Stefan Bradl bei Red Bull Honda in Favoritenstellung
Stefan Bradl war die Enttäuschung beim Superbike-WM-Lauf auf dem EuroSpeedway Lausitz anzumerken. Natürlich schmerzte ihn nach dem 160-km/h-Crash im FP1 am Freitag (er rutschte auf der Ölspur von Alex Lowes aus) der demolierte linke Ellenbogen. Aber noch mehr plagte ihn die Erkenntnis, dass die Red Bull Honda CBR1000RR Fireblade SP2 in der Sommerpause keine Fortschritte gemacht hat, die sich auf die Rundenzeit auswirken.
Robert Watherston, Motorsport-Verantwortlicher bei Honda Motor Europe und somit auch Chef des Honda-SBK-Teams, traf sich vergangenes Wochenende beim Silverstone-GP mit Carlo Fiorani, der jahrelang die Geschicke von Honda in der Superbike-WM geleitet hat und jetzt als Communications Director für Honda Motor Japan in den GP-Sport zurückgekehrt ist.
Das SBK-Team ist sich bewusst, dass mit der neuen Fireblade zwei Sekunden auf die Topteams fehlen. «Wir haben im Laufe der Saison viele Updates gemacht, in allen Bereichen, aber sie hatten nicht jene Auswirkungen auf die Performance, die wir uns vorgestellt haben», sagte Robert Watherston. «Wir haben Fortschritte gemacht, aber sie reichen nicht aus. Wir sind einfach nicht schnell genug. Wir sind ein Opfer des Verbots der gesplitteten Drosselklappen geworden. Und wir haben es nicht geschafft, Stefan Bradl bei unserem neuen Motor jene Kraftentfaltung zu bieten, die er zum Schnellfahren braucht. Deshalb hat er etwas das Vertrauen verloren.»
Aber bisher haben sich alle Honda-SBK-Fahrer 2017 von Hayden über Jake Gagne bis zu Bradl und Giugliano über die brachiale Leistungsentfaltung beschwert, Cosworth hat als Motorentuner anscheinend zu viel Wert und Spitzenleistung gelegt, und dieses Problem lässt sich mit Hilfe der elektronischen Systeme nicht lösen. Es werden wohl mechanische Änderungen fällig für die Saison 2018.
Honda ist in allen Bereichen eingeschränkt
«Wir sind beim Testen eingeschränkt, wir sind bei der Anzahl der Motoren mit sieben eingeschränkt, deshalb kommen wir nicht rasch genug weiter», beteuerte Watherston. «Erfreulich ist, dass unser Motorrad in der Standardversion sehr konkurrenzfähig ist und sich gut verkauft. Die Basis ist also vielversprechend, das stimmt uns zuversichtlich für 2018.»
Die Schlagkraft der neuen Fireblade wird in der «All Japan Superbike»-Meisterschaft demonstriert: Takuma Takahashi hat dort bereits ein Rennen gewonnen – gegen stärkste Konkurrenz, vor allem gegen Yamaha-Star Nakasuga.
Aber: In Japan wird die Magneti-Marelli-Elektronik verwendet, die in der SBK auch bei Kawasaki, Ducati, Yamaha und MV Agusta zum Einsatz kommt.
Auch wenn es bisher bei Honda niemand bestätigen will: Cosworth wird 2018 beim Red Bull Honda-Team nach fünf Jahren nicht mehr als Lieferant der Motorsteuerung zuständig sein. «Beim Misano-Test im Juni habe ich erstmals einen Cosworth-Techniker bei uns in der Box gesehen», wunderte sich Stefan Bradl.
Ducati-Ass Chaz Davies konnte gar nicht glauben, dass Honda in der Superbike-WM auf Cosworth setzt.
Ein Geschäftspartner des Honda-SBK-Teams sagte in Silverstone: «Cosworth ist und bleibt eine Automobilfirma.»
Da in der Superbike-WM 2019 sowieso die Einheits-Motorsteuerung von Magneti Marelli vorgeschrieben wird, wäre es unverständlich und kurzsichtig, wenn Honda nicht schon nach dieser Saison auf die Electronic Control Unit der Italiener umsteigen würde.
«Beim Honda-8h-Suzuka-Bike habe ich beim erstmaligen Hochschalten in den dritten Gang gewusst, dass diese Maschine auf einem technisch besseren Niveau ist als unser WM-Motorrad», stellte Stefan Bradl fest.
