Sauber-Team: Der finanzielle Drahtseilakt geht weiter
Sauber steckt weiterhin in finanziellen Schwierigkeiten – vor wenigen Tagen musste Teamchefin Monisha Kaltenborn (44) bestätigen, dass ein Teil der Belegschaft die Februar-Löhne nicht ausbezahlt bekommen hatte. «Ich bedaure das ausserordentlich», sagte die Österreicherin mit indischen Wurzeln. «Wir haben jetzt die kostenintensivste Zeit. Und bei der Überweisung eines grossen Sponsoringbetrages aus dem Ausland hat es überweisungstechnische Probleme gegeben. Aber wir werden das in Kürze lösen», versprach die Teamchefin. Sie hielt Wort: Alle Löhne sind inzwischen bezahlt.
Aber Sauber in finanziellen Nöten ist leider nichts Neues: Hochstapler sind in diesem Geschäft regelmässige Fahrerlager-Besucher, und mit Broker, Lighthouse und Qadbak ging man (trotz Expertisen von Mercedes-Benz und BMW, wonach diese Partner glaubwürdig und verlässlich seien) vermeintlichen Geldgebern auf den Leim, deren angebliche Sponsoren-Millionen sich in Luft auflösten.
Ein menschlicher Schritt ins finanzielle Risiko
Einen Formel-1-Rennstall in der Schweiz zu betreiben, war von Anfang an «ein vernünftiger Schritt in die Unvernunft», wie Peter Sauber den Schritt als Mercedes-Partner in der Sportwagen-WM in den Grand-Prix-Sport bezeichnete.
Peter Sauber hat 2009 den Rennstall nach drei Jahren von BMW zurückerworben, als die Münchner aus der Formel 1 ausstiegen.
Sauber wollte sein Lebenswerk nicht zugrunde gehen sehen. Das zeugt von menschlicher Grösse, auch dafür geniesst der Zürcher in der Schweiz grösste Verehrung. Rennstallgründer Sauber wusste 2009 genau: Es geht nicht nur um mehrere hundert Arbeitsplätze im Hinwiler Rennwagen-Werk, sondern auch um Dutzende kleiner und mittelgrosser Unternehmen im Zürcher Oberland, die am Tropf von Sauber hängen. Wirtschafts-Experten sprechen von mehr als 1000 Arbeitsplätzen.
Kühle Rechner warnten schon 2009: Betriebswirtschaftlich war das (vor dem Hintergrund einer weltweiten Finanzkrise) ein kühner Schritt hinaus auf sehr brüchtiges Eis. Sauber musste von 388 Mitarbeitern auf 260 abbauen. Die finanziellen Hintergründe des Rück-Schrittes BMW zu Sauber sind nie kommuniziert worden.
Wo bleiben die Sponsoren?
Potente Sponsoren sind seither Mangelware bei Sauber. Der malaysische Konzern Petronas wurde von Mercedes abgeworben. Sauber fuhr 2010 mit dem Logo des «Sauber Club One» auf der Motorverkleidung, einem Konzept der Agentur Publicis: Wer anonymes Mitglied in diesem exklusiven Zirkel wurde, erhielt die Vorteile eines Sponsors – vorwiegend zur Kontaktpflege auf den Rennplätzen mit wirtschaftlich Gleichgesinnten. Wie erfolgreich dieses Konzept war, wurde nie bekannt. Bei Sauber wird nicht darüber gesprochen.
Ebenfalls 2010 stellte sich Sauber personell neu auf: Peter Saubers Sohn Alex kam anfangs des Jahres als Marketing-Direktor ins Team und trat in die Geschäftsleitung ein. Das verblüffte Fachleute: Jahrelang hatte Peter Sauber beteuert, seine Söhne hätten kein Interesse an der Formel 1.
