MotoGP: Das Saisonfinale ist in Barcelona

Jürgen Lingg (Intact): «Zu ehrgeizig und euphorisch»

Von Günther Wiesinger
Tom Lüthi und Marcel Schrötter, die Fahrer des Liqui-Moly-Intact-GP-Teams, erfüllten 2020 die Erwartungen nicht. Teamchef Jürgen Lingg analysiert die gemachten Fehler und zieht die Lehren daraus.

Das deutsche Liqui Moly Intact GP-Team beteiligt sich seit 2013 an der Moto2-Weltmeisterschaft und stellt seit der ersten Saison höchste Ansprüche. Der Memminger Rennstall wurde ursprünglich für Moto3-Weltmeister Sandro Cortese gegründet, er sollte weltweit das Pendant zum erfolgreichen Abt-Audi-Team werden.

Die Teamteilhaber Stefan Keckeisen (Keckeisen Akkumulatoren) und Wolfgang Kuhn (Kuhn Bau AG) wollten von Anfang an so erfolgreich werden wie die Top-Team, namentlich Pons HP 40, Marc VDS, Sky VR46 oder Italtrans. Aber nach acht Jahren stehen nur zwei Moto2-GP-Siege auf der Habenseite (Jonas Folger 2016 in Brünn, Tom Lüthi 2019 in Texas), ein Weltmeistertitel fehlt weiter in der Erfolgsbilanz. Am nähesten kam Lüthi in die Nähe eines Titelgewinns, er verfehlte ihn 2019 gegen Alex Márquez um zwölf Punkte.

Aber es fehlte in den letzten zwei Jahren jeweils die Konstanz über die ganze Saison. 2019 geriet Lüthi wegen des neuen Hinterreifens ab Jerez in ein Tief. 2020 blieben Tom Lüthi und Marcel Schrötter fast das ganze Jahr hinter den Erwartungen. Lüthi stürzte auf den elften WM-Rang ab, er verlor 133 Punkte auf Weltmeister Bastianini.

Schrötter kam im Vorjahr nach 15 Rennen über den neunten WM-Rang nicht hinaus. Vor der Saison hatte er sich zu den Titelanwärtern gerechnet. Marcel Schrötter hat in der Moto2-WM seit 2012 insgesamt fünf Podestplätze erreicht, ein GP-Sieg blieb ihm bisher versagt. Trotzdem spekulierte er bereits nach dem Sachsenring-GP 2019 mit den Aufstieg in die MotoGP-Klasse. «Wenn es 2020 nicht klappt, dann vielleicht 2021», sagte er damals. Schon bei Tech3 hatte er im Gegensatz zu Kumpel Jonas Folger den Sprung in die MotoGP-Klasse nicht geschafft.

Dieses Ziel ist für den 28-jährigen Bayern inzwischen in weite Ferne gerückt. Er schaffte im Vorjahr mit Platz 3 in Spielberg nur einen Podestplatz, dazu kamen je ein vierter, fünfter und sechster Platz.

Im Interview mit SPEEDWEEK.com spricht Jürgen Lingg, Teammanager und Technical Director bei Liqui-Moly-Intact-GP, über die Fehler der Vergangenheit und die Lehren für die Zukunft.

Jürgen, ihr habt seit 2016 jeweils zwei Moto2-Fahrer im Team. Aber 2019 und 2020 sind nicht zufriedenstellend verlaufen. Woran lag es? Tom Lüthi dominierte 2020 im Februar beim Jerez-Test, aber die WM ging in Katar verheerend los, weil dort weniger Grip herrschte.

Ja, auf jeden Fall.

Man muss erwähnen, dass wir uns speziell nach dem letzten Saisondrittel 2019, als Tom immer auf dem Podium war, für 2020 viel ausgerechnet haben.

