Hiobsbotschaft: Sachsenring-GP ohne Stefan Bradl
Verzagt: Stefan Bradl muss beim Beim-GP am Wochenende erstmals seit 2006 zuschauen
Es ist eine Vernunftentscheidung. Und Stefan Bradl hat sich den Entschluss nicht leicht gemacht.
Denn seit dem Mugello-GP ist sein Paket im Athinà-Forward-Yamaha-Team schlagkräftiger geworden, seither war er im Barcelona-Rennen bester Open-Class-Pilot und dazu im Assen-Qualifying, wo er als 13. seinen besten Startplatz in der Saison 2015 erreichte.
Und Bradl weiss, dass sein Open-Motorrad auf dem kurvenreichen Sachsenring durchaus konkurrenzfähig sein könnte, weil der Top-Speed dort keine grosse Rolle spielt und er sich in Sachsen durch die Begeisterung der heimischen Fans bisher immer zu Spitzenleistungen anstacheln liess.
Platz 2 mit der 125er-Apriiia im Jahr 2008 und mit der Moto2-Kalex in der Saison 2011, dann die Startplätze 6, 4 und 3 in den MotoGP-Jahren 2012 bis 2014, in den Rennen erkämpfte er einen sechsten, einen vierten und einen 16. Platz.
«Ich traue mir schon zu, auch einmal einen Werksfahrer zu besiegen. Natürlich war es eine Genugtuung, als ich Petrucci in Barcelona hinter mir lassen konnte. Ich hoffe, dass wir in Zukunft öfter in diesem Bereich dabei sind», sagte Bradl vor dem Assen-GP.
Aber noch am heutigen Montag wird Stefan Bradl sein Team informieren und die Nicht-Teilnahme am GP von Deutschland verlautbaren. Diese Nachricht kommt nicht unerwartet.
Der 25-jährige Bayer hat sich mehr als eine Woche für die Entscheidung Zeit gelassen. Er hat auch 2013 nach dem Sepang-Crash (rechten Fussknöchel gebrochen) seinem Instinkt ?vertraut und auf den folgenden Australien-GP verzichtet, dafür fuhr er eine Woche später in Motegi/Japan schon wieder eine Bestzeit.
In der MotoGP-WM lag im Assen-Qualifying eine Sekunde zwischen Platz 1 und Platz 13. Die Königsklasse ist wahrlich kein Tummelplatz für Versehrtensportler.
Stefan, es war dir schon am Donnerstag anzuhören, dass die Genesungszeit bis zum deutschen WM-Lauf voraussichtlich nicht ausreichen wird. Wie stark sind die Beschwerden am Wochenende gewesen?
So ein Kahnbeinbruch ist eine merkwürdige Verletzung; von aussen sieht alles harmlos aus. Der Schnitt von der Operation ist nicht viel länger als 0,5 Zentimeter, die Fäden sind noch drinnen.
Die Schwellung ist okay, aber das Handgelenk lässt sich nicht ausreichend bewegen, bei weitem nicht.
Die Schmerzen sind auch immer noch stark. Ich nehme jeden Tag drei Schmerztabletten, jeweils nach dem Essen, dadurch geht auch das Wundsekret raus, und die Schwellung wird geringer.
Die Ärzte haben dir von Anfang an von einem Start auf dem Sachsenring abgeraten?
Dr. Krischak hat mich vor dem Wochenende angerufen. Er hat vorher mit den Physiotherapeuten gesprochen, die mich behandeln. Alle ?haben ?mir geraten, d?as Rennen auf dem Sachsenring auszulassen.
Die Ärzte sagen, ?der Kahnbeinbruch braucht vier bis sechs Wochen, bis er fest verheilt ist, weil das Kahnbein eben sehr schlecht durchblutet ist.
Eine vorzeitige Belastung kann zu Arthrose führen, dann bleibt die Beweglichkeit des rechten Handgelenks womöglich für den Rest meines Lebens eingeschränkt.
Wenn ich mir anschaue, in welche?m Zustand das Handgelenk am Sonntag fünf Tage vor dem ersten Training ?auf dem Sachsenring war, muss ich sagen. Wenn ich fahre, dann kommt nichts Gescheites dabei raus.
Du brauchst die rechte Hand zum Bremsen und Gas geben. Mit wie vielen starken Bremszonen wärst du auf dem Sachsenring konfrontiert?
Mit vier. Nach Start/Ziel, danach unten an der Karthalle, nachher folgt das starke Bremsen, bevor es den Berg runtergeht, dann vor Start/Ziel; dazu kommen ein paar Richtungswechsel, wo du viel Kraft brauchst.