Die seit dem Jahr 2000 für Sauber tätige gelernte Anwälting Monisha Kaltenborn wurde zur Geschäftsleiterin ernannt, im Mai 2012 wurden ihr ein Drittel der Anteile am Rennstall übertragen, im Sinne der Kontinuität. Am 11. Oktober 2012 übernahm sie offiziell von Peter Sauber den Posten des Teamchefs.
2011 schien es wirtschaftlich aufwärts zu gehen: dank der Verbindung zur reichsten Familie der Welt. Der Mexikaner Carlos Slim Helú (heute 76 Jahre alt), Herr des Telmex-Imperiums (Telekommunikation) ist mit einem Vermögen von mehr als 80 Milliarden Dollar einer der reichsten Menschen der Welt. Helús Sohn Carlos Slim Domit (48) untersteht das Rennfahrer-Förderungsprogramm von Telmex. Dank Telmex kam Sergio Pérez für zwei Jahre zu Sauber. Telmex hatte gewiss auch nichts gegen die Verpflichtung von Esteban Gutiérrez für 2013.
Schon bald kursierten Gerüchte, wonach die Mexikaner es mit der Zahlungsmoral nicht so genau nähmen. Einen Beweis für diese Unterstellung gibt es bis heute nicht, es gilt die Unschuldsvermutung. Seitens Sauber ist das Zahlungsverhalten von Telmex nie kommentiert worden, über Verträge oder deren Einhaltung äussert sich das Unternehmen grundsätzlich nicht.
Gemäss der Schweizer Handelszeitung zeigen Auszüge aus dem Betreibungsregister, dass eine Betreibungsforderung der Firma «América móvil» (des grössten Mobilfunkanbieters Lateinamerikas) in Höhe von 5,3 Millionen Schweizer Franken hängig ist. Carlos Slim Helú ist offenbar der Ansicht, dass Vertragsvereinbarungen im Rahmen der Verpflichtung von Esteban Gutiérrez nicht eingehalten wurden. Der Mexikaner wechselte für 2015 als Testfahrer zu Ferrari und gibt 2016 beim US-amerikanischen Haas-Rennstall ein GP-Comeback.
Eine 2012 eingegangene Partnerschaft mit dem Fussballklub FC Chelsea erzeugte im Formel-1-Fahrerlager Verblüffung. Was genau sollte damit bezweckt werden? Monisha Kaltenborn damals: «Fussball und Formel 1 sind wahrscheinlich die zwei populärsten Sportarten weltweit, gemeinsam erreichen wir eine riesige Fangemeinde. Das öffnet für unsere Partner Zugänge zu viel mehr Daten, zu potenziellen Fans und Kunden, für kommerzielle Aktivitäten. Und wir können auch gemeinsam mit kommerziellen Arrangements an Unternehmen herantreten.»
Wenn der Hintergedanke des Deals darin bestand, Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch (neunfacher Milliardär) zu einem Einstieg in die Formel 1 zu bewegen, ist leider nie passiert. Wieviele neue Finanzpartner hat Sauber dank Chelsea gefunden?
Ein Reinfall war auch die 2013 angekündigte Kooperation mit einer Reihe von russischen Partnern (Investment Corporation International Fund, State Fund of Development of Nortwest Russian Federation sowie National Istitute of Aviation Technologies). Mit deren Hilfe sollte die langfristige Zukunft des einzigen Formel-1-Rennstalls mit Sitz in der Schweiz gesichert werden. Als Gegenzug sollte der junge Russe Sergej Sirotkin aufgebaut werden.
Rein optisch war von den angekündigten Partnerschaften aber nie etwas zu sehen. Sponsorenlogos aus Russland? Fehlanzeige.
Über die wahren Hintergründe zum Scheitern dieses Bündnisses wurde nie gesprochen.
Ins Leere liefen auch Verhandlungen mit dem steinreichen Lawrence Stroll. Der Kanadier wollte seinen Sprössling Lance mittelfristig in der Formel 1 unterbringen, der talentierte Junge wurde Mitglied der Ferrari-Fahrerakademie. Stroll wollte mehr, Ferrari wollte nicht, Stroll suchte neue Partner, Sauber wollte keine Anteile abgeben, daraufhin zogen Papa und Sohn Stroll zu Williams.
