Neue Grand-Prix-Strecken: Volltreffer und Versager
Der frühere BMW-Rennchef Dr. Mario Theissen hat einmal festgehalten: «Für mich muss in der Formel 1 die Mischung stimmen – traditionelle Strecken, welche die DNA des GP-Sports bedeuten, wie Monza oder Silverstone oder Monaco, gepaart mit neuen, aufregenden Orten, wie Singapur oder Abu Dhabi.»
Wenn wir uns die letzten zehn neuen Standorte anschauen, wer sich etabliert hat, wer noch kämpft, wer zum Scheitern verurteilt war, dann zunächst eine Randbemerkung: Natürlich haben wir den herrlich gelegenen Red-Bull-Ring in der Steiermark und die verrückten Mexikaner am Autódromo Hermanos Rodríguez nicht vergessen. Beide Strecken wurden jedoch umgebaut und sind damit, streng genommen, Rückkehrer, keine Neuling. Österreich und Mexiko sind willkommene Bereicherungen im Formel-1-Programm – die Steiermark, weil der Sport mehr Visionäre wie Didi Mateschitz und mehr europäischen Pisten bräuchte; Mexiko, weil die Stimmung entlang der Stadtrennstrecke nur noch mit dem ganz normalen Wahnsinn von Monza oder Interlagos an ihren besten Tagen zu vergleichen ist.
Schauen wir uns die neuen Strecken im Einzelnen an.
Bahrain: Üppig finanziert
Bahrain hat sich seit 2004 (mit einer Unterbrechung 2011) etabliert. Wir könnten nicht behaupten, dass die Fans das arabische Eiland vor Begeisterung überrennen. Aber alles deutet darauf hin, dass der von der Königsfamilie üppig finanzierte Bahrain-GP bleibt – selbst wenn die Betreiber der Qatar-Rennstrecke um Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone herumschwänzeln. Die Umstellung auf ein Nachtrennen 2014 hat mehr Fans zur Rennstrecke gelockt, die Rennen sind attraktiver geworden, die Piste wirkt im Fernsehen auch attraktiver.
Shanghai: Aufwärtstrend
Shanghai hat seit 2004 eine seltsame Entwicklung genommen: Bei der ersten Ausgabe kamen sehr viele Neugierige, dann verflachte das Interesse. In den vergangenen Jahren jedoch haben die Chinesen erheblich mehr Werbung fürs Rennen gemacht, und das wirkt sich nun positiv aus. Die Zuschauerzahlen steigen, auch dank des Bahnhofs direkt an der Rennstrecke, der in den ersten Jahren gar nicht in Betrieb war. Der China-GP wird bleiben.
Türkei: Anleitung, wie man es verpatzt
Die Formel 1 in der Türkei ist ein gutes Beispiel, wie man es nicht macht: Das ist sehr bedauerlich, denn der 2005 erstmals genutzte Rennkurs war anspruchsvoll und bei den Piloten beliebt. Leider war die Strecke zu weit von der tollen Stadt Istanbul entfernt, und den Türken schien es völlig einerlei, ob ein Autorennen in der Stadt ist oder nicht. Nach 2011 war Schluss.
Valencia: Falsches Timing
Valencia ist am Timing gescheitert: Spanien im Allgemeinen und Valencia im Besonderen sind in enorme wirtschaftliche Probleme geschlittert, da sind 30 Mio Euro Antrittsgebühr für die Formel 1 ein Luxus, den man sich einfach nicht leisten kann. Die Strecke am Meer war hübsch, die Stadt Valencia ist für jeden einen Besuch wert (auch ohne Formel 1), aber die Piloten fanden sie einfallslos und wenig anspruchsvoll. Die Zuschauerzahlen waren im ersten Jahr (2008) ordentlich, dann aber im freien Fall – die Fans konnten sich den Besuch einfach nicht leisten.
