Seitenhieb gegen Ducati: Jorge Martin rechnet ab
MotoGP-Champion Jorge Martin
Mit herausragenden Leistungen hatte sich Jorge Martin im Vorjahr für das Ducati-Werksteam empfohlen – und wurde zugunsten des achtfachen Champions Marc Marquez übergangen. Aus Marketingsicht eine nachvollziehbare Entscheidung, sportlich lässt sich gegen den 88-fachen Grand-Prix-Sieger auch nichts sagen. Trotzdem meldete sich bei vielen Motorsportfans ein Unrechtsempfinden.
Als Martin Ende Mai klar wurde, dass er im Tauziehen um den zweiten Platz im Ducati-Werksteam gegen die Überfigur Marc Marquez den Kürzeren zieht, einigte er sich in Rekordzeit mit Aprilia. Der 27-Jährige ging nicht nur zum Erzrivalen aus Noale, er nahm auch noch die Startnummer 1 des Champions mit – das gab es seit Valentino Rossis Wechsel von Honda zu Yamaha von der Saison 2003 auf 2004 nicht mehr.
Aprilia-Rennchef Massimo Rivola erinnert sich an das erste Juni-Wochenende noch genau: «Die Möglichkeit ist erst in Mugello entstanden. Natürlich hatten wir bereits im Vorfeld Kontakt, aber die konkrete Möglichkeit, Jorge unter Vertrag zu nehmen, die hat sich erst an dem Sonntag ergeben. Es musste dann alles sehr schnell gehen. Ich habe mich bei Piaggio-Konzernchef Dr. Michele Colannino gemeldet, ihm die Situation geschildert und sofort die Freigabe erhalten. Es war keine Zeit für lange Debatten, wir haben direkt gehandelt.»
Am 3. Juni bestätigte Aprilia den Vertrag, Martin bildet 2025 und 2026 zusammen mit dem ebenfalls von Ducati kommenden Marco Bezzecchi das Werksteam.
Nach seinem Roll-out mit der Aprilia RS-GP am 19. November in Barcelona hat der Weltmeister diese Woche seinen ersten Test mit dem neuen Material, von Mittwoch bis Freitag wird auf dem Sepang-Circuit gefahren.
Der Spanier hält den Ball bewusst flach und schiebt die Favoritenrolle weit von sich, lobt seinen neuen Arbeitgeber aber schon jetzt in den höchsten Tönen. «Nach vier Jahren mit Pramac ist es schwierig, gleich so ein Familiengefühl zu haben», erzählte Jorge am Dienstagnachmittag in kleiner Journalistenrunde. «Aber ich habe ein paar Leute von Pramac mitgenommen und kannte einige von Aprilia über Aleix Espargaro. Das wird eine super Gruppe.»
Einen Seitenhieb gegen die Topmanager von Ducati setzte er im gleichen Atemzug: «Ich habe jetzt eine Beziehung zu den Chefs, die ich zuvor nicht hatte – mit keinem von ihnen. Jetzt bin ich wirklich in das Projekt eingebunden und kann viel helfen. Wenn ich in die Box komme, atme ich eine gute Atmosphäre, das ist hervorragend.»
Martin startet zum ersten Mal in seiner MotoGP-Karriere für ein Werksteam, als Weltmeister werden weitere Glanztaten von ihm erwartet. Über das Wort «Druck» kann er aber nur schmunzeln. «Druck, wie ich ihn letztes Jahr hatte, spürte ich nie zuvor in meinem Leben», versicherte er. «Jetzt fühle ich keinen Druck, sondern Verantwortlichkeit. Wenn du um eine Meisterschaft kämpfst, hast du den höchsten Druck. Das habe ich durchgemacht, letztes Jahr war verrückt. Jetzt bin ich ganz entspannt und will meine Leistung abrufen, mir ist ein großes Gewicht von den Schultern gefallen.»
Wenn am Mittwoch von 10 bis 18 Uhr Ortszeit erstmals 2025 getestet wird, Malaysia ist gegenüber MEZ sieben Stunden voraus, wird Martins Aprilia zu Beginn identisch sein wie jene, mit der er in Barcelona im November aufgehört hat. «Erst dann werde ich auf die RS-GP25 umsteigen», verriet der 18-fache GP-Sieger. «Über meine Geschwindigkeit mache ich mir keinen Kopf, es wird mehr darum gehen, wie schnell ich mich an das Motorrad anpassen kann. Meine Position auf dem Bike wird eine andere sein, aber ich habe in den zwei Monaten, seit ich ein MotoGP-Bike fuhr, nichts von meinem Speed eingebüßt.»