Espargaró & Oliveira: «Rennfahrer sind Rennfahrer»
Red Bull-KTM hat in den ersten drei Jahren des MotoGP-Projekts einige Rückschläge einstecken müssen. Einer der größtem Flops war die Verpflichtung von Johann Zarco für 2019 und 2020. Den Franzosen wurde nach dem Gewinn von zwei Moto2-WM-Titel und den sechs MotoGP-Podestplätzen bei Tech3-Yamaha zugetraut, noch mehr aus der KTM RC16 heraus zu kitzeln als der kampffreudige und beherzte Pol Espargaró.
Doch beim Spielberg-GP 2019 löste Zarco den Vertrag für 2020 auf, nach Platz 11 in Misano wurde er dann für den Rest der Saison von KTM beurlaubt. Er hatte zu oft über die mangelnde Schlagkraft der KTM gelästert. Auch Zarcos unüberlegtes Manöver gegen den Markenkollegen Oliveira beim Silverstone ärgerte Firmenchef Stefan Pierer. «Miguel wurde von Zarco runtergefahren. Das war kein Rennunfall», empörte sich der Österreicher. «Die abrupte Trennung nach Misano war die richtige Maßnahme. Trotz schwieriger Umstände haben wir uns sehr fair verhalten, indem wir ihn bei den letzten drei Grand Prix auf Wunsch von Alberto Puig bei LCR fahren haben lassen. Wir haben Zarcos Gage nach Misano weiterbezahlt.»
Nachsatz von Pierer: «Die Verpflichtung von Zarco war ein Fehlgriff. Da gibt es nichts hinzuzufügen.»
Bei Avintia-Ducati gelang Zarco in Brünn die Pole-Position, dazu der dritte Platz, und in Spielberg stellte er mit der drittbesten Quali-Zeit sein Können unter Beweis.
Kam der 16-fache GP-Sieger einfach ein Jahr zu früh ins Red Bull KTM-Factory-Team?
Für Pit Beirer, Motorsport-Direktor bei KTM, ist dieses Thema seit einem Jahr abgehakt. «In unserem Projekt ist alles genau zur richtigen Zeit passiert. Ich bin absolut glücklich mit den vier Fahrern, die wir jetzt haben.»
Aber vor einem Jahr erklärte KTM Race Manager Mike Leitner noch: «Wir haben inzwischen gelernt, dass wir keinen Fahrer mehr von Yamaha engagieren sollten.»
Denn nach Bradley Smith und Johann Zarco hatte sich auch Hafizh Syahrin nach respektablen Erfolgen mit der M1-Reihenotor-Yamaha nie wirklich mit der 1000-ccm-V4-KTM anfreunden können, die zumindest bis zur Saison 2020 einen ganz anderen Fahrstil und mehr körperlichen Einsatz verlangte.
Aber auch die vier aktuellen Fahrer brachten die KTM-Verantwortlichen in dieser bisher kurzen Saison schon zweimal an den Rand der Verzweiflung. Denn Rookie Brad Binder schoss beim Andalusien-GP in Jerez Miguel Oliveira ab, und beim ersten Spielberg-GP katapultierten sich Pol Espargaró und Oliveira gegenseitig aus dem Rennen. Sonst wären sie auf den Plätzen 4 und 5 gelandet.
Am Donnerstagabend vor dem Steiermark-GP sprach Beirer deshalb mit seinen Piloten Klartext. «Wir haben reinen Tisch gemacht», teilte er nachher mit.
Was wurde genau besprochen? Hat der ehemalige 250-ccm-Motocross-Vizweltmeister seinen Helden klargemacht, dass Red Bull und KTM nicht 30 Millionen Euro im Jahr in die «premier class» stecken, um bei jeden zweiten Grand Prix ein «demolition derby» zu erleben?
Beirer: «Ich will jetzt diese Zwischenfälle nicht mehr aufwärmen. Aber es war wichtig, dass wir darüber geredet haben, wie man es halt so macht in einer Familie. Wenn es mal ein bisschen knistert, muss man die ganze Familie an einen Tisch holen, sich gegenseitig in die Augen schauen und die Probleme sofort bereinigen. Das haben wir vor dem Steiermark-GP zum Glück gemacht, so konnten wir völlig befreit ins Wochenende starten. Es war vollkommen unnötig, diesen internen Fight aufrecht zu erhalten.»
Denn Oliveira, der drei Tage nach der Aussprache seinen ersten MotoGP-WM-Lauf gewann, hatte sich nach der Kollision nicht gerade freundschaftlich über Espargaró geäußert. «Pol hat die Tendenz, nicht nach innen zu schauen, wenn er rausgetragen wird und auf die Ideallinie zurück kehrt», sagte der Portugiese – und unterstellte Pol dazu noch Heißblütigkeit und mangelnde Intelligenz.
Pol entgegnete, er habe die KTM RC16 drei Jahre lang aufopfernd entwickelt. Er erwartete etwas Respekt und Dankbarkeit...
«Rennfahrer sind Rennfahrer. Wir von KTM haben deshalb nie einen Schuldigen namhaft gemacht», betont Beirer. «Wenn ein Rennfahrer zu weit rausgetragen wird, muss er ja wieder reinziehen, wenn er Rennfahrer ist. Und wenn ein anderer Rennfahrer dahinter liegt und eine Lücke sieht, dann muss er reinfahren. Somit war das ein klassischer Rennunfall. Deshalb war die Suche nach einem Schuldigen für uns nie ein Thema.»
Immerhin: Beim GP der Steiermark standen Oliveira und Pol Espargaró als Sieger und Dritter gemeinsam auf dem Podest. Auch ein Handshake fand statt.
Aber eine gemeinsame Urlaubsreise von Pol Espargaró und Miguel Oliveira ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das Tischtuch zwischen den beiden Streithähnen ist durchschnitten. Beste Freunde werden sie nicht mehr.
«Es steht nicht im Vertrag, dass sie mir mitteilen müssen, wo sie ihre Freizeit verbringen», schmunzelt KTM-Rennchef Pit Beirer.