Hersteller-Bündnis: Wegen Aprilia fliegen die Fetzen
Die neue Aprilia RS-GP20: Bisher nicht ausgereift
Auch wenn Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta 2020 gerne noch bis 16 Rennen abwickeln möchte, so gehen die Teams vorläufig von einem 10-Rennen-Szenario aus. Die Manager der Werksteams haben bei Meetings der MSMA (Motorcycle Sports Manufacturers Association) inzwischen beschlossen, dass die Anzahl der erlaubten MotoGP-Motoren für den Rest der Saison von sieben (Honda, Yamaha, Ducati und Suzuki) auf fünf reduziert wird. Die Neueinsteiger KTM und Aprilia müssen mit je sechs statt neun Motoren pro Fahrer durch die restliche Saison kommen.
Normalerweise erhalten die «concession teams» Aprilia (seit 2015 dabei) und KTM (seit 2017 dabei) weitere Zugeständnisse, um den technischen Rückstand zu den Top-Teams aufholen zu können. Sie dürfen zum Beispiel mit den Stammfahrern beliebig oft testen, dazu war wie in den letzten Jahren vorgesehen, dass bei ihnen die Motorenentwicklung im Gegensatz zu den Siegerteams ab dem Saisonstart nicht eingefroren ist.
Aber bei den Telefonkonferenzen des Hersteller-Bündnisses MSMA konnte in diesen Punkten bisher keine Einigkeit für die restliche Saison erzielt werden.
«Es läuft im Hintergrund noch eine ziemlich heftige Diskussion, die noch nicht ganz ausgestanden ist», erzählte KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer gegenüber SPEDWEEK.com. «Denn fünf der sechs Hersteller haben unsere Vereinbarung so verstanden, dass alle Hersteller die MotoGP-Technologie auf dem Stand vom Katar-Test 2020 einfrieren und die Motoren für die kommende Saison auf dieser Version bleiben, nachher auch für 2021. Es gibt jedoch einen ‚concession-Hersteller‘, ich möchte jetzt keinen Namen nennen, der unseren Beschluss anders interpretiert. Dieses Werk will den Motor für 2020 erst homologieren, wenn wir uns im Sommer zum ersten Rennen treffen. Das würde für diesen Hersteller fünf zusätzliche Monate an Entwicklungs- und Prüfstandzeit bedeuten.»
Das entspricht aber nicht dem Waffenstillstandspakt, den die Werke mit klarer Mehrheit vereinbart haben. Seit dem Katar-Protest-Skandal 2019 wegen des Hinterradspoiler-Skandals von Ducati hatten die Werke übrigens ein Jahr lang kein MSMA-Meeting abgehalten.
«Wir haben abgemacht, dass wir den technischen Stand der Motoren mit der Version von Katar 2020 einfrieren», erläutert Beirer. «Damit wollten wir in dieser Krisenzeit dem Material, das wir für den Katar-GP vom März 2020 hergestellt haben, einen besonderen und enormen Wert geben. Denn sobald der erste Hersteller wieder anfängt zu entwickeln, musst du selber auch entwickeln und ständig neue Teile an die Strecke bringen. Gleichzeitig musst du fertiges, teures Material wieder in die Ecke stellen, das eigentlich einsatzbereit wäre. Damit sind wir absolut nicht einverstanden. Da diese Regel jetzt von einem Hersteller anders interpretiert wird, fliegen in der MSMA gerade die Fetzen.»
Dass es sich bei diesem ominösen Hersteller um Aprilia handelt, greift ein Blinder mit dem Stock.
«Wir können zwar mit Dani Pedrosa und Mika Kallio in diesem Jahr testen. Aber wenn wir mit ihnen etwas entwickeln, werden wir das nicht in die aktuellen Rennmotorräder einbauen», versichert Beirer. «Das ist dann eine Entwicklung für die Zukunft. Denn es kommt der Tag, an dem wir ein neues Motorrad für 2022 in die Box schieben müssen. Deshalb ist jeder Testtag für uns wertvoll, auch wenn die Erkenntnisse nicht in die aktuelle Rennsaison einfließen lassen können.»
Außerdem ist die Entwicklung in erster Linie beim Motor und bei der Aerodynamik eingefroren. Beim Chassis, bei der Elektronik und bei der Dämpfung dürfen Verbesserungen angebracht werden.
Beirer: «Es bleiben genügend Entwicklungsfelder, mit denen man sich beschäftigen kann. Aber es gab ein großes Verständnis, zumindest unter fünf Herstellern, dass man das für Katar 2020 entwickelte Material unverändert lassen sollte. Aprilia ist MSMA-Mitglied, und mit allen Mitgliedern wird auf Augenhöhe diskutiert. »
Trotzdem genießt Aprilia eine Ausnahmestellung. Die Italiener haben nämlich keinen eigenen Teamplatz wie die anderen fünf Werke, sondern sie haben sich durch ein Joint Venture auf den beiden Plätzen von Teambesitzer Fausto Gresini eingemietet – bis inklusive 2021. Deshalb wetteiferten Aleix Espargaró und Andrea Iannone 2019 kurioserweie immer wieder um die Position des besten Fahrers aus einem MotoGP-Kundenteam – gegen Crutchlow und Miller zum Beispiel.
Nach 2021 möchte Aprilia von der Dorna zwei eigene MotoGP-Slots haben. Piaggio-Group-Eigentümer Roberto Colaninno müsste dazu aber einen Fünf-Jahres-Vertrag bei der Dorna unterschreiben – mit beträchtlichen finanziellen Verpflichtungen und einer saftigen Strafzahlung bei einem vorzeitigen Ausstieg.
Deshalb passt es Aprilia-Teamprinzipal Massimo Rivola gar nicht in den Kram, dass der umstrittene Technical Director Romano Albesiano die neue RS-GP20 erst für den Sepang-Test im Februar auf die Rennstrecke brachte. Aleix Espargaró und Bradley Smith mussten sich in Malaysia ein Motorrad teilen. Erst beim Katar-Test (22. bis 24.2.) kamen zwei RS-GP20-Bikes an die Strecke. Long-runs durfte man den Motoren aber noch nicht zumuten, Aleix Espargaró zeigte sich entsprechend schlecht gelaunt. «Wenn du so eine Situation im Februar hast, bist du verloren», ätzte ein Gegner.
Und dazu fällt Werksfahrer Andrea Iannone bekanntlich bis Juni 2021 wegen seiner 18-Monate-Dopingsperre aus. Ersatzmann Bradley Smith gilt als Notlösung.
Angesichts dieser misslichen Umstände leuchtet ein, dass Aprilia nicht 2020 und 2021 mit der Motorversion vom vergangenen Februar zwei ganze Saisonen bestreiten will.
Aber Aprilia gilt wegen des Deals mit Gresini als Kundenteam, deshalb bekommt der Rennstall seit Apri von der Dorna monatlich 250.000 Euro aus dem «rescue fund» als Extrawurst, eine Summe, die normalerweise nur die Privatteams erhalten.
Aber Aprilia Racing pocht auf weitere Privilegien.