Pistenarchitekt Hermann Tilke: Stadtkurse als Trend
Hermann Tilke
In Düsseldorf findet derzeit der Spobis statt, der grösste Kongress von Europa für Sport, Sponsoring und Business. Unter den Gastrednern auch Hermann Tilke, der berühmteste Rennstreckenbauer der Welt. «Angefangen hat das ganz bescheiden, mit einer kleinen Änderung am Nürburgring. Wir haben dann mehr und mehr Aufträge in Deutschland übernommen, die erste grössere Sache war der Sachsenring, als erste komplette Strecke aus unserer Feder, von da ging es zum früheren Österreichring und von da in die ganze Welt hinaus, nach Malaysia und so fort.»
Eine kleine Auswahl von Tilke-Anlagen: Sepang in Malaysia, der Bahrain International Circuit in der Wüste Sakhir, die Shanghai-Rennstrecke vor den Toren der riesigen chinesischen Stadt, der Instabul Park Circuit, der Yas Marina Circuit in Abu Dhabi, der Circuit of the Americas (COTA) bei Austin (Texas), die Rennstrecke in Indien, der Buddh International Circuit, dazu die Pisten in Südkorea und im Olympia-Austragungsort Sotschi (Russland) sowie der atemraubend schnelle Strassenkurs von Baku.
Der Deutsche schenkt Einblick in seine Arbeit: «Wir haben in der Regel zwischen vier und fünf Jahre Vorlauf für eine neue Rennstrecke. Der Fakt, dass viele Rennstrecken ein wenig ausserhalb der grossen Städte liegen, Shanghai als Beispiel, ist ganz einfach – das Land näher bei der Stadt ist teurer. Doch für eine grosse Rennanlage brauchen wir reichlich Platz.»
In China hatten Tilke und seine Fachleute das Problem, eine Sumpflandschaft vorzufinden. Der Hobby-Racer mit feiner Ironie: «Wenn wir den Platz anschauen, müssen wir oft mit dem arbeiten, was die anderen lieber nicht haben wollen. Wir mussten dann ganz neue Lösungswege finden, um überhaupt ein Fundament legen zu können.»
«Wir haben jedoch nicht nur die Herausforderungen besonderen Untergrunds, sondern wir stehen oft auch vor Schwierigkeiten, weil das Bauen in anderen Ländern einfach nicht mit der Arbeit zuhause zu vergleichen ist. Da muss man sich immer wieder neu einstellen auf lokale Gegebenheiten oder andere Bautechniken.»
Der grösste Gegner ist dabei immer die Zeit. «Denn wir müssen zu einem bestimmten Termin fertig werden», betont Tilke, und, mit freundlichen Grüssen an die endlose Geschichte des neuen Flughafens, «wir sind nicht in Berlin. Verspätungen gibt es bei uns nicht.»
So kann es leicht sein, dass auf einer Baustelle 14.000 bis 15.000 Fachkräfte herumwuseln, um alles rechtzeitig fertig zu haben.
Tilke weiter: «Eine Rennanlage ist dabei nicht mit anderen Sportstätten zu vergleichen. Im Fussball haben wir etwa die Situation, dass ein Stadion rein für Fussball gebaut wird oder für eine Kombi-Nutzung mit Fussball und Leichtathletik. Im Rennsport müssen wir beachten, dass auf einer Bahn nicht nur die Formel 1 zu sehen ist, sondern alle möglichen weiteren Racing-Kategorien – GT und Sportwagen, Lastwagen obendrauf, natürlich auch Motorradrennen. Die Piste muss aber auch Raum bieten für Klubveranstaltungen, weil die Pistenbetreiber damit am meisten Geld machen können. Natürlich müssen wir dabei Kompromisse eingehen.»
