyings gelten für die Autos die so genannten Parc-fermé-Bedingungen. Da dürfen die Mechaniker vor dem Rennen nur noch Anstellwinkel des Frontflügel-Flaps mit vorhandenen Einstellmitteln verändern, also mit einer Einstellschraube oder Ähnlichem. Reifendrücke dürfen nur im zugelassenen Rahmen verstellt werden. Die Reifen dürfen ausgewuchtet werden. Aber schon die Bremskühlung ist ein Tabu – ausser wenn die Rennleitung eine Veränderung der klimatischen Bedingungen feststellt, zum Beispiel wenn es nach trockener Qualifikation im Rennen regnet. Dann dürfen Änderungen für die Kühlung von Motor und Bremse vorgenommen werden. Aber damit ist in Singapur nicht zu rechnen.
Ist der Grand Prix für Mercedes damit verloren?
Toto Wolff: «Man darf keine Wunder erwarten. Wenn wir die Dauerläufe vom Freitag anschauen, dann lag Red Bull Racing vor Ferrari und Mercedes, dann eine Lücke zu Williams. Ich gehe nicht davon aus, dass sich das nun auf morgen auf einmal ändert. Wir waren heute nur schnell genug für die Ränge 5 und 6, und ich sehe keine Gründe, warum sich daran fürs Rennen etwas ändern sollte.»
Ausser der Singapur-GP wird chaotisch wie so oft: In allen sieben bisherigen Nacht-GP im asiatischen Stadtstaat hat es Safety-Car-Phasen gegeben, in vier von sieben Rennen sogar deren zwei!