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Giovanni Cuzari (Forward): Der Häftling des Jahres

Von Günther Wiesinger
Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari

Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari

Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari erlebte eine turbulente Saison 2015. Open-Class-Siege, Untersuchungshaft, neue Aufgabe als MV-Agusta-Teamprinzipal – es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Seit 2010 ist Forward Racing im GP-Geschäft tätig. 2013 wurden sechs GP-Fahrer eingesetzt. Nächstes Jahr reicht es nur noch für den Betrieb eines Moto2-Teams.

Als am 9. März 2015 im «Il Gattopardo Café» in der Via Piero della Francesa 47 in Mailand das neue «Athina Eyewear Forward Racing Team» mit den MotoGP-Piloten Stefan Bradl und Loris Baz sowie den Kalex-Moto2-Fahrern Simone Corsi und Lorenzo Baldassarri präsentiert wurde, sah alles noch recht vielversprechend aus.

Teambesitzer Giovanni Cuzari und sein Managing Director Marco Curioni hatten in kurzer Zeit mit der Brillenfirma Athina einen neuen Hauptsponsor aufgetrieben, weil sich NGM Mobile nach vier Jahren zum Rückzug entschlossen hatte.

Es sollte freilich nicht die letzte Hiobsbotschaft in der Saison 2015 bleiben. Zuerst blieb Stefan Bradl deutlich unter den Erwartungen. Dann verletzte er sich in Assen (Kahnbeinbruch) und musste auf den Heim-GP auf dem Sachsenring verzichten. Und tags darauf wurde Teambesitzer «Gio» Cuzari im Tessin verhaftet. Ihm wurden Delikte wie Bestechung, Geldwäsche und Steuerbetrug zur Last gelegt.

Cuzari wurde nach 30 Tagen Untersuchungshaft wieder auf freien Fuss gesetzt, aber wegen der happigen Vorwürfe stiegen alle Sponsoren aus, Yamaha rückte kein Material für 2016 mehr heraus, weil die meisten Anklagepunkte aufrecht blieben. Im Zusammenhang mit Forward war von vielen unbezahlten Rechnungen die Rede. Die Dorna wollte Forward zumindest in der Königsklasse loswerden, deshalb musste Forward nach vier Jahren das MotoGP-Team für 2016 stilllegen.

Immerhin wird für 2016 noch ein Moto2-Team mit den Piloten Luca Marini und Lorenzo Baldassarri am Leben erhalten.

Marco Curioni, Cuzaris rechte Hand, hat von den Machenschaften seines Chefs inzwischen genug. Er hat sich nach dem Valencia-GP beim ins Gerede gekommenen Rennstall verabschiedet. Stefan Bradl hat seinen Vertrag mit Forward bereits Ende Juli gekündigt und dann für die zweite Saisonhälfte beim Team Aprilia Racing Gresini unterschrieben.

Dabei hatte im Frühjahr alles in eitel Wonne begonnen. Cuzari gewann 2014 mit Aleix Espargaró die Open-Class, als Ersatz wurde Stefan Bradl engagiert. Cuzari bezeichnete Neuzugang Stefan Bradl als «Diamant», er erwartete von ihm für 2015 den Gewinn der Open-Class auf der Yamaha YZR-M1. Aber es gab nur einzelne Lichtblicke wie Rang 8 beim Barcelona-GP.

Forward: Seit 2010 in der WM dabei

Das Team Forward Racing ging im Jahr 2010 aus dem Kawasaki-MotoGP-Nachfolge-Team Hayate hervor, das anfangs von Andrea Dosoli geleitet wurde.

Giovanni Cuzari, ehemaliger Rallye-Pilot und seither leidenschaftlicher Motorsportfan, ist in Lugano/Schweiz als Immobilien-Unternehmer tätig, ausserdem betrieb er bis vor einem Jahr die Agentur Media Action, die sich um Marketing und Kommunikation kümmerte. «Ich liebe Deutschland und die Deutschen», betonte er einst im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Ich habe mein erstes Geld als 17-Jähriger im schwäbischen Betzdorf im Eiscafè Riviera verdient...»

Forward Racing trat also in der Motorrad-WM 2010 erstmals in Erscheinung, Infrastruktur und Personal wurden grossteils vom ehemaligen Hayate-Kawasaki-MotoGP-Werksteam übernommen.
In der Saison 2010 nahmen Jules Cluzel und Claudio Corti für Forward an der Moto2-WM teil; der Franzose stand gleich beim Saisonauftakt in Katar auf dem Podest und bescherte dem Team am 20. Juni in Silverstone den bisher einzigen GP-Sieg – auf Suter. Der Franzose beendete die WM auf dem achtbaren siebten Gesamtrang.

Auch 2011 trat das Team mit Suter-Motorrädern an, mit Alex Baldolini bekam er einen neuen Teamgefährten. Der sturzeifrige Cluzel kam in der WM über Gesamtrang 21 nicht hinaus.
Inzwischen hatte Forward Racing den Schritt in die Königsklasse angekündigt. Dank der Verpflichtung von Colin Edwards sollten für die neue Claiming-Rule-Kategorie 2012 kostenlose Superbike-Rennmotoren von Yamaha ergattert werden, aber dieser Plan schlug fehl, es wurde schliesslich mit Suter-BMW gefahren.

