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Deutscher GP-Nachwuchs: Es hapert hinten und vorne

Kolumne von Günther Wiesinger
Sandro Cortese auf dem Weg zum WM-Titel 2012

Sandro Cortese auf dem Weg zum WM-Titel 2012

Nach dem Titelgewinn von Dirk Raudies 1993 dauerte es 18 Jahre bis zum nächsten WM-Titel von Stefan Bradl. Jetzt ist ein Tiefpunkt erreicht, es fehlt an deutschen Talenten und zündenden Ideen zur Nachwuchsförderung.

Ja, es ist lange her. Vor rund 20 Jahren habe ich in Indonesien einmal erlebt, dass nach fünf Runden eines 125-ccm-WM-Laufs vier deutsche Fahrer unter den Top-5 mitmischten – Dirk Raudies, Peter Öttl, Oliver Koch und Tex Geissler.

Heute sieht die Situation wesentlich trister aus.

2017 wurde kein deutscher GP-Sieg gefeiert, der letzte gelang Jonas Folger (Moto2) 2016 in Brünn.

Nur zwei deutsche GP-Podestplätze wurden 2017 errungen – durch zweite Plätze von Folger (Sachsenring/MotoGP) und Öttl (Spielberg/Moto3).

Und seit 2013 ist Philipp Öttl der einzige neue deutsche GP-Teilnehmer, der sich dauerhaft in dieser Rennserie gehalten hat.

Talente wie Florian Alt und Luca Grünwald sind längst in der IDM gestrandet.

In der Saison 2016 haben die deutsche GP-Piloten noch sechs Podestplätze (5x Folger, 1x Cortese) errungen.

Die Situation wird immer trostloser. 2018 werden nur noch drei deutsche Stammfahrer im GP-Sport zu sehen sein – Öttl, Schrötter und Folger.

Damit wurde das Manpower-Niveau von Malaysia erreicht.

Und selbst die Schweiz, in der seit 1955 ein Rundstreckenverbot gilt, verfügte 2015 noch über fünf Moto2-WM-Piloten – Lüthi, Aegerter, Krummenacher, Raffin und Mulhauser.

An deutschen GP-Teams mangelt es nicht. Aber Kiefer wird mit Aegerter antreten, Saxoprint Prüstel mit Kornfeil und Bezzecchi, nur Intact (Schrötter) und Südmetall Schedl Racing (Öttl) bringen deutsche Fahrer in die WM.

Die deutsche Zukunft schaut nicht gerade rosig aus. In der Moto3-Junioren-WM hat 2017 kein deutscher Teilnehmer einen Punkt ergattert. Für den Red Bull Rookies-Cup 2018 wurde kein deutsches Talent selektioniert.

Auch in der Superbike-WM 2018 wird kein Deutscher zu sehen sein, 2017 waren anfangs noch Bradl und Reiterberger dabei.

All diese Fakten sind nicht neu.

DMSB: Falsche Konzepte

Trotzdem schlafen die überforderten Funktionäre ADAC, DMV und DMSB friedlich weiter. Die Funktionäre werden aus ihrer Lethargie erst aufwachen, wenn ihnen der letzte Lizenznehmer abhanden gekommen ist.

Die IDM wurde mit sinnlosen Kategorien und jämmerlichen Konzepten zielsicher in den Ruin gesteuert. Sie wurde jahrelang von der Industrie finanziert und von den Teilnehmern, deshalb flogen alle Klassen, die Talente ans Tageslicht bringen könnten, aus der Meisterschaft.

Solange es noch die IDM 125 und den Zweitakt-ADAC-Junior-Cup sowie den deutschen ADAC Rookies-Cup gab, wurde immer Nachschub für den GP-Sport gezüchtet.

Heute weichen angebliche Talente in andere Serien wie NEC aus, weil sie zu langsam sind, weil ihnen das Geld oder die professionelle Unterstützung fehlt. Aber von dort bleibt die Weltmeisterschaft unerreichbar.

Von allen deutschen Experten weiß keiner eine Antwort auf die Frage: Wer soll der nächste deutsche Moto3-WM-Fahrer werden?

Georgi, Geiger, Freitag, Orgis, Jähnig, Kappler und so weiter – offenbar alle nicht schlagkräftig genug, sie weichen auf Nebenschauplätze wie NEC oder Supersport 300-WM aus, weil DMSB und ADAC kein Nachwuchskonzept haben, weil diese Verbände auf den Automobilsport fixiert sind. Es werden lieber Millionen in die ADAC GT Masters gesteckt, damit sich ein paar wohlhabende Hobbyfahrer ein schönes Wochenende mit riesigen Hospitality-Buden machen können.

Wir sind längst wieder in der zweiradsportlichen Tiefebene der frühen 1970er-Jahre angelangt, als neben Dieter Braun kaum ein deutscher Solofahrer für Furore sorgte, von Herbert Rittberger (50 ccm) mal abgesehen.

Braun brachte Toni Mang in die Weltmeisterschaft, der fünf WM-Titel gewann und einen Boom auslöste wie später Boris Becker mit seinen Tenniserfolgen. Martin Wimmer erreichte im Sog von Mang drei GP-Siege, Manfred Herweh fünf, er wurde 1984 Vizeweltmeister 250 ccm – wie später Reinhold Roth, Helmut Bradl und Ralf Waldmann, der nicht weniger als 20 Grand Prix gewann. Mit Gustl Reiner und Michi Rudroff standen die Deutschen auch in der 500er-WM ihren Mann.