Deshalb fährt Takahashi in Japan überall eine Sekunde schneller als mit der Vorjahres-Fireblade.
Sponsor Red Bull braucht bekannte Fahrer
Red Bull Honda hat zwar die Option auf Stefan Bradl (sie lief Ende Juni aus) nicht eingelöst. Inzwischen gehen aber alle Beteiligten davon aus, dass der 27-jährige Bayer 2018 wieder Bestandteil des Superbike-Auftritts von Honda und Red Bull sein wird. Denn erstens ist es für das Team sinnvoll, nach dem Tod von Nicky Hayden nicht auch noch den zweiten Fahrer zu verlieren, weil dann keine Referenzen zum technischen Zustand des Motorrads von 2017 vorhanden wären. Und zweitens legt Sponsor Red Bull Wert auf Fahrer mit einem gewissen Bekanntheitsgrad, deshalb passten die Ex-Weltmeister Hayden und Bradl vor einem Jahr perfekt ins Konzept. Fahrer wie Giugliano sind für einen Global Player wie Red Bull weltweit nicht zu vermarkten.
Offenbar soll der WM-Achte Leon Camier 2018 als zweiter Fahrer neben Bradl ins Team kommen. Er war schon im Mai im Gespräch, wollte aber seinen MV-Agusta-Vertrag nicht brechen, weil er sonst die damals ausstehenden Zahlungen (Gage, Bonus, etc.) nie mehr gesehen hätte. Der Engländer gilt als hervorragender Entwicklungsfahrer, bei MV Agusta und BMW hört man Lobeshymnen auf ihn, und sein Speed ist unbestritten.
«Wir sind mit unserer Performance 2017 nicht glücklich, deshalb werden wir für 2018 Veränderungen vornehmen», kündigt HME-Rennchef Watherston an. Dem Vernehmen nach werden diese auch beim technischen Personal und in der Teamstruktur zu sehen sein.
Nach den jüngsten Ergebnissen war eine Verstimmung zwischen dem Honda-Team und Stefan Bradl zu spüren, auch wegen dessen Kontakten zum MotoGP-Team Marc VDS Honda.
«Ich habe bisher keinen Vertrag für die Saison 2018. Nachdem Honda Motor Europe die Option nicht eingelöst hat, musste ich nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten», betont Bradl. «Ich war enttäuscht, weil ich beim SBK-Team keine Fortschritte gesehen habe. Ich habe oft nur in ratlose Gesichter geblickt. Eine Voraussetzung für mich ist, dass wir auf Magneti Marelli umsteigen. Auf dem Lausitzring habe ich mir gedacht: Jetzt muss etwas passieren. Ich will vom Team die Zusage, dass es vorwärts geht, das habe ich lange vermisst. Es war zu lange eine technische Stagnation zu spüren. So etwas ist für einen ehrgeizigen Rennfahrer, der mit hohen Erwartungen in die Saison gegangen ist, wie auch das ganze Team, schwer zu verarbeiten. Was ich zuletzt gehört habe, bessert meine Stimmung. Ich freue mich auch, wenn ich einen starken neuen Teamkollegen bekomme. Je mehr Input, desto besser. Ich wäre auch dankbar, wenn wir Technik-Support aus Japan bekommen würden, das würde für Aufbruchsstimmung sorgen und Sinn machen. Man sieht ja, dass Honda in der Japanischen Meisterschaft konkurrenzfähig ist. Wir brauchen jede denkbare Unterstützung.»
Offenbar sind zwischen Stefan Bradl und Honda Motor Europe nach dem enttäuschenden Lausitzring-Wochenende ein paar Meinungsverschiedenheiten aus der Welt geräumt worden.
«Ich habe mit Robert Watherston seit dem Superbike-WM-Rennen in Donington im Mai nicht mehr gesprochen», stellte Bradl fest. «Damals war die Stimmung wegen Nickys Tod auf dem Tiefpunkt. Robert ist seither zu keinem Rennen gekommen. In dieser Woche werde ich mich mit ihm in Verbindung setzen. Ich werde deutlich machen: Meine Priorität ist, 2018 für Honda die Superbike-WM zu fahren. Unser Ziel muss sein, zumindest auf den Level von Yamaha zu kommen.»