V12-Motoren: Die Besten, Lautesten und Peinlichsten
So unterschiedlich Ferrari-Star Sebastian Vettel und Mercedes-Pilot Lewis Hamilton auch sein mögen, sie verbindet die Liebe zum guten Ton: «Am liebsten würde ich in der Formel 1 mit V12-Motoren fahren», hat der Engländer Anfang November 2017 festgehalten. Und Vettel ergänzte: «Ich würde in unsere GP-Renner gerne einen V12-Motor mit knapp 1000 PS einbauen. Ich brauche das Gefühl, einen Drachen oder ein Biest zu zähmen.»
Bis heute fasziniert der Sound aus zwölf Töpfen die Fans. Ganz besonders in einer Formel-1-Epoche, in welcher die Motoren für viele Grand-Prix-Freunde klingen wie schlecht gelaunte Staubsauger.
Die ersten Formel-1-Fahrer, welche den Drachen Zwölfzylinder bändigten, waren die Ferrari-Piloten in den 50er Jahren.
Der erste Formel-1-Sieger von Ferrari – José Froilán González in Silverstone 1951 – kam mit V12-Power ins Ziel, im Ferrari 375 F1 des Argentiniers. Zwölfzylindermotoren und Ferrari wurden fortan in einem Atemzug gesprochen.
Bis heute diskutieren die Tifosi leidenschaftlich darüber, welcher Ferrari-Motor denn nun am besten geklungen habe.
Die Antwort: Das ist wie Mozart oder Beethoven und Pepsi oder Coca-Cola – reine Geschmackssache.
Wie sich die verschiedenen Ferrari-Renner anhörten, sehen Sie hier:
BRM ging in den 50er Jahren sogar noch einen Schritt weiter als Ferrari: Um die Vormacht der italienischen Rennställe zu brechen, wagten die Briten mit einem 1,5-Liter-V16-Motor das scheinbar Unmögliche. Das Triebwerk war unvergleichlich kraftvoll, mit rund 600 PS. Leider war es auch sehr schwer, sehr kompliziert und sehr unzuverlässig. Bei einigen Rennen liessen sich die Motoren nicht in Gang setzen oder die Wagen rollten nach wenigen Metern aus, mit gebratener Kupplung. Einige Fans warfen spöttisch Münzen auf die Rennstrecke.
Das Tragische an der ganzen Geschichte: Als der Motor endlich standfest lief, war das Chassis längst überholt.
Wie fabelhaft der BRM V16 klingt, hören Sie hier – Lautsprecher aufdrehen und geniessen!
Mitte der 60er Jahre wählte Honda einen ganz anderen Ansatz: Die Japaner verblüfften bei ihrem Formel-1-Debüt mit einem quer eingebauten, wassergekühlten V12-Motor, basierend auf einem Motorradmotor.
1965 war die letzte Saison der 1,5-Liter-Formel, und Honda brachte das Kunststück fertig, einen kraftvolleren Motor zu bauen als Ferrari. Der Honda-V12 leistete stattliche 233 PS. In Mexiko 1965 gewann der US-Amerikaner Richie Ginther für Honda den ersten Grand Prix der Japaner.
Der Honda RA272 von 1965 ist bis heute ein absoluter Fan-Favorit und klingt so:
Zum Beginn der neuen Dreiliter-Formel kehrte Ferrari zum V12-Motor zurück. Und die Italiener waren nicht die Einzigen. Matra (eine Abkürzung von «Mécanique Aviation TRAction») stieg in den Autosport ein, um seinen Mischkonzern (Luft- und Raumfahrt, Waffensysteme) bekannter zu machen. Angestrebt wurde der Sieg in Le Mans und der Gewinn der Formel-1-WM.
Tatsächlich wurde Jackie Stewart 1969 mit einem Matra-Chassis Weltmeister – allerding angetrieben vom zuverlässigen Cosworth-V8. Der V12 war kraftvoll, aber zu einem Sieg hat es nie gereicht. Vor allem Matra-Werksfahrer Chris Amon brachte sein schon legendäres Pech zu Matra. Und auch die beiden Franzosen Jean-Pierre Beltoise und Henri Pescarolo kamen über Podestränge nicht hinaus.
Der Matra-V12 wurde mit Shadow und Ligier bis zur Saison 1982 eingesetzt, und der Sound des französischen V12 ist bis heute einzigartig, kein Motor schmerzte in den Ohren mehr, einige Zeitgenossen bezeichneten das Triebwerk sogar als Kreissäge.
Urteilen Sie selber:
1966 gab der erfolgreiche US-amerikanische Rennfahrer Dan Gurney bei Weslake Engineering in England einen Dreiliter-V12 in Auftrag, für seinen GP-Renner Eagle Mk1. Das Ergebnis war ein Motor, der schön anzusehen war, sanft lief, üppig Power hatte und auch standfest war. Gurney gewann damit den Grossen Preis von Belgien 1967.