Viele gescheiterte Talente

Aber Talente wie Philipp Hafeneger, Benny Jerzenbeck, Claudius Klein, Jarno Müller, Reinhard Stolz, Mike und Frank Baldinger, Thomas Mayer, Luca Grünwald, Oliver Koch, Daniel Kartheininger, Dirk Reißmann, Lucky Glöckner, Toni Finsterbusch, Maik Minnerop, Georg Fröhlich, Luca Amato, Klaus Nöhles, Florian Alt und einige andere haben sich später nicht dauerhaft in der WM etablieren können.

Dabei fanden sich genug Teams, die Nachwuchsförderung in Deutschland auf ihre Fahnen schrieben – von Eckl Racing über RTG bis zu Kiefer, dem ADAC Junior Team, MZ Racing, Freudenberg, Dynavolt Intact und Saxoprint Prüstel.

Man muss sich aber vor Augen halten, dass die meisten GP-Karrieren in den letzten 25 Jahren durch Eigeninitiativen von Familie oder Enthusiasten gefördert wurden – bei Raudies, Bradl, Jenkner, Nöhles, Hofmann, Alt, Peter und Philipp Öttl, Geissler, Schrötter, Folger und so weiter.

So kamen immerhin drei WM-Titelgewinne zustande: 1993 durch Raudies, 2011 durch Stefan Bradl, 2012 durch Cortese.

Und es gab in Deutschland auch immer wieder namhafte Sponsoren – man denke nur an Krauser, Rallye Sport-Chef Rolf Schwabe Schott (Dainese und Boeri Import), Römer Helmets, HB, Marlboro, Hein Gericke, Ditter Plastic, UGT 3000, Red Bull, Viessmann, Intact, Südmetall, Liqui Moly, Saxoprint, Schedl, alpha racing und so weiter. Aber die meisten Geldgeber werden durch persönliche Connections überzeugt, die großen Unternehmen wie Deutsche Post und Aral investieren lieber ein Vielfaches in die DTM. Weil dort die Vermarktung professioneller vonstatten geht.

Dazu kommt: Die heutigen IDM-Nachwuchsklassen fördern keine wirklich vielversprechenden Talente zutage. Und die aktuellen Topfahrer von Bradl über Cortese bis zu Folger, Schrötter, Reiterberger und Öttl haben ihr Potenzial bisher auch nie optimal ausgeschöpft.

Klar, Spanien hat von den klimatischen Bedingungen her, durch die vielen Rennstrecken und professionelle Teams von Pons über Aspar bis zu Alzamora und Avintia sowie einen starken Verband einen Standortvorteil und dank der Sponsoren günstige Voraussetzungen.

So verfügt Spanien 2018 über neun MotoGP-Fahrer und je sieben Fahrer in der Moto3- und Moto2-WM.

Deutschland bringt es pro Klasse auf einen Athleten. Großbritannien setzt mit Crutchlow, Smith und Redding allein in der MotoGP-Klasse drei Werksfahrer ein – trotz Brexit und dauerhaft schlechtem Wetter.

Zum Teil fehlt es den etablierten deutschen Stars am Konkurrenzkampf, sie bleiben oft auch bei mittelmäßigen Ergebnissen in der WM.

Als Nachteil gilt oft die Körpergröße der Nordeuropäer, und es wird über mangelnde Trainingsgelegenheiten geklagt. Aber auch die deutschen Rennradprofis müssen im Winter in südliche Gefilde ausweichen – und sind Weltklasse.

Die meisten Probleme sind hausgemacht. Die Teams und Fahrer werden in Deutschland sich selbst überlassen. Eine Nachwuchs-Akademie für Motorradfahrer – Fehlanzeige.

Dass der DMSB jahrelang FIM-Gelder in Millionenhöhe unterschlagen oder zweckentfremdet hat, die dem Breitensport gewidmet werden sollten, ist Tatsache. Aufgeklärt wurde dieser Skandal nie.

Landesimporteure: Kein Interesse an GP-Piloten

Vom DMSB dürfen wir uns also nichts erhoffen, vom ADAC auch nicht. Und die Landesimporteure der japanischen Hersteller investieren lieber eine halbe Million in ein IDM-Superbike-Team und in zweitklassige ausländische Fahrer, um dann ohne Zuschauer und ohne TV-Coverage im Kreis zu fahren und ihre Heldentaten zu beweihräuchern.

Längst vorbei sind die Zeiten, als Honda, Yamaha, Kawasaki, Suzuki, Aprilia und KTM in Deutschland für den GP-Sport richtig Geld investierten und zum Toni-Mang-Boom erheblich beitrugen.

Beim ADAC Sachsen existiert ein Nachwuchsprojekt, geleitet von Dirk Reißmann. Statt in der IDM wird in Spanien gefahren. Aber wo bleiben die zählbaren Resultate?

Über den ADAC möchte ich gar keine Wort mehr verschwenden. Stichwort Northern Europe Cup. Warum finanziert ein deutscher Autofahrerverein für den Nachwuchs aus Dänemark, Polen oder den Niederlanden eine Rennserie in halb Europa?

Aufstiegschancen nach dem NEC? Keine. Medienteresse? Null. Und bei den Rennen sind die Kids auf der Piste unterwegs, wenn alle anderen Teilnehmer schon beim Abendessen sitzen.

Für DMSB und ADAC wäre der Niederländer Barry Venemann ein interessanter Gesprächspartner. Er ist selber mal IDM und WM gefahren und seit einigen Jahren niederländischer Nationaltrainer. Und dort wachsen inzwischen einige Talente heran.

Experten wie Harald Eckl, Peter Öttl und andere finden sich auch in Deutschland. Aber die Zusammenarbeit scheitert am beängstigenden Dilettantismus der Funktionäre von DMSB und ADAC.

Also können wir nur hoffen, dass alle 20 Jahre durch glückliche Fügung ein deutscher Motorradfahrer irgendwie Weltmeister wird.

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