Mercedes: Brief an Hasser, Schwarzmaler, Verschwörer
Mercedes feiert den Doppelsieg von Sotschi
Formel-1-Weltmeister Mercedes hat sich auf dem eigenen Fanportal mit einem offenen Brief an die GP-Anhänger gewandt. Dabei wird Stellung zu Verschwörungstheorien bezogen, die im Internet kursieren, wonach Lewis Hamilton im Team benachteiligt werde. Und Mercedes erklärt im ausführlichen Schreiben auch, wie leicht in Russland aus dem tollen Doppelsieg ein Totalausfall hätte werden können. Mercedes schreibt unter anderem ...
«Wir sind mit gemischten Gefühlen aus Russland nach Hause zurückgereist. Auf der einen Seite sind wir stolz auf den Doppelsieg. Auf der anderen Seite war es ein stressiges Wochenende für alle – für die Fahrer am Lenkrad, für die Fachkräfte am Kommandostand und in der Box, für ihre Kollegen zuhause in den beiden Werken, letztlich auch für die Fans zuhause.»
«Wir haben nach den mechanischen Problemen in Russland wahrgenommen, dass online viele Fans ihrer Frustration Luft gemacht haben. Wir teilen die Emotionen – aber für uns ist das ein wenig mehr als Enttäuschung. Für die Fans zuhause beginnt ein GP-Wochenende am Donnerstagmorgen und endet Sonntagabend. Ein schlechtes Ergebnis, das schmerzt ein paar Stunden lang, dann geht für die Fans das normale Leben weiter. Für mehr als tausend Mitarbeiter in Brackley und Brixworth ist dies aber das normale Leben.»
«Diese Frauen und Männer engagieren sich mit Fleisch und Blut, Tag und Nacht wird geschuftet, viel geschwitzt, manchmal auch geweint, oft dauert die Arbeit rund um die Uhr, meist sehen diese Spezialisten ihre Liebsten viel zu selten. Sie tun sich das alles an, weil sie tiefe Leidenschaft für den Sport empfinden, weil sie ihren Mitarbeitern gegenüber loyal sind und weil sie danach streben, die Besten zu sein.»
«Der Erfolg der letzten Wochen war kein Zunfall. Um Toto Wolff zu zitieren, haben wir uns den Ars.. aufgerissen, um dort zu sein, wo wir heute sind. Die Gesichter an der Rennstrecke sind dabei gewissermassen nur die Spitze des Eisbergs. Aber sie sind das perfekte Beispiel für Mannschaftsarbeit. Wir absolvieren nicht nur Boxenstopps als Team. Wir reisen gemeinsam, teilen Hotelzimmer, essen Mahlzeiten, bauen Boxen auf und wieder ab, zerlegen Rennwagen und bauen sie ein weiteres Mal zusammen, reparieren, war beschädigt ist, ersetzen, was kaputt ist, packen Tonnen von Fracht. Es ist kein Klischee: Wir gewinnen und wir verlieren zusammen. Nicht für einen bestimmten Piloten, sondern für einander. Es gibt kein A- und kein B-Team bei uns.»
«Wir waren vor den Kopf gestossen und am Boden zerstört darüber, dass am Wagen von Lewis Hamilton der gleiche Defekt aufgetreten ist wie in China. Aber wir haben nach dem Training die Ruhe bewahrt, unsere Gedanken gesammelt, und dann haben wir losgelegt. Es kommt einer Herkulesaufgabe vieler Mitarbeiter in England und in Russland gleich, dass wir frische Ersatzteile nach Sotschi einfliegen liessen und sie so einbauten, dass die Parc-fermé-Regeln nicht gebrochen wurden und Lewis vom zehnten Platz losfahren konnte. Das war eine grosse Belastung, hat aber die Erleichterung noch grösser gemacht, beide Autos im Ziel zu sehen.»
«Nach dem einzigen Stopp haben wir gemerkt, dass es bei Nico am Generator der kinetischen Energierückgewinnung alarmierendes Verhalten gibt. Wir versicherten Rosberg, sein Abstand auf Hamilton sei gross genug, um Tempo rauszunehmen. Dann erhielten wir von den Regelhütern der FIA grünes Licht, Rosberg sagen zu dürfen, am Motor gewisse Einstellungen zu wechseln, die es uns erlaubten, dem Problem Herr zu werden. Als Nico dann kurz vor Schluss die beste Rennrunde fuhr, da war er noch immer in diesem Schonmodus. Das zeigt, wie überlegen der Mercedes in Sotschi war.»
«Kurz nach der Angelegenheit bei Rosberg erkannten wir, dass der Wasserdruck im Auto von Lewis fällt. Zu diesem Zeitpunkt setzte er sich von Räikkönen ab und jagte Rosberg. Erneut klärten wir bei der FIA ab, was wir Lewis sagen dürfen. Am Ende fuhr Hamilton die letzten 16 Runden mit null – jawohl, null! – Wasserdruck. Wie er den Wagen um den Kurs trug und dennoch Rang 2 einfuhr, ist bemerkenswert. Er musste den Wagen so kühl als möglich halten, gleichzeitig aber auf Kimi hinter sich aufpassen. Um ehrlich zu sein: Wir wissen nicht, welches Rennwunder den Wagen über die Ziellinie gebracht hat.»
«Das ändert freilich nichts daran, dass wir unsere eigenen Erwartungen in Sachen Standfestigkeit in diesem Jahr verfehlen. In Sachen Speed gibt es nichts zu jammern: Wir haben nun nur zwei Punkte weniger auf dem Konto als zum gleichen Zeitpunkt der WM vor einem Jahr. Wir wollen aber nicht nur schnell, wir wollen kugelsicher sein. Wir wollen Probleme nicht handhaben, sondern sie verstehen und aus der Welt schaffen. Daran arbeiten wir. Garantien gibt es keine. Dies ist ein mechanischer Sport auf Messers Schneide. Wir verschieben Grenzen, und Defekte kommen dabei vor.»
«Vier Rennen abgehakt, 17 weitere folgen. Bislang war es eine irre Achterbahnfahrt. Wir wissen: Weitere Höhepunkte und Tiefschläge werden folgen, gute und schlechte Tage, Sieg und Niederlage. Wir stehen dabei zusammen, so wie immer.»
«Jenen, die uns beistehen, sagen wir – dankeschön für die Unterstützung. Und was den Rest angeht, die ganzen Hasser, Schwarzmaler und Verschwörer: Wenn wir nur die Hälfte von Euch davon überzeugen können, wofür wir einstehen, dann ist auch das ein schöner Sieg.»