Auch bei der Wintertests und bei den Frühjahrtests lief es mit ihm überragend. Dass wir dann eine Woche nach dem Jerez-Test in Katar auf solche Probleme stoßen würden, damit hat keiner gerechnet. Ich habe das immer noch nicht ganz verdaut.

Das war ganz schwierig zu verstehen.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass wir uns nach der Performance von Tom logischerweise für 2020 alle sehr hohe Erwartungen gesteckt haben. Wir haben uns zu viel Druck gemacht.

Als es dann zum Saisonstart nicht plangemäß gelaufen ist, haben wir es nicht hingebracht, cool genug zu bleiben, um das wegzustecken und an den Problemen zu arbeiten.

Das Hauptproblem war eigentlich Katar, eine Woche nach dem überragenden Jerez-Test. Tom ist in Doha zweimal gestürzt, als es nicht so ging, wie er sich das vorgestellt hat. Das hat ihn viel Selbstvertrauen gekostet. Dann kam Platz 10 beim ersten Rennen in Doha, nachher folgte der ewige Lock-down, der auch nicht so gut war für uns.

So ist es dann weitergegangen.

Tom hat in Katar gelitten, weil es dort wenig Grip gab. Aber das darf nicht als Ausrede zählen. Die Verhältnisse waren für alle Fahrer gleich.

Im Rückblick muss ich sagen: Wir hätten damals kühler bleiben und die Situation cooler managen müssen. Aber wir waren alle zu ehrgeizig und zu euphorisch.

Marcel Schrötter hat schon in der zweiten Saisonhälfte 2019 schwach abgeschnitten. 2020 gab es bei ihm auch selten Grund zur Freude. Seine Saison ist zäh verlaufen.

Die Performance von Marcel kam für mich nicht sooo überraschend. Wir kennen ihn nach vier Jahren recht gut. Wir wissen, das er viel Potenzial hat, aber es nicht immer so nutzt, wie er nutzen müsste oder könnte.

Daran müssen wir arbeiten.

Dazu hat Marcel in Misano 2019 einen Schlüsselbeinbruch erlitten. Dann hat er immer wieder «arm pump»-Probleme gehabt. Er hat sich dann im letzten August zum zweiten Mal am Unterarm operieren lassen. Das hätte man halt auch früher machen müssen.

Hat sich Marcel Schrötter zu stark unter Druck gesetzt? Er ist mit Viñales und Miller befreundet, kennt deren stolze Gagen und hofft dauernd auf ein MotoGP-Angebot. Als WM-Neunter kriegt man aber keines. Musst du ihm nicht klarmachen, er soll zuerst einmal in der Moto2 zeigen, was er kann?

Ja, auf jeden Fall. Das haben wir auch so beredet.

Für ihn sind in der Moto2 noch so viele Rechnungen offen. In dieser Klasse ist für ihn noch so viel möglich. Dieses Potenzial muss man irgendwann auch nutzen. Vorher braucht man nicht über MotoGP zu reden.

Es muss ja auch nicht jeder Rennfahrer MotoGP fahren. Moto2 ist auch eine Weltmeisterschaft und eine verdammt anspruchsvolle Klasse. Jeder weiß, dass sich die Top-5 aus der Moto2 alle in der MotoGP etablieren. Aber dieses Ziel muss man halt erreichen.

Ich denke, das ist jetzt geklärt.

Fahrer wie Luigi Taveri, Angel Nieto oder Toni Mang sind Legenden geworden, ohne jemals in der Königsklasse erfolgreich gewesen zu sein.

Genau so ist es.

Tom Lüthi hat in zehn Moto2-Jahren in drei verschiedenen Teams zwölf Grand Prix in dieser Klasse gewonnen. Mit einem Sieg im Jahr ist noch keine Moto2-Weltmeister geworden.

Wir haben die Saison 2020 mit Tom nicht so hingebracht, wie wir es erhofft haben. Alle Beteiligten haben ihre Arbeit gemacht wie immer. Es hat sich keiner etwas zuschulden kommen lassen.

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