Singapur: Ein sofortiger Klassiker
Singapur hat ab 2008 das Kunststück geschafft, in kürzester Zeit ein Klassiker zu sein: Die Atmosphäre beim ersten reinen Nacht-GP ist einmalig und elektrisierend, die Piste ist der Hammer, die ganze Stadt lebt mit der Formel 1 mit. Die Fahrer lieben die Herausforderungen der Buckelpiste, gepaart mit der Hitze. Die Veranstalter verwöhnen die Fans in Form von Konzerten mit Weltstars – so geht das heute. Das Rennen ist jedes Mal ausgebucht.
Abu Dhabi: Geld spielt keine Rolle
Abu Dhabi debütierte 2009. Die Piste ist angeblich die teuerste der Welt, die Schätzungen pendeln zwischen 400 und 500 Mio Dollar Baukosten. Das Rennen in die Nacht hinein hat ihr eigenes Flair, der Rahmen mit dem atemraubenden Yas-Hotel ist aufregend. Die Zuschauerzahlen bewegen sich ungefähr auf dem Niveau von Bahrain, aber das ist den Arabern herzlich egal. Die Rennstrecke ist nur ein Magnet, um sich weltweit in die Auslage zu stellen.
Südkorea: Komplette Schnapsidee
Südkorea war von Anfang an eine Schnapsidee eines Staatschefs, der seiner Heimatregion einfach etwas Gutes tun wollte. Eine Piste 300 Kilometer von der Weltstadt Seoul entfernt im Nichts – das konnte nicht gutgehen. Die Mittel fehlten, um die Piste in Schuss zu halten. Die geplante Stadt um die Piste herum blieb der feuchte Traum von Computergrafikern. Unvergessen die (leider wahre) Anekdote, dass die Teams 2011, ein Jahr nach der Premiere, in den Kühlschränken die Reste vom Vorjahr fanden! Und am Fusse des Siegerpodests lag noch ein Champagnerkorken von der GP-Premiere. Die Südkoreaner pokerten mit Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone um eine niedrigere Antrittsgebühr. Der strich daraufhin das Rennen. Hier gab es nur Verlierer, die Piste ist eine sündhaft teure Bauruine.
Indien: Keiner will zurück
Nur drei Mal gab es einen Indien-GP, und kaum einer im Fahrerlager weint dem Rennen eine Träne nach: Jämmerliche Bausubstanz, Steuerstreit, unfassbare Zustände im Grossraum Delhi. Alle schienen blind dem Wachstumsmarkt Indien hinterher rennen zu wollen, aber das Zuschauerinteresse liess nach ordentlichem Besuch im ersten Jahr schlagartig nach. Die Piste liegt zu weit weg vom Zentrum, die meisten Inder können nur von Beträgen träumen, welche eine Eintrittskarte kostet
Texas: Ein Zuhause in den USA
Auch wenn das GP-Wochenende 2015 wortwörtlich ins Wasser fiel – die Texaner haben der Formel 1 endlich ein passendes Zuhause gebaut. Eine tolle Rennstrecke mit ganz besonderem Flair ausserhalb einer sympathisch-dynamischen Stadt. Der Formel-1-Tross fühlt sich hier willkommen und wohl.
Sotschi: Mehr Pfeffer, bitte
Grundsätzlich sieht eine Rennstrecke um die Bauwerke der Olympischen Winterspiele 2014 aufregend und ungewöhnlich aus. Aber vor Ort wirkt die Anlage seltsam steril und seelenlos. Das Premierenrennen war stinklangweilig. Die Zweitausgabe 2015 war spannend – was am ungewöhnlichen Training lag. Wegen Regens konnten die Rennställe kaum Erfahrungen sammeln, das Rennen war ein Schritt ins Unbekannte. Das ergibt meist unterhaltsame Grands Prix. 2015 kamen mehr Zuschauer als 2014, aber wir könnten nicht behaupten, dass Daniil Kvyat die Massen in Bewegung setzt. 2016 versuchen die Russen etwas anderes – das Rennen ist in den Frühling versetzt worden (1. Mai). Angeblich sollen dann mehr Fans aufmarschieren als im Herbst.