Ford übernahm das Projekt für 1971, weil der Konzern glaubte, dass mit dem Cosworth-V8 mittelfristig gegen Ferrari zu wenig zu machen sei. Und auch BRM setzte inzwischen einen V12-Motor ein. Aber über Testfahrten in einem Gulf-Mirage-Sportwagen kam der Motor nicht hinaus, inzwischen stand fest – es ist noch Leben im guten, alten Cossie. Der V12 wurde eingemottet.
Der Weslake klang so:
Für die italienische Firma Tecno war der Bau eines Zwölfzylinders ein zu grosser Happen: Auch dieser Motor vereinte eine im Rennsport selbstmörderische Kombination – zu wenig Leistung, zu hoher Kraftstoffverbrauch, zu viel Gewicht. Am Sound mangelt es nicht:
BRM war Anfang der 70er Jahre mit den beiden Stars Pedro Rodríguez und Jo Siffert erfolgreich. Das Experiment mit einem kraftvollen, aber erneut viel zu komplizierten H16-Motor 1966 und 1967 war abgebrochen worden. Ab 1968 wurde mit einem V12 gefahren, der sich als Weiterentwicklung 1972 so anhörte:
Verblüffend: Es dauerte bis 1975, dass mit Niki Lauda der erste Fahrer mit einem Zwölfzylindermotor Formel-1-Weltmeister wurde!
Nach der ersten Turbo-Ära der Formel 1 kehrte der Sport zu Saugmotoren zurück. Klar trat Ferrari wieder mit V12-Power an, und die Italiener waren in guter Gesellschaft – auch Lamborghini und Honda stellten Zwölfzylindermotoren her.
Ex-Ferrari-Designer Mauro Forghieri baute von 1989 bis 1993 V12-Motoren für Lamborghini, welchen es an Power nicht mangelte, die aber schwer waren und benzindurstig obendrein. Die Aggregate kamen beim GP-Rennstall von Gérard Larrousse zum Einsatz, bei Lotus, Ligier, dem Modena-Team sowie bei Minardi. Als Chrysler-Lamborghini testete sogar Ayrton Senna den Lambo in einem McLaren, im September 1993.
Das Warm-up eines Lambo-V12 hören Sie hier:
Honda war mit der neuen Saugmotorgeneration so erfolgreich wie zuvor mit dem Turbo: Ayrton Senna wurde 1991 zum letzten V12-Weltmeister der Formel 1. 1989 und 1990 war McLaren mit V10-Power unterwegs.
Honda pflegt um die Entwicklung seiner Motoren ein grosses Geheimnis zu machen, daran hat sich bis heute nichts geändert. Vor Jahren führte mein Kollege Helmut Zwickl mit einem leitenden Honda-Techniker ein Interview. Fragen zum Bau eines neuen V12-Motors lehnte der Asiate höflich, aber bestimmt ab. Bis der beim Interview beisitzende Honda-Mediendelegierte behutsam unterbrach und zu bedenken gab, äh, die Pressebilder des neuen Triebwerks seien gestern versandt worden (damals mit Schneckenpost, es gab kein E-mail). Der Techniker: «Ah, Sie meinten diiiesen V12, aber ja doch ...»
Auch der Sound des neuen Honda-V12 war ein echter Leckerbissen:
Weniger erfolgreich waren die Bemühungen von Porsche mit einem Zwölfzylinder: Nach katastrophalen Ergebnissen mit Footwork verschwanden sie auf Nimmerwiedersehen aus der Formel 1. Ein Fehlschlag auch der V12 von Yamaha für 1991, der bei Brabham eingesetzt wurde. Nur zwei Mal kam ein Brabham-Yamaha unter die besten Sechs. 1992 steckten die Motoren im Heck der Jordan-Renner – dieses Mal gab es sogar nur einen sechsten Platz. Auch das Motorgeräusch war nicht eben WM-verdächtig:
In die Abteilung Katastrophe gehörte der Zwölfer, den Subaru im Herbst 1987 beim früheren Alfa-Rennchef Carlo Chiti und dessen Firma Motori Moderni in Auftrag gegeben hatte. 1989 war der Motor fertig und wurde in einem Minardi getestet. Teamchef Giancarlo Minardi war skeptisch und sagte «no, grazie». Enzo Coloni war da weniger wählerisch. Obschon der Subaru der schwerste F1-Motor war und 100 PS weniger leistete als die Klassenbesten. Das Ergebnis war absehbar: Coloni fuhr hinterher, Subaru zog die Reissleine und stieg aus.
Erst in Adelaide 1995 donnerte zum letzten Mal in der Formel 1 ein Ferrari-V12 über einen GP-Kurs, dann stellte Ferrari auf einen V10 um, der als besserer Kompromiss galt, Renault hatte das vorgemacht. Zur Saison 2000 hin wurde im Formel-1-Reglement verankert, dass die Verwendung eines V10-Aggregats verbindlich ist. Später wurde der gleiche Schritt zum V8-Sauger getan, bevor die Formel 1 akustisch abstieg – mit dem Schritt in die neue Turbo-Ära 2014.
Uns bleibt nur ein süsses Sausen in den Ohren.