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Elektronischer Gasgriff: Vorteile für Marc Márquez?

Von Günther Wiesinger
Die «ride by wire»-Systeme sind Alltag in der MotoGP-Klasse. Aber Weltmeister Marc Márquez ist den anderen Honda-Stars beim elektronischen Gasgriff ein Stück voraus.

Nicht nur Valentino Rossi weiss, dass sich 2016 in der MotoGP-WM einiges ändern wird. Michelin wird Bridgestone nach sieben Jahren als Einheitsreifen-Lieferant ablösen.

Und die Werke haben zugestimmt, dass 2016 erstmals auch die Factory-Teams mit der Einheits-ECU von Magneti Marelli antreten.

Momentan fahren die Werke nur mit der Marelli-Hardware, die Software entwickeln sie (im Gegensatz zu den Open-Teams) selber.

Honda wird also 2016 eine elektronische Abrüstung hinnehmen müssen. Der weltgrösste Hersteller hat momentan auf dem Elektronik-Sektor in der MotoGP mit Sicherheit einen Vorsprung, auch beim Seamless-Getriebe.

«Unser Motorrad würde sicmit der Einheits-ECU momentan gar nicht in Gang setzen lassen», weiss LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello.

Valentino Rossi sagt, er möchte gerne 2016 noch fahren, weil er die Elektronik-Abrüstung noch geniessen will.

Er hat Casey Stoner 2007 als ersten Fahrer der «generation traction control» bezeichnet. Damit meint er jene Fahrer, die sich beim Beschleunigen voll und ganz auf die elektronischen Steuergeräte verlassen – und nicht auf das Gefühl in der rechten Hand.

«Ich will weniger Elektronik. Dann sehen wir wieder mehr spektakuläre Rennen, und an den Kräfteverhältnissen bei den starken Fahrern im Feld würde sich nicht viel ändern», meint der neunfache Weltmeister. «Aber man würde wieder mehr Fahrfehler erleben, mehr Rhythmuswechsel. Solche Sachen passieren heute nicht mehr.»

Denn die Aufgabe der Elektronik besteht darin, die Anzahl der Fehler zu verringern, die Fahrer können dadurch eine konstantere Pace fahren.

Natürlich tragen die elektronischen Systeme wie Traction Control, Wheelie Control und Launch Control auch zur Erhöhung der Sicherheit bei. Deshalb wollen die Werke keine allzu starken Einschränkungen hinnehmen. Und sie wollen die neuen Technologien später auch in den Serienmaschinen einbauen.
Aber Perfektion bedeutet manchmal auch Langeweile.
Die Elektronik trägt dazu bei, dass die Niveau-Unterschiede bei den Fahrern geringer zutage treten.

Honda verfügt über zwei Systeme

Wenn wir heute die Boxengasse entlang spazieren, sehen wir, dass alle Fahrer längst auf das «ride by wire»-System setzen.

«Standard ist heute, dass du für das ride-by-wire-System ganz normal zwei Seilzüge hast», erklärte uns ein HRC-Techniker. «Es gibt eine Version mit einem Seilzug und eine andere mit einem Kabel. Der Seilzug geht in die Airbox rein, da drinnen sitzt dann der Servomotor, der die Drosselklappen ansteuert, die auf diese Weise  auf und zu gemacht werden. Diese Version wird seit Jahren gefahren. Seit 2013 gibt es bei Honda aber eine neue eine Option, bei der du die Ansteuerung vom Gasgriff zu dem Servomotor mit einem Potentiometer machst statt mit einem Seilzug. Bautista hat dieses System letztes Jahr probiert, Marc Márquez fährt es jetzt als einziger der Honda RC213V-Piloten. Letztes Jahr hat er wie Pedrosa noch die ältere Version verwendet. Marc Márquez fährt aber jetzt die Version mit dem Kabel, bei dem der Servomotor elektronisch angesteuert wird. Dani Pedrosa, Alvaro Bautista und Stefan Bradl benützen das System mit dem Seilzug.»

Es bestehen also auch in diesem Bereich noch Unterschiede.
Pedrosa, Bautista und Bradl verwenden das Honda-System mit zwei «traditionellen» Seilzügen.

Es handelt sich bei beiden Versionen um ride-by-wire-Systeme, also um einen elektronischen Gasgriff. Wo also liegt der Unterschied?

«Die Version mit dem Potentiometer stand schon im Vorjahr zur Verfügung», heisst es bei HRC. «Einen richtigen Vorteil für die Rundenzeit bringt dieses vollelektronische System wohl nicht. Bei der Vollelektronik spürt halt der Fahrer ein anderes Gefühl beim Gasaufdrehen. Die Funktion bleibt ja gleich. Du schliesst und öffnest die Drosselklappen über einen Seilzug statt über ein Kabel. Es muss jeder Fahrer selber fühlen, was ihm besser passt. Es wird nur die Friktion verringert, die durch die Reibung eines Gaszugs in einem Kabel entsteht. Aber es soll keiner glauben, das sei das Erfolgsgeheimnis von Márquez.»

Die Vorteile der Vollelektronik kann sich jeder Rennradfahrer ein bisschen ausmalen, der die neuesten elektronischen Schaltungen von Shimano und Campagnolo mit den alten mechanischen Systemen verglichen hat: Die Gangwechsel funktionieren reibungsloser, schneller, zielsicherer.

«Vielleicht bringt es Márquez ein Zehntel pro Runde, allein schon deshalb, weil er sich ohne Kabel wohler fühlt», meint unser HRC-Mann.

Guareschi: «Es fehlte das korrekte Gefühl»

Wir haben uns auch bei Vittoriano Guareschi erkundigt, der lange Zeit MotoGP-Testfahrer bei Ducati war. «Ich habe selber unterschiedliche Systeme getestet», erzählte Vitto. «Das Problem bestand immer darin, das korrekte Gefühl für die Handhabung des Gasgriffs zu bekommen. Bei einem vollelektronischen Gasgriff fehlt dir das perfekte Feeling für die Handgelenksbewegung und den Gasgriff.»

Vielleicht setzt Pedrosa (28) deshalb auf das altbewährte System, Márquez (21) auf das neue. «Es gibt keinen Unterschied», betont HRC-Vizepräsident Shuhei Nakamoto. «Das System von Marc ist einfach leichter. Um 20 Gramm. Aber die Funktionsweise ist identisch.»

Das mag schon sein. Das System der Production-Honda RCV1000R von Hayden, Redding, Aoyama und Abraham unterscheidet sich aber auch von Marcs System, es ist zwar auch vollelektronisch, hat aber nur ein Kabel.

Offenbar hat HRC für den käuflichen MotoGP-Renner nur eine abgespeckte Version entwickelt, die demnächst auf einem käuflichen Superbike zu sehen sein wird.

Eines ist klar: Marc Márquez geht auch beim elektronsichen Gasgriff seinen eigenen Weg. Als einziger. Es mag ein kleiner Mosaikstein für seine Erfolge sein.

«Marc nützt die Vorzüge der Elektronik geschickter und schlauer aus als die meisten Gegner», räumt sein Crew-Chief Santi Hernandez gerne ein.

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