Honda im Tal der Tränen: Rettung durch Kalex?
Marc Márquez hat nicht erst 2023 begonnen, den Glauben an die Fähigkeiten der Honda-Ingenieure zu verlieren. Schon beim Katar-Test 2020 räumte seine Mannschaft nach den ersten von drei Abenden und trostlosen Rundenzeiten die Box von LCR-Honda-Pilot Taka Nakagami leer. Danach gab es keine Möglichkeit und keine Zeit mehr, eine schlagkräftige Motorrad-Spezifikation für 2020 zu homologieren. Denn wenige Tage später kam der erste Corona-Lockdown, Katar wurde abgesagt.
Als die WM im Juli 2020 mit zwei Grand Prix in Jerez begann, sicherte sich Yamaha bei den ersten zwei Rennen zwei Doppelsiege durch Quartararo und Viñales, beim zweiten Rennen gesellte sich Rossi als Dritter aufs Podest. Marc Márquez stürzte im ersten Jerez-GP schwer beim Versuch, Viñales Platz 2 wegzuschnappen.
Es folgten beim Repsol-Honda-Star seither vier Oberarm-Operationen, zwei Knochentransplantationen, eine Knochenmarkentzündung, zwei weitere Doppelsichtigkeiten (beim Crossfahren im Oktober 2021 und beim Mandalika-Warm-up Sturz 2022) und jetzt die Mittelhandknochenfraktur in Portimão.
Márquez forderte nach Platz 10 in Mugello 2022 unmissverständlich besseres Material. Doch mit dem 2023-Protoptyp kam er bei den Wintertests über die Plätze 13 und 14 nie hinaus, er verlor regelmäßig 0,7 und 0,8 Sekunden.
Marcs Forderungen nach einem Siegermotorrad und nach einer Erhöhung der Entwicklungsgeschwindigkeit wurden immer lauter.
Auch seine Markenkollegen stimmten lautstark bei. Im Vorjahr berichteten Pol Espargaró, Taka Nakagami und Alex Márquez übereinstimmend, sie hätten von HRC seit dem Saisonauftakt in Doha/Katar kein einziges neues Teil bekommen. Marc Márquez pflichtete bei.
HRC reagierte mit dem Einsatz einer Aluschwinge von Kalex beim Misano-Test im November. Als von den lautstark angekündigten Fortschritten an der Honda RC213V auch im November in Valencia nichts zu sehen war, wurde beim Acht-Mann-Betrieb aus Bobingen/D auch noch ein Alu-Chassis in Auftrag gegeben, das am 1. Mai in Jerez beim Montag-Test unter Stefan Bradl debütierte.
Marc Márquez konnte es nicht ausprobieren, er musste auf den Spanien-GP wegen seiner Handverletzung verzichten.
Marcs Repsol-Teamkollege Joan Mir kam in in seiner «out lap» nur fünf Kurven weit, dann stoppte ihn ein Elektrikschaden. Aber der MotoGP-Weltmeister von 2020 (auf Suzuki) meinte, ein besseres Gefühl für das Limit der Reifen gespürt zu haben.
Am Kalex-Alurahmen waren seitlich zusätzliche Bohrungen und andere Motorbefestigungen als bei den bisherigen Chassis zu erkennen, die bei der japanischen Firma TSR hergestellt wurden.
Warum bei den TSR-Rahmen in den letzten Jahren keine Fortschritte erzielt wurden, lässt sich nur vermuten: Die Japaner litten unter dem Lockdown, ihre Reisetätigkeit war extrem eingeschränkt. Der TSR-Ausstieg aus der Moto2-WM wirkte sich vielleicht ebenfalls nachteilig aus. Vielleicht wurde Entwicklung nach sechs Titelgewinnen in sieben Jahren (2013 bis 2019) auch sträflich vernachlässigt,
Alberto Puig ließ beim Montag-Test durchblicken, die ersten Eindrücke des Kalex-Chassis seien vielversprechend.
Für den Le Mans-GP ist kein Einsatz des Kalex-Rahmens vorgesehen. Stefan Bradl nimmt im Juni an einem MotoGP-Test in Misano teil, danach könnte es Marc Márquez bei irgendeinem Freitag-GP-Training ausprobieren.
Zur Erinnerung: Beim Motor ist die Entwicklung ab dem Saisonstart eingefroren, beim Chassis nicht. Auch bei der Aerodynamik kann jeder Fahrer während der Saison ein Update homologieren lassen und danach beim Aero-Body beliebig hin- und herwechseln.
Welche Unterschiede sahen die Experten beim Kalex-Rahmen?
Der Rahmen ist stärker dimensioniert und verstärkt im Bereich der Schwingenachse. Die Verschraubung am Schwingendrehpunkt etwas grösser dimensioniert. Die Schraube direkt oberhalb der Schwingenachse ist tiefer in den Rahmen versenkt und und scheint grösser dimensioniert zu sein. Das Montageloch weiter oberhalb im Rahmenrohr und die Schweissnaht scheinen grösser zu sein.
Beim Rahmen-Design sind klare Unterschiede zwischen dem Kalex-Produkt und dem bisherigen Chassis zu sehen. Die Schweißnähte wirken kräftiger, die seitlichen Rahmenprofile haben hingegen bei Kalex geringere Umfänge, dadurch soll vermutlich mehr «Flex» erzeugt, also die Steifigkeit verringert und das Gespür für den Vorderreifen verbessert werden.