Und auf dem Sachsenring hast du ausserdem null-komma-null Zeit, um das Handgelenk auf einer Geraden einmal drei oder vier Sekunden entlasten zu können.
Wenn es die linke Hand wäre, würde es vielleicht funktionieren. Denn mit der linken Hand musst du dich – übertrieben ausgedrückt – nur festhalten und abstützen. Aber mit der rechten Hand musst du Bremsen und Gas geben, gefühlvoll Gas geben, wohl gemerkt.
?Ich habe in den letzten Tagen einige Events abgesagt. Am Freitag hätte ich für Sponsor Ilmberger in Garmisch sein sollen, am Samstag in Zwickau für Red Bull. Das habe ich wegen der Reha alles abgesagt in der Hoffnung, dass wir sichtbare Fortschritte erzielen. Aber es geht viel zu langsam vorwärts, was Schmerzen und Beweglichkeit betrifft.
Mein persönlicher Trainer Bernd Thurner arbeitet in seinem Therapie- und Trainingszentrum sehr nahe mit dem Klinikum Augsburg zusammen. Wir haben alle Therapien abgestimmt.
Deine Kritiker werden dir jetzt Wehleidigkeit nachsagen. Anderseits hättest du bei einem schlechten Abschneiden beim Heim-GP sowieso eine üble Nachrede.
Die Ärzte und Therapeuten haben mich gefragt: Wie wichtig ist in der MotoGP das gefühlvolle Bremsen und das gefühlvolle Gas geben? Meine Antwort: Sehr entscheidend, weil wir ja nicht blind auf die Kurven hinbremsen und dann mit einem Schlag Vollgas geben...
Mit dem kräftigen Abstützen beim Bremsen und so weiter – das kannst du vergessen.
Dr. Krischak hat gleich gesagt: Realistisch betrachtet, hast du keine Chance, elf Tage nach der Operation ein MotoGP-Training bestreiten zu können.
Er hat gesagt: Es gibt zwei Möglichkeiten, operieren oder nicht operieren. Wenn ich auf die OP verzichtet hätte, hätte ich sechs Wochen Gips tragen müssen.
Die Mediziner wollen natürlich immer Sicherheit haben. Deshalb habe ich auch mit Dr. Riedel und Dr. Streifinger geredet. Sie haben alle gesagt, sie halten die OP für richtig, weil die Bruchstelle in der Mitte des Knochen liegt, so dass die Herbert-Schraube an beiden Enden sehr gut sitzt. Aber die Bruchstelle muss von alleine zusammenwachsen, und das geht beim Kahnbein wegen der geringen Durchblutung langsam. Man hat mir dringend empfohlen, in den ersten zwei, drei Wochen so gut wie keine Belastung auf die Bruchstelle auszuüben. Beweglichkeit üben ja, aber keine Belastung.
Bis zum Indy-GP noch der Sommerpause hast du noch einmal drei Wochen zusätzlich Zeit für die Genesung. Dort solltest du wieder einsatzfähig sein?
Bis zum ersten Training in Indy haben wir rund fünfeinhalb Wochen seit dem Operationsttermin. Es ist realistisch, dass ich dort fahren kann. Indy wird aber von der Belastung her ähnlich sein wie der Sachsenring. Indy wird sicher auch anspruchsvoll nach dieser Verletzung. Aber ich hoffe halt, dass ich bis dahin wieder schmerzfrei bin und der Bruch bis dahin fest verheilt ist.
Du wolltest nach dem Crash in Assen zuerst gar nicht ins Clinica Mobile zur Untersuchung?
Ja, ich habe nach dem Sturz gemerkt, dass im rechten Handgelenk etwas nicht stimmt. Ich habe überlegt, ob ich mich in die Clinica Mobile bringen lassen soll oder nicht. Sollte ich mich röntgen lassen oder nicht? Ich war unsicher. Dann dachte ich: Komm, dort brauch ich nicht lang warten, die machen das rasch. Also bin ich hingefahren. Nach dem Röntgen haben die Ärzte gleich gesagt: Kahnbein gebrochen.
Dann dachte ich: Das gibt’s ja nicht, ich habe keine Schmerzen, es ist nicht angeschwollen, die Beweglichkeit war auch noch okay. Erst beim Heimfahren im Auto sind die Schmerzen ekelhaft geworden.
Du wirst aber trotzdem zu Sachsenring-GP fahren?
Ja, ich habe vom Team her einige Sponsoring-Events zu absolvieren, dann auch mit persönlichen Sponsoren wie meiner Helmfirma x-lite.