Almeria: Jederzeit eine Reise wert
Almeria: Cortese mit Lingg (li.) und Mickan
Ausgerechnet Circuito de Almeria. Eine von mindestens 15 brauchbaren spanischen Rennstrecken. Weit im Süden, in einer karstigen Landschaft, wie gemacht, um Wildwestfilme zu drehen. Sie wurde nach der Hauptstadt Almeria an der Küste benannt, die 100 000 Einwohner und deren Reiz auf Touristen uns weitgehend verborgen geblieben ist.
Man steigt verwundert aus dem Air-Berlin-Airbus und wundert sich, in welch verlassene Gegenden heute schon Flughäfen gebaut werden. Man besteigt ein Hyundai-Leihauto in der Grösse einer schuhschachtel, noch dazu der Farbe eines Rühreis. Stefan Kurfiss, weitgereister Ex-Rennfahrer und heute Techniker bei WP Suspension, kennt die Richtung zur Rennstrecke. «30 Minuten, einfach Richtung Sorbas.»
Aber nach 28 Minuten immer noch kein Anzeichen einer Rennstrecke. Auf der Hauptstrasse nur links und rechts einige pleite gegangen Restaurant nach dem andern. «Seit es die Autobahn gibt, ist die normale Strasse ausgestorben», erfahren wir am nächsten Tag.
Immerhin existiert noch eine einsame Repsol-Tankstelle. «Circuito? Noch 3 km», erfahren wir trotz unserer rudimentären Sprachkenntnisse. Sandro Cortese und Dynavolt-Intact-GP-Teilhaber Wolfgang Kuhn folgen im Opel Astra.
Die Landschaft hat inzwischen den Gipfel der Trostlosigkeit erreicht.
Dann tatsächlich: Ein unauffälliges weisses Schild, «Circuito» steht drauf.
Aufpasser vor der Türe am Sonntag? Fehlanzeige. Eine Schranke für unliebsame Besucher? Fehlanzeige. Wir fahren direkt an die Box, vor welcher der Mercedes Sprinter von Kalex engineering steht. Die dritte Türe geht auf. Sandro wirkt erleichtert. Ja, seine Mechaniker-Truppe ist tatsächlich vorhanden, auch die neue Moto2-Kalex parkt in der Box. Technik-Direktor Jürgen Lingg und seine Truppe mit Manuel, Gero und Steffen treffen letzte Vorbereitungen für das erste Moto2-Roll-out ihres Moto3-Weltmeisters.
«Wie lange ist die Strecke eigentlich?» Cortese macht sich am Sonntag, es regnet zwischendurch, es ist finster und kühl geworden, Gedanken über die Testfahrt vom nächsten Tag. Kürzlich hat er uns erzählt, er sei seit IDM-Zeiten 2003 nicht in Almeria gewesen. «ich kann mich nur an die lange Gerade erinnern.» Jetzt kommt ihm doch einiges bekannt vor. «Hm, ich war 2006 noch einmal da, zu Beginn meiner zweiten 125er-WM-Saison, bei einem Fahrtraining mit Riding Coach Andy Ibbott», kramt Sandro in seiner Erinnerung.
Wir fördern ein paar Fakten zum Circuito de Almeria (er liegt in der Nähe von Tabernas) ans Tageslicht. «Mit einer Länge von 4025 Metern acht Rechts- und fünf Linkskurven mit anspruchsvollen Kombinationen fordert die Strecke den Fahrer und das Motorrad», heisst es auf der Homepage von Racing-for-Fun-Spezialist Valentinos. «Die Piste wartet mit allem auf, was man von einer modernen Rennstrecke erwartet. 20 neue Boxen mit eigenem Sanitärbereich und einer Grösse von 100 Quadratmeter.»
Sandro Cortese schlüpft extra für www.speedweek.com am Sonntag noch in sein neue Alpinestars-Leder, Fotograf Fritz Glänzel rückt ihn ins rechte Licht.
Wir sind alle im Hotel «Venta el Museo» untergebracht und befürchten angesichts der trostlosen Gegend das Schlimmste. Was kann uns in einem Kaff namens «Lucainena de las Torres» erwarten? Im Internet sah alles recht sauber und vielversprechend aus. Aber wie sollte sich ein anständiges Hotel, das unseren Ansprüchen halbwegs gerecht wird, in dieser gottverlassenen Gegend über Wasser halten können?
Und wie sollen wir diese Bude am Ende der Welt bei Dunkelheit und Regen finden? «5 km Richtung Murcia, dann rechts abbiegen nach Lucainena», gibt Techniker Jürgen Lingg die Marschrichtung vor. Sandro Cortese drängelt im Windschatten, unser Hyundai quält sich inzwischen auf 120 km/h Top-Speed. Nur Steigungen macht er nicht. Ich tippe auf 600 ccm und zwei Zylinder.
Nach einer Spritzfahrt durch die Altstadt und den geschichtsträchtigen Hauptplatz von Lucainena (wer will sich diesen Namen merken?) sehen wir Schilder: «Venta el Museo Hotel y Restaurante». Wir nähern uns von der Rückseite und werden von einem freundlichen Hotelbesitzer empfangen. Er ist Deutscher und heisst Stefan Streifinger, ein Bayer. Gibt es Internet? «Klar.» Abendessen? «Natürlich.»
Wir werden köstlich verpflegt, die Zimmer sind neu renoviert, wir vergeben vier Sterne, fürs Frühstück fünf. Herr Streifinger lebt seit 24 Jahren in Spanien, betreibt seit drei Jahren dieses Hotel; er lebt natürlich grossteils von den Hobby-Rennfahrern, die auf der Piste ganzjährig ihr Unwesen treiben. Seit zwei Monaten kümmert er sich auch um das Streckenrestaurant. Am Montag, dem ersten Testtag, bewirtet er dort gegen 50 Gäste. Schnitzel, Lasagne, Pasta Bolognese, es stehen zehn Hauptgerichte zur Auswahl. Für drei Gänge zahle ich € 13.–
Inzwischen haben wir auch Arsenio kennengelernt. Er ist Südamerikaner und die Seele des Circuito de Almeria. «Seit ich unser Paddock-Restaurant betreibe, hat er 10 kg zugenommen», vermutet Stefan Streifinger.
Arsenio kümmert sich um das WLAN-Netzwerk für die Teams, er bringt dem Dynavolt-Intact-GP-Team Mobiliar wie Tische und Sessel. Das Mädchen für alles.
Bei einer ersten Inspektionsfahrt mit dem Leihauto finden wir eine anspruchsvolle Rennstrecke vor, mit weitem Sturzräumen und interessanten Passagen. Aber wir sehen keine einzige Tribüne und erfahren, dass hier nicht einmal Rennen zur Spanischen Meisterschaft abgewickelt werden. Nur Läufe zur Mediterranen Meisterschaft. Und bei dieser hält sich das Publikumsinteresse in engen Grenzen.
Die Piste ist durch Racing-for-Fun-Veranstalter bis zum letzten Tag ausgebucht. Nur im Juli und August will hier keiner fahren. Dann ist Betriebsurlaub. Im vergangenen Sommer wollte ein Engländer trotzdem unbedingt ein Motorrad-Renntraining abspulen. Bei 51 Grad Aussentemperatur sei das Kühlwasser schon am Ende der Boxengasse verdampft gewesen. Der Motor erlitt einen Hitzschlag. Arsenio setzte seine verdienten Hitzeferien fort.