Formel-1-Preisgeld: Im gefährlichen Strudel
In der Formel 1 wird Erfolg belohnt und Misserfolg postwendend bestraft: Sauber schloss die Saison 2010 (das Jahr 1 nach BMW) auf Gesamtrang 8 im Markenpokal ab, 2011 steigerten sich die Schweizer auf Platz 7, 2012 dann auf den sechsten Rang (Mercedes als Fünfte wären sogar in Reichweite gewesen).
Gemäss des Preisgeld-Schemas von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone besteht ein Platz besser oder schlechter aus mindestens zehn Millionen Dollar mehr oder weniger. Es folgten die WM-Platzierungen 7 (2013), 10 (2014, erstmals überhaupt eine Saison ohne Punkte) und 8 (2015).
Gleichzeitig muss Sauber für die neuen Turbo-Motoren ab 2014 rund 15 Mio Dollar im Jahr zahlen, die V8-Sauger kosteten pro Saison rund 9 Millionen. Nicht nur Sauber geriet wegen der sündhaft teuren Antriebseinheiten in Finanznöte: Das ging auch Force India und Lotus so. Caterham hatte zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben, aus Marussia wurde gewissermassen fünf vor zwölf Manor.
Der komplexe Preisgeldschlüssel von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone ist einer der Gründe, wieso es heute wieder negative Schlagzeilen über Sauber gibt.
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr wurde bekannt: Force India, Lotus (heute wieder Werksrennstall von Renault) und Sauber stecken in argen finanziellen Schwierigkeiten. Hilfe kam dann von Bernie Ecclestone. Die Rede war von einer Vorauszahlung von insgesamt rund 30 Millionen Dollar jenes Preisgeldes, auf das die Rennställe Anrecht haben, das jedoch gestaffelt ausbezahlt wird.
«November, Dezember und Januar sind immer die schlimmsten Monate. Das produziert und designt man das Auto und investiert mehr als 40 Prozent seines Budgets, ohne Einnahmen von aussen», erklärte damals Lotus-Eigentümer Gérard Lopez die Probleme der klammen Teams im Winter, wenn die Preisgelder von Ecclestone noch nicht fliessen.
Damit die Reise nach Australien und damit der Start beim ersten Grand Prix des Jahres gesichert ist, griff Bernie Ecclestone ein. Nicht zum ersten Mal. Finanzhilfen dieser Art hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Meist bleibt das zwischen den Teams und Ecclestone vertraulich.
Kalte Schulter aus der Schweiz
Seit Jahren fragen sich nicht nur Schweizer Fans: Wieso zeigen Schweizer Grossunternehmen dem Sauber-Rennstall mit wenigen Ausnahmen die kalte Schulter? Die Antwort lautet brutal: Weil sie Sauber selten brauchen. Das jahrelange Engagement der Credit Suisse ging auf die Freundschaft zwischen Peter Sauber zum Banker Oswald Grübel zurück. Als Grübel von der CS zur UBS wechselte, versuchte er, den Vorstand von einem Engagement zu bewegen – in Form eines UBS-Sauber. Der Vorstand fand die Idee der Formel 1 prachtvoll, stieg jedoch in Form von Bandenwerbung ein. Hintergrund: Dank Bandenwerbung sind die Logos der Grossbank viel länger im Bild zu sehen als mit dem eigenen Rennwagen.
Genau dies ist auch der Grund, wieso es keinen Sauber in Rolex-Farben gibt (Uhrenpartner von Sauber ist seit anfangs 2016 Edox). Das Wirtschafts-Schwergewicht Nestlé (der grösste Nahrungsmittel-Unternehmer der Welt) war nie an der Formel 1 interessiert, das Gleiche gilt für die Schweizer Pharma-Industrie, Oerlikon (Maschinen- und Anlagenbau) hat ein Sponsoring-Abkommen nicht verlängert.