Marc Márquez klagte beim MotoGP-Test in Sepang im Februar 2023 neuerlich, er habe zwar genug Motorleistung, er bringe sie aber nicht auf den Boden. Alle Honda-Fahrer jammern auch 2023 über zu viel Wheelspin, deshalb tun sich sie sich seit zwei Jahren in den «time attacks» sehr schwer.
«Wir holen aus neuen frischen Reifen nur 80 Prozent des Potenzials heraus», stellte Stefan Bradl 2021 fest.
Die Rennpace ist auch längst keine Stärke mehr von Honda.
Ausnahmekönner wie Marc Márquez (Pole-Position in Portimão 2023) und Alex Rins (Sieg in Texas 2023) sorgen trotzdem manchmal für Highlights.
Aber Marc Márquez stürzte in Portugal am Tag nach dem Quali und riss Oliveira mit, auch Jorge Martins Chancen wurden bei diesem Hauruck-Zwischenfall ruiniert. In Jerez purzelte Joan Mir am Sonntag in der ersten Rennrunde, Rins in der zweiten.
Ein Kritiker ätzte: «Honda ist komplett vom Weg abgekommen. Anscheinend haben sie die falschen Leute in der Entwicklung, die ihren Job nicht verstehen. Kalex-Chassis, Öhlins-Gabel, Öhlins-Federbein, Brembo-Bremsen, Kalex-Schwinge, Magneti Marelli ECU – was zum Teufel kommt noch von Honda? Die Verkleidung, der Motor und die Tränen?»
MotoGP-Ergebnis, Jerez (30.04.):
1. Bagnaia, Ducati, 24 Rdn in 39:29,085 min
2. Brad Binder, KTM, + 0,221 sec
3. Miller, KTM, + 1,119
4. Martin, Ducati, + 1,942
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 4,760
6. Marini, Ducati, + 6,329
7. Pedrosa, KTM, + 6,371
8. Alex Márquez, Ducati, + 14,952
9. Nakagami, Honda, + 15,692
10. Quartararo, Yamaha, + 15,846
11. Morbidelli, Yamaha, + 17,209
12. Di Giannantonio, Ducati, + 17,911
13. Augusto Fernández, KTM, + 19,010
14. Bradl, Honda, + 27,294
15. Raul Fernández, Aprilia, + 36,371
16. Lecuona, Honda, + 36,753
17. Folger, KTM, + 47,146
– Viñales, Aprilia, 1 Runde zurück
– Zarco, Ducati, 8 Runden zurück
– Bezzecchi, Ducati, 8 Runden zurück
– Rins, Honda, 22 Runden zurück
– Mir, Honda, 23 Runden zurück
– Oliveira, Aprilia, nicht gestartet
MotoGP-Ergebnis Sprint, Jerez (29.04.):
1. Brad Binder, KTM, 11 Rdn in 18:07,055 min
2. Bagnaia, Ducati, + 0,428 sec
3. Miller, KTM, + 0,680
4. Martin, Ducati, + 0,853
5. Oliveira, Aprilia, + 1,638
6. Pedrosa, KTM, + 1,738
7. Viñales, Aprilia, + 3,248
8. Zarco, Ducati, + 3,380
9. Bezzecchi, Ducati, + 5,711
10. Marini, Ducati, + 7,015
11. Di Giannantonio, Ducati, + 7,174
12. Quartararo, Yamaha, + 7,467
13. Rins, Honda, + 9,867
14. Raúl Fernández, Aprilia, + 11,550
15. Bradl, Honda, + 15,455
16. Morbidelli, Yamaha, + 15,849
17. Augusto Fernández, KTM, + 15,969
18. Lecuona, Honda, + 25,356
19. Folger, KTM, + 25,530
– Mir, Honda, 4 Runden zurück
– Aleix Espargaró, Aprilia, 6 Runden zurück
– Alex Márquez, Ducati, 8 Runden zurück
– Nakagami, Honda, 8 Runden zurück
WM-Stand nach 8 von 40 Rennen:
1. Bagnaia 87 Punkte. 2. Bezzecchi 65. 3. Binder 62. 4. Miller 49. 5. Viñales 48. 6. Marini 48. 7. Martin 48. 8. Rins 47. 9. Zarco 46. 10. Alex Márquez 41. 11. Quartararo 40. 12. Morbidelli 34. 13. Aleix Espargaró 29. 14. Oliveira 21. 15. Di Giannantonio 17. 16. Augusto Fernández 17. 17. Nakagami 14. 18. Pedrosa 13. 19. Marc Márquez 7. 20. Mir 5. 21. Pirro 5. 22. Folger 4. 23. Raúl Fernández 3. 24. Bradl 2.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati 137 Punkte. 2. KTM 81. 3. Aprilia 67. 4. Honda 61. 5. Yamaha 49.
Team-WM:
1. Mooney VR46 Racing 113 Punkte. 2. Red Bull KTM Factory Racing 111. 3. Prima Pramac 94. 4. Ducati Lenovo Team 92. 5. Aprilia Racing 77. 6. Monster Energy Yamaha 74. 7. LCR Honda 61. 8. Gresini Racing 58. 9. CryptoDATA RNF 24. 10. GASGAS Tech3 21. 11. Repsol Honda 12.