«Wir hören oft den Vorwurf, dass die Rennstrecken zu steril seien. Das kann ich nicht von der Hand weisen. Der Eindruck entsteht durch die grossen Auslaufzonen. Diese Auslaufzonen planen wir basierend auf Berechnungen und Informationen des Autoverbands FIA, was Geschwindigkeiten betrifft, mit welchen ein von der Bahn abgekommendes Fahrzeug in die Pistenbeschränkung einschlagen kann. Wir müssen beachten: Ein Formel-1-Fahrer geht bei einem Einschlag von, sagen wir 60 km/h in eine Leitschiene mit grösster Wahrscheinlichkeit unversehrt hervor. Ein Motorradrennfahrer will aber nicht mit 60 in eine Leitschiene prallen, auch nicht mit 30. Denn er hat keine Knautschzone um sich herum. Dadurch vergrössern wir bewusst die Auslaufzonen. Klar haben die Puristen daran keine Freude. Aber wir müssen auch an die Motorradpiloten denken.»
«Die Sterilität liegt dabei nicht gezwungenermassen an der Strecke selber. Wir haben auf Pisten hochspannende Motorradrennen, auf welchen wir eher fade Autorennen erleben.»
Dann spricht Hermann Tilke über Trends: «Der Trend geht ganz klar in Städte. Dort haben wir die Zuschauer, wir können eine besondere Atmosphäre schaffen. Wir können solche Kurse ganz speziall auf eine bestimmte Serie zuschneiden, auf die Formel 1, auf die DTM. Ein anderer Trend ist, dass wir mit dem Sport mehr in Hallen gehen, das hat der Motocross-Sport vorgemacht. Das Race of Champions ist ein gutes Beispiel. Oder das Stars and Cars von Mercedes.»
Einen Favoriten unter seinen ganzen Strecken hat Tilke nicht: «Die Frage ist ein wenig unfair. Das Schöne ist ja, dass jede Strecke wieder ihr eigenes Flair hat, durch die Architektur oder die Art und Weise, wie sie gebaut wurde und wo sie liegt, durch Land und Leute. Am liebsten ist mir in der Regel immer die jüngste Strecke.»
Oder ein anderes Projekt, denn Tilke baut natürlich nicht nur Rennstrecken, sondern auch Hotels, Verwaltungsgebäude, Wohnhäuser oder Einkaufszentren. Das Leistungsspektrum der Firma umfasst die Bereiche Architektur, Ingenieurwesen, Haustechnik, Elektrotechnik und Stadtplanung, angefangen von der Konzeption, über die Planung bis zur Bauleitung und Projektsteuerung. Weltweit sind für das Unternehmen mehr als 350 Ingenieure und Architekten tätig.
Habe Tilke und seine Mitarbeiter eigentlich auch Konkurrenz, was nun wieder den Rennstreckenbau angeht? «Ja, klar», sagt der studierte Bauingenieur, «aber die meisten machen eine solche Arbeit nur einmal.» Gelächter im Rund. Tilke erklärt: «Ich glaube, wir haben uns auch deshalb einen Namen erschaffen, weil wir wenig Fehler machen. Fehler beim Bau kosten immer Geld. Wir haben viel Erfahrung ansammeln dürfen, das kommt uns bei der Arbeit an neuen Projekten zu Gute.»
Hermann Tilke und sein Team galten als die Rennstreckenbauer des Vertrauens von «Mr. Formula One» Bernie Ecclestone. Nun ist der Baumeister der modernen Formel 1 aber nicht mehr in einer führenden Position tätig. Was bedeutet das? Tilke: «Ich weiss es nicht. Mir tut es leid, dass er nicht mehr da ist. Es ist unvermeidlich, dass es früher oder später zu einem Wechsel kommt, das ist überall so. Aber ich glaube, die neuen Grossaktionäre von Liberty Media werden einen ganz neuen Drive reinbringen. Da kommen sicher spannende Veranstaltungen auf uns zu, die Formel E macht dabei den Trend zu Rennen in den Städten vor. Ich sehe den Gang in die Metropolen, ganz dicht zu den Fans, als eine enorme Chance für den Motorsport.»