Forward warf Suter mangelnde Weiterentwicklung vor, aus München kamen ebenfalls keine erfreulichen Signale, Edwards bezeichnete das Motorrad als «Scheisshaufen», und Eskil Suter warf ihm vor, er sei nur noch ein «laues Lüftchen» und kein «Texas Tornado» mehr, denn Mika Kallio war bei Tests in Brünn schon ein Jahr vorher in allen Kurven 3 bis 5 km/h schneller gefahren.

Forward Racing wechselte für 2013 hoffnungsfroh zu FTR-Kawasaki und engagierte neben Edwards noch den Italiener Claudio Corti. Doch die Resultate liessen zu wünschen übrig: Edwards sammelte als WM-Vierzehnter nur 41 Punkte, Corti als WM-Neunzehnter sogar nur 14. Auf der Suter-BMW hatte Edwards im Jahr zuvor 27 Punkte gesammelt.

In der Moto2-WM 2012 setzte Forward eine neue Fahrerpaarung ein: Yuki Takahashi und Alex De Angelis. Der Sanmarineser sorgte in Sepang für den zweiten GP-Sieg des jungen Teams.

Nach dem Zerwürfnis mit Suter rückte Forward Racing 2013 in der Moto2-Klasse auf Speed-up-Maschinen aus. Forward schloss ein Joint Venture mit Speed-up-Teambesitzer Luca Boscosocuro und nahm neben Mattia Pasini und Simone Corsi auch noch Alex De Angelis und Ricky Cardùs für die Moto2-WM 2013 unter Vertrag.

Für 2014 Umstieg auf Yamaha

In der MotoGP-Klasse hatte Teambesitzer Giovanni «Gio» Cuzari nach 2013 die Nase voll von den Bastler-Motorrädern der Claiming-Rule-Fabrikanten. Er leaste für 2014 bei Yamaha Factory Racing ehemalige Werks-Prototypen für die Open Class und engagierte Aleix Espagaró und Colin Edwards, der im August 2014 durch Alex De Angelis ersetzt wurde.

Mit diesem Open-Class-Paket gelang Forward Racing der Durchbruch in der Königsklasse: Aleix Espargaró sicherte sich gleich beim Saisonstart in Katar den vierten Platz, er dominierte die Open-Class, fuhr in Assen auf die Pole-Position und im Rennen auf Platz 4, er brauste im Regen von Aragón auf Platz 2 und wurde grossartiger WM-Siebter.

Als sich im Juli 2014 abzeichnete, dass Aleix Espargaró ins Suzuki-Werksteam wechseln würde, wurde zuerst Stefan Bradl als neue Nummer 1 engagiert, erst im November wurde der Vertrag mit dem Superbike-WM-Fünften Loris Baz (21) besiegelt.

Ursprünglich wollten Yamaha und Forward das Chassis für die Yamaha-YZR-M1-Motoren bei FTR in England bauen lassen, dazu auch die Moto2-Fahrwerke für die letztjährigen Fahrer Simone Corsi und Mattia Pasini, aber um FTR ist es inzwischen still geworden. Schliesslich rückte Forward in der Moto2-WM 2014 mit Kalex-Maschinen für Corsi und Pasini aus, Pasini schaffte in Silverstone Rang 3, er wurde WM-Siebter.

Der ehemalige FTR-Designer Mark Taylor arbeitete 2014 bei Bedarf noch für Forward. Aber Yamaha lieferte 2015 wie schon 2014 fast das komplette Open-Motorrad, das Chassis von 2014, die Motoren sollen Jahrgang 2015 gewesen sein.

Die Forward-Ziele für 2015 waren klar festgelegt. «Wir wollen mit Stefan die Open-Class gewinnen und in der MotoGP-WM mit ihm unter die Top-Ten der Gesamtwertung kommen», erklärte Cuzari vor der Saison. «Und in der Moto2-WM peilen wir einen Top-5-Rang an mit ein paar Podestplätzen.»

«Bei HRC und LCR waren die Zielsetzungen 2014 unrealistisch», meint Bradl. «Jetzt wollen wir die Open-Class gewinnen und manchmal einige Factory-Bikes besiegen. Das sollte machbar sein.»

Aber Bradl kassiert bei Forward-Yamaha in acht Rennen nur neun Punkte.

Auch Cuzari fand bald eine neue Aufgabe. Er betreibt zwar noch das Moto2-Team mit den zwei Piloten aus der VR46 Academy von Valentino Rossi, ist aber jetzt in erster Linie Teamprinzipal bei MV Agusta und soll dort 2016 für Firmenchef Giovanni Castiglioni die Werksteams in der Supersport- und Superbike-WM leiten. «Für 2018 würde MV Agusta gern in die MotoGP-WM einsteigen», zeigt sich Cuzari als unverbesserlicher Optimist. Und: «MV will für 2019 sogar die Einheitsmotoren für die Moto2-WM liefern.»

Dabei verkauft MV Agusta als Nischenhersteller nur 11.000 Enheiten im Jahr. AMG Mercedes ist allerdings im Herbst 2014 als 25-Prozent-Teilhaber eingestiegen.

Aber: Cuzari wird sich in absehbarer Zeit vor einem Tessiner Gericht noch zu den Anklagepunkten Geldwäsche und Steuerbetrug verantworten müssen.

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