Personelle Probleme
Ein kluger Mann hat einmal gesagt: «Jedes technische Problem ist im Grunde ein menschliches Problem.» Nicht alle Mitarbeiter sind in Hinwil glücklich geworden. Der vielgepriesene James Key löste im April 2010 das Sauber-Urgestein Willy Rampf als Technischer Direktor ab. Von da an ging es bei Sauber aufwärts. Doch der Engländer fühlte sich in der Schweiz eingeengt und wechselte zu Toro Rosso. Seither hat Toro Rosso grosse Fortschritte gemacht, Sauber nicht.
Für die Saison 2013 wurde der Mut von Chefdesigner Matt Morris und seinen Mitarbeitern bestraft. Sauber hatte sich dazu entschlossen, eine radikale Neukonstruktion zu wagen, statt auf der Basis des erfolgreichen 2012er Modells weiterzumachen. Das erwies sich als ebenso grosser Fehlschlag wie der radikal neue McLaren. Der Sauber-Renner büsste seine grösste Stärke ein: Er war kein Reifenflüsterer mehr, mit dem beispielsweise Sergio Pérez meisterhaft umzugehen wusste. Wie sehr ist das mit dem Verlust von Pierre Waché (an Red Bull Racing) verbunden? Der Leiter der Abteilung Performance arbeitete jahrelang für Reifenhersteller Michelin ... Vor dem Hintergrund eines stabilen Reglements erwiesen sich die gegnerischen Weiterentwicklungen als konkurrenzfähiger. Matt Morris nahm im Juni 2013 ein Angebot von McLaren an und verliess das Unternehmen.
Generell tut sich Sauber nicht leicht, gute Techniker nach Hinwil zu holen. Dieses Problem kennt Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost auch. Viele englische Spezialisten wollen nun mal nicht umziehen.
Auch in Sachen Fahrer hat Sauber nicht immer die glücklichste Hand gehabt: Pedro de la Rosa, nett, aber zu langsam, wurde noch in der Saison gegen einen anderen GP-Veteranen ausgetauscht, den langjährigen Sauber-Piloten Nick Heidfeld.
Der junge Kamui Kobayashi war aufregend, temperamentvoll, aber nicht konstant genug. Ende 2012 musste er nach drei Jahren gehen. Sergio Pérez zeigte so gute Ansätze, dass ihn McLaren engagierte, mit gütiger Hilfe von Telmex. Estaban Gutiérrez wurde für 2013 als Pérez-Nachfolger geholt, angeblich spielte die Verbindung zu Telmex dabei keine Rolle. Der Mexikaner blieb den Beweis schuldig, ein Überflieger zu sein.
Nico Hülkenberg war für Sauber ein Glücksgriff, aber den Emmericher zog es zurück zu Force India.
Mit Adrian Sutil stimmte die Chemie nicht. Ein Gerichtsfall mit dem Deutschen (der wie der Niederländer Giedo van der Garde für 2015 einen Vertrag hatte) läuft noch.
In Australien 2015 wurde das Fahrerwirrwarr um Sauber dann auf die Spitze getrieben: Das Team musste den Niederländer Giedo van der Garde abfinden, weil Monisha Kaltenborn lieber Felipe Nasr und Marcus Ericsson fahren lassen wollte. Der Niederländer ging in der Schweiz erfolgreich vor Gericht und wollte sogar in Australien das Material von Sauber beschlagnahmen lassen. Angeblich griffen hinter den Kulissen die mächtigsten Männer der Formel 1 ein, um Schlimmeres zu verhindern.
Monisha Kaltenborn ist davon überzeugt, dass sie damals das Richtige getan hat: Die Sponsoren des Brasilianers Nasr und des Schweden Ericsson sollen das Überleben des Rennstalls sichern.