Dovizioso und Lorenzo: Yin und Yang bei Ducati
Der Argentinien-Crash von Valentino Rossi und Marc Márquez hat die Gespräche im MotoGP-Zirkus zum Saisonauftakt beherrscht. Alles andere rückte dadurch in den Hintergrund, so auch die Situation von Ducati, wo derzeit zwei Welten herrschen. Diese hätten unter normalen Umständen – also ohne die Aufregung um die Ereignisse von Las Termas – sicherlich für viele Schlagzeilen gesorgt. Denn die Realität von Andrea Dovizioso, der die WM anführt, und jene seines Teamkollegen Jorge Lorenzo, dessen anhaltende Erfolglosigkeit für viel Frust sorgt, könnten unterschiedlicher nicht sein.
Wenn man sich das Austin-Wochenende noch einmal genau anschaut – denn während der Rennwochenenden übersieht man in der Hitze des Gefechts so manches Detail – dann wird man den Eindruck nicht los, dass Dovizioso genau wusste, was er auf dem Circuit of the Americas erwarten konnte – auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass er seinen früheren Teamkollegen Andrea Iannone auf der Rechnung hatte. Andrea fuhr mit der spirituellen Gelassenheit, die ihn auszeichnet. Ein Beispiel dafür ist etwa die Art und Weise, wie er dass Duell mit Zarco bestritt…
Offenbar hat Dovi verstanden, dass er den Yamaha-Piloten nur auf der Geraden überholen sollte. Wer sich das Rennen noch einmal zu Gemüte führt, bemerkt schnell, mit welcher Ruhe er auf die passende Gelegenheit gewartet hat. Er wagte keine übereilten Angriffe. Nach dem Rennen bestätigte der Ducati-Werkspilot denn auch: «Meiner Meinung nach war der fünfte Platz diesmal das Maximum für uns.»
Mit Valentino Rossi auf dem unerreichbaren vierten Platz ins Ziel kam, wartete Andrea auf die richtige Gelegenheit, um Zarco zu überholen. Er wagte nur einen Versuch – und brauchte auch nicht mehr. «Warum sollte ich mehr riskieren?», dürfte sich der pragmatische Profi-Rennfahrer gedacht haben.
Und wer nun glaubt, dass der fünfte Platz für einen Fahrer, der fünf der letzten zehn Rennen gewonnen hat, eine Enttäuschung ist, der irrt. Im Gegenteil, es ist sogar ein Erfolg, und das aus zwei Gründen: Einerseits ist der fünfte Platz auf eine der schwierigsten Pisten für die Desmosedici ein gutes Ergebnis, andererseits konnte Dovizioso mit seinen frischen zehn WM-Zählern den ersten Tabellenplatz übernehmen. Der Italiener reist nun als WM-Leader zum Europaauftakt in Jerez.
Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr reiste Dovizioso als WM-Vierter mit 30 Punkten auf dem Konto aus Texas ab, diesmal darf er mit 46 Punkten als Tabellenleader nach Jerez kommen. Auch wenn er die Gesamtwertung mit 46 Zählern und damit nur einem Punkt Vorsprung auf Champion Marc Márquez anführt, wird der Unterschied zum vergangenen Jahr deutlich.
Doch mit Jerez und Le Mans erwarten Ducati zwei weite Rennwochenenden, an denen die Mannschaft aus Borgo Panigale Schadensbegrenzung betreiben muss. So kam Zugpferd Dovizioso auf der spanischen Strecke nie über den fünften Platz hinaus – egal, auf welchem Bike er antrat. Und auch in Le Mans wird es darum gehen, die Verluste in Grenzen zu halten. Die französische Piste gehört mit dem Sachsenring und dem Kurs von Philipp Island zu jenen Strecken, auf denen sich die Ducati besonders schwer tut.
Sieht man sich die früheren Jahre an, dann kann man guten Gewissens behaupten, dass Andreas Saisonstart in diesem Jahr trotzdem sehr gut verlaufen ist – auch wenn sich Fahrer und Team an den schwierigen Wochenenden damit begnügen, die Vorjahres-Ergebnisse zu übertreffen, während sie auf ein besseres Pflaster für ihre GP18 warten. Das ist für beide Parteien das Beste – und geht derzeit auch auf.
Lorenzo muss seinen Fahrstil anpassen
Wenn Dovizioso bei Ducati das Yin darstellt, dann ist Lorenzo das Yang. Der Spanier erlebte einen schwierigen Start in die neue Saison. Das betrifft nicht nur die dürftigen Ergebnisse – ein Crash in Katar, der 15. Platz in Argentinien und Rang 11 in Austin – sondern auch die Gefühlslage. Denn der Fortschritt, der bei Jorge in der vergangenen zweiten Saisonhälfte zu erkennen war, fand offenbar ein jähes Ende. Es ist, als müsste der Mallorquiner wieder bei Null beginnen.
Nach dem Rennen wirkte der fünffache Weltmeister wie einer jener Boxer, die nach dem Kampf nicht mehr wissen, wo sie sind und was gerade abläuft. Es stimmt, sowohl die Piste in Argentinien als auch der Circuit of the Americas gehören nicht zu den Lieblingskursen von Ducati, und das Bremsproblem in Katar war auch keine Hilfe, doch der 65-fache GP-Sieger macht auch den Eindruck, als wäre er irgendwie gehemmt.
Dabei sind schwierige Situationen nichts Neues für Lorenzo, der etwa 2006 in China – noch in der Viertelliterklasse – kein leichtes Spiel hatte, wie auch später in der Königsklasse, etwa beim Katalonien-GP von 2008. Das waren Tiefschläge, die Jorge verdauen musste, er war damals voller Selbstzweifel. Ich weiss das so gut, weil unser Verhältnis zu jener Zeit noch sehr eng war. Er hat sich durch seine Hingabe und seine positive Sturheit aus diesen Situationen befreit. Ich erinnerte ihn unlängst daran. «Ich weiss, Manolito», antwortete der Ducati-Star. «Aber ich schaffe es einfach nicht, mit diesem Bike klarzukommen», gestand er kopfschüttelnd.
Man sagt, Erfahrung ist die Mutter der Wissenschaft, und in diesem Fall weiss ich aus Erfahrung, dass Lorenzo seine Krise nur überwinden kann, wenn er gewisse Verhaltensregeln beachtet. Er muss sich zunächst einmal auf seine Probleme konzentrieren und versuchen, damit zu leben. Es ist keine Lösung, wenn er nach Perfektion strebt – was soviel bedeutet, wie die Ducati in eine Yamaha zu verwandeln. Genauso wenig Sinn macht es, zu viel auf die andere Seite der Box oder auf Tito Rabats Bike zu schauen.
Dank Dovizioso können Gigi Dall’Igna und seine Ingenieure sicher sein, dass die Ducati ein siegfähiges Motorrad ist. Es liegt also an Lorenzo, sich besser an sein Bike anzupassen anstelle zu versuchen, das Bike an sich anzupassen. Klar, Lorenzo hat einen unverwechselbaren, einmaligen Fahrstil, aber es wird sich nichts an seiner Situation ändern, solange er seinen Fahrstil nicht anpasst. Auch die Ducati hat – wie die Yamaha und die Honda auch – ihre eigene DNA, mit der man klarkommen muss.
Die Ducati-Oberen begegnen dieser Krise mit einer «administrativen Stille». Es ist nicht einfach, wenn man bedenkt, wie Lorenzo zu den Italienern kam. Er wurde als Heilsbringer gepriesen, der dem Team den langersehnten Titel beschert, deshalb wurde er auch mit einem Vertrag bedacht, der ihn zum bestbezahlten MotoGP-Fahrer im Feld krönte. Dass sein Charakter und seine Persönlichkeit zudem nicht darauf ausgerichtet sind, Schwierigkeiten zu überwinden, ist auch keine Hilfe. Doch bisher hat das Team seinen Schützling verhätschelt.
Im Gegensatz zu seinem Stallgefährten Dovizioso war Jorge in Jerez bisher immer gut unterwegs. Im vergangenen Jahr feierte er dort seinen ersten Podestplatz für Ducati, nachdem er den dritten Platz erobert hatte. Somit könnte das GP-Wochenende auf dem südspanischen Rundkurs zum Wendepunkt für Lorenzo werden, der bisher einen frustrierenden Saisonstart erlebt hat. Es ist wichtig, dass sich wenigstens sein Feeling verbessert. Denn noch sind 16 Rennen zu bestreiten.